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Chateau de Chambord
Das Schloss

440 Zimmer, 74 Treppenhäuser, über 1.000 Kamine: das Königliche Jagdschloss Chambord in der Nähe der Stadt Blois ist das größte aller Schlösser in der Loire-Region. Eine extravagante Geschichte hat der Prunkbau natürlich auch. Selbst die trainiertesten Touristen bringt eine Führung durch die Gemäuer an ihre Grenzen.

Von Franz Nussbaum | 13.09.2015
    Schloss Chambord in der französischen Loire-Region
    Schloss Chambord in der französischen Loire-Region (picture-alliance/ dpa - Fouquet fouq2007081346)
    Welch ein herrlicher Rundblick von hier oben, von des Schlosses Zinnen, zwischen all den vielen Türmchen und Kaminen hinunter in die Wälder der einst königlichen Krondomäne. Denken wir uns rund 500 Jahre zurück. Da prescht 1519 ... da unten ... der junge König Franz I., ein ruhmsüchtiger Prachtbolzen, mit seinen Spießgesellen zu Pferde vorbei. Und nachdem er einige Sauen und Hirsche erledigt hat ... erträumt sich Franz bei einer kleinen Rast, ... warum lasse ich mir hier, in dieser grünen Jagdidylle nicht ein bescheidenes Schlösschen errichten? Mit ... round about ... 400 Zimmerchen? Und wenn junge Könige träumen ... dann erwarten sie auch spornstreichs, dass es sofort erfüllt wird. Michael Kleu kennt die historischen Umstände. Wer soll denn die Träumerei bezahlen?
    "Zahlen dürfen die gemeinen Steuerzahler. Von der Steuer befreit sind ... die unteren, fast rechtlosen Stände, und natürlich Adel und Klerus. Der französische Schriftsteller Gustav Flaubert gibt uns eine interessante Deutung zum prächtigsten Neubau jener Zeit. Flaubert schreibt, Chambord sei ein Denkmal des Stolzes. Eines Stolzes, der sich betäuben will, um eine Niederlage zu vergessen. Flaubert meint damit, dass der junge Franz I. sich ja auch erträumt, er müsse sich um die vakante römisch-deutsche Kaiserkrone bewerben. Auch eine solche Kaiserwahl kostet gewaltig. Franz I. unterliegt aber bei der Abstimmung dem späteren Karl V. Und diesen Schmerz der Niederlage bei der Kaiserwahl soll Franz in Chambord durch diesen prachtvollen Welt-Wunder-Bau ... kompensiert haben."
    Wie bei einem kleinen Jungen, dem ein schönes Spielzeug verweigert wird. Chambord kostet die französischen Steuerzahler täglich 1.800 Arbeitskräfte auf der Baustelle, über mehr als 30 Jahre. Dazu die Materialkosten für die Steine, für die Holzarbeiten, für die Inneneinrichtung. Das Schloss wird in über 30 Regierungsjahren von Franz I. nie fertig. Der Ritterkönig, Le Roi Chevalier, was für ein schönes Wort, soll nur 19 Tage in dem Provisorium der Dauer-Baustelle genächtigt haben.
    Kleu: "Und es gibt noch eine ganz andere, sehr hintergründige Geschichte. König Franz führt gegen Karl V. ... vier Französisch-Habsburgische-Kriege, insgesamt fast 15 Jahre lang. Gleich bei der ersten Auseinandersetzung gerät François Premier dabei in die Gefangenschaft seines Dauerrivalen Karl V.. Man bringt ihn ehrenhaft nach Spanien und handelt einen gesalzenen "Frieden von Madrid" aus. Franz unterschreibt, wird aus der Haft entlassen, aber nicht aus der Haftung. Er überstellt als Flaschenpfand, also in Geiselhaftung, seine beiden Söhne, Franz II., den Thronfolger und den jüngeren Heinrich. Acht und sieben Jahre alt. Der Vater lässt seine Kinder vier Jahre in Spanien absitzen, weil Franz das Geld für die Auslösung fehlt. Aber für den gleichzeitig laufenden Schlossbau in Chambord sind die Mittel vorhanden."
