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Chaos nach Sturm in Schleswig-Holstein

Orkantief Christian hat eine Spur der Verwüstung durch den Norden gezogen. Besonders betroffen waren Flensburg und Nordfriesland. Auf Helgoland tobte der Sturm mit rekordverdächtigen Spitzengeschwindigkeiten. Der Bahnverkehr brach zeitweise zusammen.

Von Dietrich Mohaupt | 29.10.2013
    Zu mehr als 3.600 Einsätzen mussten Polizei und Feuerwehr in Schleswig-Holstein bis heute morgen ausrücken – Orkantief Christian hat eine Spur der Verwüstung durch den Norden gezogen. Besonders betroffen waren Flensburg und Nordfriesland – vor allem die Inseln. Auf Helgoland zum Beispiel tobte der Orkan mit rekordverdächtigen Spitzengeschwindigkeiten – auch für sturmerprobte Helgoländer eine Herausforderung, berichtet Inselbürgermeister Jörg Singer.

    "Das war eine neue Erfahrung für die Helgoländer, also Windrichtung und Intensität, haben die Helgoländer gesagt, haben sie in der Form noch nicht so erlebt. Spitzen bis zu 190 Kilometern pro Stunde und auch auf der Düne starke Winde – um im ganzen westlichen Teil der Bebauung auf dem Oberland gab es einige Fensterscheiben, die zu Bruch gingen und einige Dächer, die teilweise abgedeckt wurden.""

    Vor allem die Windrichtung – überwiegend aus Süd – war eher untypisch und offenbar für viele Helgoländer überraschend. Nicht jeder habe die Situation ernst genommen – darum mussten drastische Maßnahmen ergriffen werden.
    ""Wenn durch die Straßen, die ja von der Architektur so angelegt sind, dass sie zur Windrichtung passen, dann doch Dachschindeln einem entgegenkommen – und die Feuerwehr durch die Straßen fuhr und dann erst noch gesagt hat: Geht bitte nicht aus den Häusern raus – nachdem das dann nicht befolgt wurde, hat die Feuerwehr dann irgendwann mal gesagt: So, wir haben jetzt Ausgangssperre."

    Auch in anderen Landesteilen von Schleswig-Holstein wütete Christian heftig – in Flensburg starb ein Mann, als ein umstürzender Baum auf ihn fiel, bei Oldenburg in Holstein an der Ostseeküste kam eine 66-jährige Frau ums Leben, sie wurde von einer fast drei Meter hohen Mauer aus Kalksandstein verschüttet. Und in Nordfriesland starb ein 50-jähriger Mann, als sein Transporter vermutlich von einer Sturmböe von der Straße geweht wurde. In Westerland auf Sylt musste eine Kinderklinik geräumt werden, weil das Dach einzustürzen drohte – mehr als 200 Kinder und Mütter wurden in eine Mehrzweckhalle gebracht, berichtet Einsatzleiter Jörg Elias von der Feuerwehr Westerland.

    "Hier im Gebäude sind Kunststofffenster und –türen eingedrückt worden, somit ist ein Überdruck im Raum entstanden und die Zwischendecken sind runter gekommen, gerade im Speise- und Toberaum. Einige Dachpfannen sind runter gefallen, haben die Dachhaut beschädigt und nun droht Gefahr, dass das Dach noch weiter wegfliegen könnte."

    Überall im Norden brach zeitweise der Verkehr zusammen – die Deutsche Bahn musste gestern Nachmittag den Regionalverkehr in Schleswig-Holstein komplett einstellen. Auch heute Morgen lief der Zugverkehr stellenweise nur unregelmäßig – in Niebüll mussten zum Beispiel Tausende Pendler immer wieder auf Züge warten, die sie zu ihren Arbeitsplätzen auf der Insel Sylt bringen sollten. Und auch im Hamburger Umland ging zeitweise nichts mehr – gestrandete Bahnfahrgäste in Pinneberg:

    "Wir haben fünf Stunden im Zug gesessen – und jetzt sind wir geflüchtet und versuchen nach Hause zu kommen"
    "Erst stockte die Bahn, dann hielt sie an – und dann war es vorbei, dann stand der Zug, vier Stunden jetzt – nichts kommt, keine Hilfe."
    "Ich arbeite bei der Bahnhofsmission und wir haben an die 400 Leute, die nicht nach Flensburg hochgekommen sind, nicht nach Kiel, nicht Neumünster – gar nichts, also die stehen auf den Bahnsteigen und warten."

    Inzwischen hat sich die Lage deutlich entspannt – auch wenn nach zahlreichen Stromausfällen und unterbrochenen Telefonleitungen noch nicht überall im Land wieder alles funktioniert. Ein genaues Bild über die Schäden an Privat- und Geschäftshäusern hat noch niemand – vermutlich wird es einige Wochen dauern, bis alle Schadensmeldungen bei den Versicherungen eingegangen sind.