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Bye-bye mit Ansage

Roland Koch geht. Ende August scheidet der hessische Ministerpräsident aus dem Amt. Ein letztes Mal tourt er durchs Land und will bei seiner Abschiedstournee noch mal groß rauskommen.

Von Anke Petermann | 19.08.2010
    "Ob ich mich zu euch setzten darf? Ja klar, will ich das."

    Artig stellt sich Hessens Ministerpräsident als Roland vor und hockt sich nieder auf ein graues Kunststoffstühlchen im Klassenraum einer neuen Wiesbadener Grundschule. Aufmerksam hört er zu, wie die Lehrerin mit den Fünfjährigen Mehwish, Mariella und Ayoub deutsches Vokabular für den Schulbesuch im kommenden Jahr trainiert. Sie deutet auf ein großes buntes Bild auf dem Boden:

    "Ein Mäppchen. Mäppchen - super."

    Nach dem täglichen Vorlaufkurs von 7:50 bis 8:30 Uhr gehen die zwölf Vorschüler in den Kindergarten. Sie sind deutsche Staatsbürger - wie Roland auch Eschborn, der an diesem Tag neben ihnen sitzt. Sie sind in Deutschland geboren wie er, aber:

    "Sie haben alle eine andere Muttersprache. Wir haben in dieser Gruppe Russisch, Polnisch, Türkisch, Arabisch, Urdu und Aramäisch, also viele verschiedene Erstsprachen."

    Zur Einschulung im kommenden Jahr aber, versichert Eleonore Hübner, seien alle so fit in Deutsch, dass sie sich problemlos am Unterricht beteiligen können. Statistisch ist erwiesen, dass die hessischen Vorlaufkurse das leisten und nebenbei die Schulabbrecherquote von Migrantenkindern gesenkt haben.

    "Und wir sehen, das reduziert die Quote derer, die ein Schuljahr wiederholen müssen", fügt der scheidende Ministerpräsident stolz an.

    Doch dass seine CDU-Regierung die Kurse 2002 mit einem Zuckerbrot- und Peitschegestus hessenweit etabliert hat, blieb politisch stets umstritten. Kinder, die keine Vorlaufkurse besuchen und bis Schulanfang nicht genügend Deutsch können, werden nicht eingeschult, hieß es anfangs wie eine Drohung. Als diskriminierendes Aussortieren werteten das neben der Opposition aus SPD und Grünen auch Gewerkschaften und der Landesausländerbeirat. Die Schulen aber beteiligten sich am politischen Gefecht nicht, sie schöpften einfach ihren Spielraum aus, um alle Kinder mitzunehmen. Doch Roland Koch, bekannt als konservativer Hardliner, pflegt sein geteiltes Weltbild: auf der einen Seite die, die reinwollen, auf der anderen Seite die "aufnehmende Gesellschaft",

    "Integration funktioniert nur, wenn die aufnehmende Gesellschaft die Bedingungen für Integration klar definiert und ausspricht."

    "Mit einer gewissen Härte", so hatte es der als Polarisierer bekannte Christdemokrat kurz zuvor formuliert. Zum Zweiten aber müsse die Gesellschaft bei der Integration auch helfen.

    "Beides war immer mein Ziel. Viele haben versucht, mir zu unterstellen, dass mich nur der, nämlich der der harten Bedingungen von Integration interessiert und nicht der der Hilfe zur Integration. Und ich glaube, ich konnte in den 11 Jahren beweisen, dass dieser Teil der Hilfe zur Integration der Schwerpunkt der politischen Arbeit ist und dass da auch die Erfolge liegen."

    Die Koch allerdings mit seiner Wahlkampfkampagne gegen "kriminelle junge Ausländer" selbst zerstörte, so meinen zumindest politische Kontrahenten. Die Opposition stuft auch die Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft als ausländerfeindlich ein. Vor elf Jahren katapultierte der Wahlkampf gegen den Doppelpass der rot-grünen Bundesregierung den damals 41-jährigen CDU-Landeschef ins Amt des Ministerpräsidenten.

    "In Wahlkämpfen hat Roland Koch immer sein wahres Gesicht gezeigt, und deswegen verstehe ich nicht, wenn er jetzt sagt, er habe seinen schlechten Ruf geerbt, über diese Schwarzgeldkonten. Nein, er hat sich seinen schlechten Ruf selbst erarbeitet. Jetzt versucht er, etwas Geschichtsklitterung zu machen. Ich finde, wer genau hinguckt, der wird sehen, dass Roland Koch für den Ruf den er hat, am Ende selbst verantwortlich ist", so Timon Gremmels, SPD-Landtagsabgeordneter, der am späten Abend am Empfang des Ministerpräsidenten in Kassel teilnimmt und auf ein Zeitungsinterview anspielt.

    Darin hatte der ehemalige Vorsitzende der Hessen-CDU geklagt, vor zehn Jahren in die Spendenaffäre seiner Partei hineingezerrt worden zu sein. Parteimitglieder hätten ihm damals "Nitroglycerin ohne Gebrauchsanweisung" überreicht, die Affäre habe ihn Renommee gekostet, öffentliches Misstrauen provoziert und damit seine politischen Handlungsmöglichkeiten geschmälert. Fast hätte man aus Kochs Worten schließen können, sein Rückzug 2010 sei eine Spätfolge seiner völlig unvorbereiteten Berufung zum "brutalstmöglichen Aufklärer" im Jahr 2000. Hat er noch alte Rechnungen offen? Auf seiner Hessen-Reise versuchte der Ministerpräsident auf Abruf genau diesen Eindruck zu vermeiden, im Reisebus vor Journalisten formulierte er vieles milder als erwartet.

    "Das was ich als illegale Parteienfinanzierung vorgefunden habe, hat auch mich in erhebliche Turbulenzen gestürzt. Und natürlich hat das die CDU Hessen fast ihre Existenz gekostet. Dass wir es geschafft haben, da so rauszukommen, dass alles aufgeklärt ist und wir die absolute Mehrheit hatten, halte ich für einen Teil meines politischen Bilanzierens."

    Den Teil auf der Habenseite wohlgemerkt. Obwohl man bezweifeln darf, dass alle illegalen Finanztransfers aufgeklärt sind. Hatten Journalisten gehofft, Koch werde im Vorgriff auf seinen Rückzug aus der CDU-Spitze der Bundesvorsitzenden Angela Merkel noch ein paar bissige Ratschläge zur Krisenbewältigung erteilen, so enttäuschte der Parteivize mit staatstragenden Bekenntnissen zur Führungsverantwortung. Neues gestalten wolle er nach einer Ruhephase, so nichtssagend beantwortet Koch die Fragen nach seiner beruflichen Zukunft. Am Ende seiner Amtszeit scheint er sich vorgenommen zu haben, als "Mann des Ausgleichs" in die Geschichtsbücher einzugehen. Doch das dürfte dem scharfzüngigen Machtpolitiker kaum gelingen.