    Das muss man sich langsam auf der Zunge zergehen lassen. Da möchte man fast fragen, war der Prachtbau von Chambord ein Fall für den Psychiater? Und so gehen wir hier nun durch die rekonstruierten Privaträume von Franz I ...
    Ein Stockwerk höher sind die Gemächer von Ludwig XIV..
    Denken wir uns nun aber in den spätsommerlichen Oktober des Jahres 1670 ein. Der protzige Bau von Chambord ist nun so präsentabel, dass Ludwig XIV. nicht nur seine goldbeschlagene Jagdflinte, sondern auch die Korken knallen lassen kann. Ludwig ist 32 Jahre jung, hat im Theatersaal des Châteaus seinen Platz in einem thronartigen Sessel eingenommen, plaudert artig mit seiner gleichalten Gemahlin, einer spanischen Habsburgerin, die zum siebten Male wieder guter Hoffnung ist. Der noch sehr ansehnliche Ludwig ist in diesem Herbst 1670 nur mit einem "kleinen Hof" nach Chambord gereist.
    "Das heißt, nur ein paar hundert ausgesuchter adeliger Damen und Herren des Hofes, die des Königs besonderes Vertrauen genießen, sind dabei. Inklusive natürlich der Zeremonienmeister, der Kammerherren und Dienerschaften, inklusive der königlichen Hofkapelle, der Schauspieler und dem königlichen Ballett. Auch einigen Beichtvätern für die kleine Sünde zwischendurch. Natürlich auch des Königs Leibgarde, rund 500 Bodyguards, die ihn bewachen. Dazu die königliche Küche, der rollende Weinkeller, die Hundemeute, die Jagdfalken."
    Und wir lesen in den Reisenotizen:
    "Auf flachen Prunkschiffen, von Pferden gezogen, reist der Hof bequem getreidelt von Paris durch Kanäle an die liebliche Loire. Drei Wochen lang will sich der königliche Tross in Chambord amüsieren. Hirsche und Wildsäue abknallen und auch selber die Sau rauslassen. Sich ein paar schöne Tage gönnen und Abenteuer genießen."
    Und für den Schürzenjäger Ludwig XIV. ist sicher auch für diese kleine königliche Neigung in Chambord vorgesorgt. Und der König hat seinen von ihm protegierten Theaterleiter Moliere beauftragt, er möge die kleine Hof-Gesellschaft in Chambord mit einer neuen Komödie erheitern. Jean Baptiste Moliere, 48 Jahre alt, denkt sich "Der Bürger als Edelmann" aus. Eine aufwendige, kostspielige Inszenierung. Der königliche Hofkompositeur Jean-Baptiste Lully schreibt zu dieser Ballettkomödie die Musik.
    Kleu: "Theater ist in jener Zeit Tragödie, auch Drama ... oder ist eine unterhaltsame Mischung aus Komödie, dazu Ballett, natürlich Musik und Gesang, und entspricht etwa dem heutigen Musical."
    Also, Jean-Baptist Lully steht im Theatersaal vor seinen 24 Musikern, hebt den mannshohen Stock und dirigiert mit enthusiastischem Schwung die Hofkapelle und die anmutige Truppe des Balletts tanzt dazu ...
    Die Geschichte des Spitznamens "Sonnenkönig"
    Es beginnt also mit Ballett. Was mag Ludwig XIV. dabei empfinden? Denn bis kürzlich tanzt der König ja auch selber vor seinem versammelten Hof. Der König als ausgebildeter, filigraner Tänzer ... ist gewissermaßen ein Baustein seiner absolutistischen Selbstdarstellung, seines Personenkultes , seines Rollenverständnisses eines jungen, lebenshungrigen "der-Staat-bin-ich".
