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Bürgerbeteiligung in Berlin
Streit rund ums Volksbegehren

77.000 Unterschriften hat die Initiative "Deutsche Wohnen enteignen" in Berlin gesammelt. Politisch kommt das Volksbegehren aber seit Monaten kaum voran. Das sorgt nun auch in der Landesregierung für Streit: Die Grünen werfen der SPD vor, diese und andere Initiativen absichtlich zu verzögern.

Von Sebastian Engelbrecht | 16.10.2019
Eine Aktivistin der Initiative "Deutsche Wohnen & Co enteignen" nimmt mit selbstgebastelten Schildern, afu dem "Miethaie versenken" und "Klein, aber Gemeinwohl" steht, an der Übergabe von 77.001 Unterschriften zur Anstrebung eines Volksbegehrens an die Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport teil.
Mieter wehren sich: In Berlin engagieren sich viele Menschen gegen steigende Mieten - unter anderem in dem sie die Enteignung von Immobilienkonzernen fordern. (picture alliance / dpa / Gregor Fischer)
Die Initiative "Deutsche Wohnen enteignen" genießt breite Unterstützung in der Berliner Bevölkerung – nicht nur bei ein paar Demonstranten. Im Juni übergaben die Aktivisten der Berliner Innenverwaltung 77.000 Unterschriften. Erster Schritt hin zu einem Volksentscheid. Ihr Ziel: die Enteignung großer privater Immobilienkonzerne. Aber bis die Berliner über den Vorschlag abstimmen können, wird es noch lange dauern. Sehr lange. Das weiß auch Susanna Raab, Sprecherin der Initiative "Deutsche Wohnen enteignen".
"Wir warten jetzt schon seit drei Monaten auf die rechtliche Prüfung unseres Volksbegehrens. Das ist keine Ausnahme mit unserem Volksentscheid. Der Senat hat gerade in den letzten Jahren diese Phase oft benutzt, um Volksbegehren in die Länge zu ziehen und diese Initiativen mürbe zu machen."
Sussanna Raab von der Initiative "Deutsche Wohnen enteignen" sitzt an einem Tisch auf einer Berliner Straße.
Sussanna Raab von der Initiative "Deutsche Wohnen enteignen" hat das Warten satt. Ziel der Initiative: die Enteignung großer privater Immobilienkonzerne. (Sebastian Engelbrecht / Deutschlandradio)
Stimmt das? Warum dauert das so lange? Will der Senat Bürgerinitiativen mürbe machen, die für Volksentscheide kämpfen? Wie hält es der Berliner Senat mit der Bürgerbeteiligung? Fragen wir also Martin Pallgen, den Sprecher des Berliner Innensenators Andreas Geisel, SPD.
SPD: "Rechtliche Prüfung komplex"
"Prozesse zu Volkentscheiden ziehen sich nicht jahrelang. Die rechtliche Prüfung von Volksbegehren ist sehr komplex. Die Prüfung muss mit höchster Genauigkeit und rechtlicher Verlässlichkeit erfolgen, da damit stets unmittelbare Folgen für die Berlinerinnen und Berliner verbunden sind."
Das Verfahren für Volksbegehren wird im sogenannten "Abstimmungsgesetz" geregelt. Damit Bürgerinitiativen und Vereine ihre Volksbegehren schneller vorantreiben können, müssten in diesem Landesgesetz an zwei Punkten Fristen vorgeschrieben werden: Bei der "Kostenschätzung" und dann bei der rechtlichen "Zulässigkeitsprüfung". Auf das Ergebnis dieser Prüfung wartet gerade die Initiative "Deutsche Wohnen enteignen". Ähnlich langsam geht es auch beim Volksbegehren "Berlin werbefrei". Der Innensenator ist seit 15 Monaten mit der Zulässigkeitsprüfung beschäftigt.
Politischer Deal innerhalb der Koalition?
Mitten in Nord-Neukölln, in der kopfsteingepflasterten Friedelstraße liegt das Wahlkreisbüro von Susanna Kahlefeld. Sie ist Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus und Sprecherin für Partizipation und Beteiligung. Kahlefeld pocht auf Erleichterungen für Volksentscheide. Das "Abstimmungsgesetz" müsse novelliert werden. Darauf habe sich die rot-rot-grüne Regierung in ihrem Koalitionsvertrag geeinigt. Sie fordert knappe Fristen für die Verwaltung: einen Monat für die Kostenschätzung und zwei Monate für die Zulässigkeitsprüfung.
"Wir wollen da eine Frist von vier Wochen, das gehört in dieses Paket von Erleichterungen von Volksentscheiden, und das hängt und hängt und hängt und wird eben verdealt mit Sachen, die damit nichts zu tun haben und auch nicht im Koalitionsvertrag stehen. Da lässt uns die SPD bisher hängen. Die haben ein Paket geschnürt mit Forderungen, die nicht im Koalitionsvertrag stehen – eine Verschärfung von Polizeigesetzen – und haben die Erleichterung von Volksentscheiden dran geknüpft, dass wir da zustimmen."
Susanna Kahlefeld, Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Sprecherin für Partizipation und Beteiligung - sie pocht auf Erleichterungen für Volksentscheide.
Susanna Kahlefeld von Bündnis 90/Die Grünen pocht auf Erleichterungen für Volksentscheide. (Deutschlandradio/Sebastian Engelbrecht)
Ein politischer "Deal" innerhalb der Koalition ist also der Grund, warum der Senat die Änderungen für Volksentscheide bis heute nicht verabschiedet hat. Am Streit um ein verschärftes Polizeigesetz scheitert die Bürgerbeteiligung. Kahlefeld redet Tachless, Oliver Wiedmann vom außerparlamentarischen Verein "Mehr Demokratie" formuliert es vorsichtiger:
"Direkte Demokratie wird noch nicht ernst genug genommen"
"Ich glaube aber auch, dass direkte Demokratie noch nicht ernst genug genommen wird. Würde man in der Verwaltung ein Volksbegehren, das eingereicht wird, gleich sofort prüfen, würde das wahrscheinlich auch schneller gehen. Die SPD muss sich da, glaube ich, noch einen kleinen Ruck geben."
In der Debatte um die Enteignung großer Immobilienkonzerne, einem der zentralen Streitthemen dieses Jahres, müssen sich die Berliner weiter in Geduld üben. Der Senat prüft – und prüft. Susanna Raab, Sprecherin der Initiative "Deutsche Wohnen enteignen", bleibt nichts anderes übrig, als zu warten.
"Wir hoffen natürlich, dass wir nächstes Jahr schon zu einer Abstimmung kommen, aber es kann auch sein, dass sich das noch bis 2021 ziehen wird."