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"Charlie Hebdo" erscheint auf Deutsch
"In Deutschland haben wir eine etwas andere Tradition"

An diesem Donnerstag erscheint das französische Satire-Magazin "Charlie Hebdo" erstmals in Deutschland. Die Direktorin des Deutschen Museums für Karikatur, Gisela Vetter-Liebenow, meint: In Frankreich erlangen gesellschaftliche Diskussionen ihre Schärfe durch Bilder und Karikaturen. Das sei in Deutschland anders. Sie sei neugierig, wie das Magazin hier ankomme, sagte Vetter-Liebenow im DLF.

Gisela Vetter-Liebenow im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 30.11.2016
    Museumsdirektorin Gisela Vetter-Liebenow steht im Wilhelm-Busch-Museum in Hannover.
    Gisela Vetter-Liebenow, Direktorin des Deutschen Museums für Karikatur Hannover. (picture alliance / dpa / Hauke-Christian Dittrich )
    Doris Schäfer-Noske: Angela Merkel hat er natürlich längst drauf, der Chefzeichner und Herausgeber von "Charlie Hebdo" namens Riss. Zum Beispiel, wenn Merkel im Rollstuhl in Richtung Kanzlerschaft 2050 rauscht. Morgen wird es bestimmt noch mehr Merkel geben. Die deutsche Ausgabe des französischen Satiremagazins "Charlie Hebdo" startet - mit einer Auflage von 200.000. Dabei wird inhaltlich das meiste aus dem Französischen übersetzt sein, es soll aber auch einen kleinen Teil extra für die deutsche Ausgabe geben.
    Humor gibt es überall, sogar in Deutschland, meint Chefzeichner Riss und schmunzelt. Hoffnung macht den Karikaturisten, dass in Deutschland das Echo auf die Solidaritätsausgabe von "Charlie Hebdo" nach dem Anschlag besonders groß war. Gisela Vetter-Liebenow ist die Leiterin des Deutschen Museums für Karikatur in Hannover und hat damals – zusammen mit anderen Institutionen - wenige Tage nach dem Anschlag eine Solidaritätsaktion mit "Charlie Hebdo" im Internet gestartet. Frage an sie:
    Frau Vetter-Liebenow, Solidarität und Einsatz für die Meinungs- und Pressefreiheit ist das eine, aber wie passt denn ein Satiremagazin wie "Charlie Hebdo" überhaupt zu Deutschland?
    Gisela Vetter-Liebenow: Das ist eine spannende Frage. Ich bin da sehr neugierig darauf, wie das hier ankommt. Es sind schon unterschiedliche Traditionen, die in Frankreich "Charlie Hebdo" hervorgebracht haben und jetzt auch so gerade zu einem Bollwerk der Meinungsfreiheit gemacht haben. In Deutschland haben wir eine etwas andere Tradition und ich habe in den vergangenen Monaten immer wieder die Erfahrung gemacht, dass in Gesprächen die Menschen auch gefragt haben, muss man denn so verletzend sein, ist das in Ordnung, wenn man so sehr in diesen Wunden rührt. Das ist eine spannende Frage, wie das hier ankommt.
    "In Frankreich kommt die Schärfe in die Diskussion oft durch das Bild"
    Schäfer-Noske: Denn es war ja auch eine Diskussion, die sich entsponnen hat nach dem Anschlag auf "Charlie Hebdo", die im Kern ging um die Frage, was darf Satire, also auch um die Frage, was eine freie Gesellschaft bereit ist, an Provokationen auszuhalten. Liegt es denn in Frankreich vielleicht auch an der strikten Trennung von Kirche und Staat, dass man dort weniger zimperlich ist?
    Vetter-Liebenow: Es liegt auch ein bisschen an einer anders aufgestellten Presselandschaft. In Frankreich kommt die Schärfe in die Diskussion oft durch das Bild und auch gerade durch die Karikatur. Sie wird nicht so sehr im geschriebenen Wort dargestellt. Das ist hier etwas anders. Die Karikatur hat dort auch noch mal eine andere Aufgabe. Das hat sich auch natürlich durch eine Tradition entwickelt, die weit bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht, zu Künstlern wie Honoré Daumier zum Beispiel.
    Schäfer-Noske: Von der ersten Ausgabe war heute schon eine Seite in der "Süddeutschen Zeitung" zu sehen. Das ist eine Karikatur über das Deutsch sein. Da geht es um die mangelnde Streikbereitschaft der Deutschen, um ihr Verhältnis zur Vergangenheit, um Flüchtlinge, die Kanzlerin. Was sagt uns denn ein solcher französischer Blick auf uns?
    Vetter-Liebenow: Ich habe mir das angeschaut und fand das eigentlich sehr interessant, weil es auch wirklich was sehr Wesentliches berührt: Wie stehen wir eigentlich auch zu unserer eigenen Tradition, zur eigenen Geschichte? Wie stehen wir auch zu diesem Land. Das hilft natürlich, auch ein Blick von außen, wie das immer schon war, auch die Unterschiede zu erkennen und damit das auch, was manchmal im Dialog es so schwierig macht, weil man mit einer Vergangenheit auf dem Rücken sich Gegenwartsfragen anders nähert hier in Deutschland oder in Frankreich. Und das kann natürlich spannend sein, weil gerade Karikatur, weil Satire solche auch Befindlichkeiten viel deutlicher, viel prägnanter einem auch vor Augen führen kann.
    "Eine Reaktion darauf, dass gerade in Deutschland dieser Anschlag besonders wahrgenommen wurde"
    Schäfer-Noske: Nun muss man sagen, dass "Charlie Hebdo" in Frankreich auch immer ein Nischenprodukt war. Durch den Anschlag ist "Charlie Hebdo" natürlich aus dieser Nische rausgetreten. Aber zurzeit muss die Zeitschrift auch sehr um Leser kämpfen. Ist denn diese deutsche Ausgabe jetzt vielleicht auch so was wie ein Rettungsversuch?
    Vetter-Liebenow: Ich denke, das ist ein Versuch, vielleicht auch das Anliegen, was "Charlie Hebdo" verfolgt, in eine breitere internationale Öffentlichkeit zu tragen, und sicherlich auch eine Reaktion darauf, dass gerade in Deutschland das Thema und dieser Anschlag besonders wahrgenommen, besonders diskutiert und verfolgt wurde.
    Schäfer-Noske: Aber mal kritisch gefragt: Ist denn nicht vielleicht diese Zeit für die Art der gedruckten Satire auch vorbei? Muss man heute nicht vielleicht schneller sein, auch über soziale Medien arbeiten, um viele Menschen mit Kritik zu erreichen?
    Vetter-Liebenow: Erfreulicherweise hat immer noch auch diese gedruckte Satire, dieses Bild seinen Rang, weil es auch in diesen Medien, glaube ich, mit einer anderen Nachhaltigkeit als in den sozialen Medien wirken kann. Und gerade in einer Zeit, wo Bilder so massenhaft uns überfluten, mag vielleicht auch dieser Wert, ohne dass er jetzt nun eine solche Massenwirksamkeit erreichen kann, doch auch etwas sein, worauf wir nicht verzichten sollten. Weil auch eine gewisse Konzentration, vielleicht auch manchmal eine Verlangsamung wünschenswert ist, um sich grundsätzlichen Fragen einer offenen Gesellschaft, einer demokratischen Gesellschaft zuzuwenden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.