    "Ludwig steigt ja mit 13 Jahren in die königlichen Regierungsgeschäfte ein und tanzt quasi zum Einstand damals vor dem Hof. Er trägt mit eleganten Sprüngen eine goldene Sonnenmaske vor sich her. Er tanzt die Rolle einer "aufgehenden neuen Sonne". Das ist ja eine getanzte Regierungserklärung. Und etwas später unterhält er wieder den Hof als "goldener Apollon". Und der Hof soll rhythmisch skandiert haben "lang lebe der Sonnenkönig". So ist Ludwig XIV. zu diesem Markensymbol gekommen. Wobei die begeisterten Rufer ... durchaus auch eine Inszenierung für die ausländischen Botschafter und Spione bei Hofe sein mögen. Wie ja auch Ludwigs Schwägerin, Liselotte von der Pfalz, mit ihren ja auch freimütigen, oft derben Nachrichten aus dem Hofleben heraus nach Heidelberg berichtet hat."
    Und als der Sonnenkönig wieder mal den Apollon tanzt, endet es tragisch. Bei einem seiner hoch angesetzten Sprünge stürzt er. Er trägt Tanzschuhe mit sehr hohen Absätzen. Er wollte etwas größer erscheinen als er real war. Unterschiedliche Quellen sagen, er war zwischen 1.60 Meter bis 1.65 Meter groß. Das wollte er ja auch mit seiner hohen Allonge-Perücke kaschieren. Nur mit der Perücke sah er "überragend" aus. Des Königs Tanzverletzung ist jedenfalls irreparabel. Und das Bild eines "gestürzten" Königs ist natürlich wenig werbewirksam in der getuschelten Yellow-Press damaliger Zeit.
    Zurück zu Chambord. Im Theatersaal tritt nach der Ballett-Ouvertüre nun Jean-Baptiste Moliere selber auf. Etwas von Krankheit gezeichnet. Wir lesen ...
    "Moliere stolziert in der Rolle eines bunt herausgeputzten Bürgers ... wie ein eitler Gockel durch die Handlung. Er mimt einen neureichen Bourgeois, einen Bürger. Einen, der sich allzu gerne als Edelmann gerieren möchte. Der Bürger als Edelmann möchte tanzen, nicht nur Bauernpolka, er möchte fechten lernen, möchte zum Hofe gehören dürfen."
    Der "Möchtegern" möchte also mehr scheinen wollen dürfen ... als sein können! Und der Hof zu Chambord amüsiert sich königlich über den plump vornehm tuenden Moliere. Und kaum einer merkt beim Hoftheater in Chambord, wie Moliere vielleicht auch manchem der anwesenden Edelmänner den Spiegel vorhält. Mehr scheinen wollen, als sein können.
    So zwängt man sich heute in Chambord nun durch die privaten Appartements von Ludwigs XIV. Und wir finden unter den 60 stummen Bildern an den Wänden auch ein Porträt einer Maria Anna Victoria von Bayern.
    Kleu: "Ludwig XIV. schmiedet in der Zeit seines Chambordbesuches für die Verheiratung seines Kronprinzen, des Dauphines Ludwig II. einen politischen Deal. Die damals neunjährige Prinzessin Maria Anna Victoria von Bayern soll mit seinem kindlichen Kronprinzlein vermählt werden. Diese Maria Anna aus Bayern ist keine Schönheit, gleichwohl vielseitig gebildet, sie spricht fließend ein bayrisches Deutsch, Französisch und Italienisch. Sie konnte vorzeigbar singen und sich am Cembalo begleiten. Durch diese Heirat nimmt unsere bayrische Maria Anna Victoria in Versailles nach der Königin den zweiten Rang unter den Damen am Hofe des Sonnenkönigs ein. Und sie versteht sich auch sehr gut mit Liselotte von der Pfalz, die aber in Versailles gemobbt wird. Maria-Annas Ehegatte, der Dauphin, ganz der Papa, amüsiert sich aber lieber mit den hübschen Dingern aus dem unerschöpflichen Reservoir des Hofes. "
    Und der Hofkomponist Lully widmet der Bayerin eine ganz besondere Huldigungsmusik, "Air pour Madame de Dauphine Marie-Anne". Maria Anna stirbt schon mit 29 Jahren. Ein anderes Porträt in den Sälen von Chambord zeigt uns Moritz de Saxe, der in Frankreich eine außergewöhnlichen Militärkarriere hinlegt. Ein sächsischer Bastard, der es bis zum Generalfeldmarschall der Franzosen bringt. Generalfeldmarschälle soll es in der französischen Geschichte nur 7 mal gegeben haben. Moritz ist einer davon. Und er ist ein illegitimer Sohn von August dem Starken. Als adeliges Halbblut konnte der junge Moritz keine erstklassige Position er-erben. Also verdingt sich der Jungspund bei den Franzosen, avanciert in dieser ausgeprägten europäischen Militärmacht, dank ausgezeichneter taktischer Kriegskunst bis in die oberste Position. Wir lesen über ihn:
    "Der Generalfeldmarschall bekommt von Ludwig XV., dem Urenkel des Sonnenkönig, wegen seiner außergewöhnlichen Siege Schloss Chambord als Herrensitz. Er darf sogar sein eigenes Leibregiment, ein Freicorps, eine Art Fremdenlegion, auch mit viel bestaunten afrikanischen Soldaten mit nach Chambord nehmen. Chambord ist damals stark ramponiert. Es wird für Moritz de Saxe auf Kosten der Krone renoviert. Er leistet sich auch eine eigene Theatertruppe und veranstaltet wieder große Feste."
    Kleu: "Mit 52 Jahren wird der sächsische Generalfeldmarschall von Frankreich von Ludwig XV. verabschiedet. Der sächsische Charmeur und Haudegen hat sich früh verbraucht und erschöpft. Er konnte wohl auch in jüngeren Jahren einem gewissen Hang zu Ausschweifungen nicht widerstehen. Beim mal ... blendend aussehenden Sohnemann von August dem Starken, war der Apfel nicht weit vom Stamm gefallen. Erwähnenswert ist noch eine Reise nach Dresden und dann 3 Tage als Gast von Friedrich II. in Sanssouci. Friedrich ist 37, Moritz 53. Beide haben ja auch eine Affinität zur französischen Kultur. Friedrich notiert an Voltaire, ich habe aus meinen Unterhaltungen mit ihm viel Lehrreiches mitgenommen. Und er präzisiert, 'Dieser Marschall sollte Lehrmeister aller europäischen Generäle sein'."
    Mit 54 Jahren stirbt der große Moritz in Schloss Chambord. Er bekommt ein großes Staatsbegräbnis. Und wir betrachten und befragen in den Räumen von Chambord noch ein ganz anderes Porträt ... eine Maria Josepha von Sachsen und Polen. Sie ist aus Dresden als 16-Jährige durch Heirat nach Versailles und Chambord gekommen. Und Onkel Moritz arrangiert zusammen mit der Madame Pompadour diese Vermählung seiner Nichte mit dem französischen Kronprinzen. Die Umstände sind eine hochinteressante Geschichte, die man sich aus dem Internet "antun" sollte. Und dieser französisch - sächsischen Verbindung entstammt dann König Ludwig XVI. Auch er besucht und jagt in Chambord. Ludwig XVI. gerät dann voll in die Maschinerie der Französischen Revolution, als das Volk oder ... die Steuerzahler wegen all dem überzuckerten Luxus und wegen der zerrütteten französischen Staatsfinanzen auf die Barrikaden steigt. Und Ludwig endet mit 39 Jahren mit seiner Marie-Antoinette auf dem Schafott.
    Chambord ist voller Geschichte und Geschichten. Man sieht nur, was man weiß. Beispielsweise könnte der Besucher von heute auch den Kachelofen aus Meißen befragen, ... wie er in der Zeit des Moritz von Sachsen den Weg nach Chambord gefunden hat? Man sieht ihn nur, wenn man's weiß. Man muss die scheinbar stummen Personenporträts oder die Kacheln von Chambord nur zum Sprechen bringen.