Montag, 29. April 2024

Archiv


China oder Russland gegen den Rest

"Vergesst die islamische Bedrohung - die kommende Schlacht wird die zwischen autokratischen Nationen wie Russland oder China und dem Rest geschlagen". So der US-amerikanische Politikberater Robert Kagan. Kagan war Mitbegründer einer neokonservativen Denkfabrik, die der Bush-Regierung zumindest nahesteht. Sein neuestes Buch vom April 2008 liegt nun auch in deutscher Übersetzung vor. Wolfgang Labuhn rezensiert.

23.06.2008
    Der große Trugschluss unserer Zeit ist die Überzeugung, dass eine liberale Weltordnung auf dem Sieg von Ideen und auf der natürlichen Entfaltung des menschlichen Fortschritts beruhe,

    resümiert Robert Kagan seine Bestandsaufnahme gegenwärtiger internationaler Politik, die für ihn durch Machtkonstellationen geprägt ist, wie sie nach dem Ende des Ost-West-Konflikts nicht vorhersehbar gewesen seien:

    Mir kommt es vor, als befänden wir uns in einer Ära, die ein Diplomat des 19. Jahrhunderts zumindest wiedererkennen würde, wenn er sich jetzt in der Welt umschaute und große Mächte im Wettstreit miteinander sähe. Und selbst ohne Krieg gibt es eindeutig einen Wettbewerb.

    So Kagan unlängst auf einer Diskussionsveranstaltung in Berlin. Denn anders, als es Francis Fukuyama prophezeite, ist die Geschichte seit dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums eben doch weitergegangen, freilich nicht als Siegeszug des liberalen Kapitalismus. Vielmehr sieht sich die verbliebene Supermacht USA nun einer ganzen Reihe von Großmächten gegenüber, die sich entweder zur Demokratie bekennen wie Japan oder Indien oder autokratisch beherrscht werden wie Russland und China:

    Die Herrscher Russlands und Chinas glauben an die Vorzüge einer starken Zentralregierung und verachten die Schwächen des demokratischen Systems. Sie sind überzeugt, dass ihre großen und widerspenstigen Nationen Ordnung und Stabilität brauchen, um wachsen und gedeihen zu können. Sie sind über- zeugt, dass die Unstetigkeiten und das Chaos einer Demokratie ihre Nationen entkräften und letztlich zugrunde richten; im Fall Russlands hat man es bereits erlebt. Und sie sind überzeugt, dass eine starke Hand im Innern unverzichtbar ist, wenn die Nation draußen in der Welt mächtig und respektiert und fähig sein soll, ihre Interessen zu wharen und zu fördern. Die chinesischen Machthaber haben aus ihrer langen und häufig turbulenten Geschichte gelernt, dass politische Zerrüttung und innere Spaltung andere zur Einmischung und Ausplünderung einladen.

    Für die autokratisch Beherrschten bedeutet dies laut Kagan:

    Fordert nicht das bestehende System heraus! Ihr könnt Geld verdienen, ihr könnt euer Leben führen, aber haltet eure Nase aus der Politik heraus, sonst schneiden wir euch die Nase ab! Diese Botschaft ist den Chinesen sehr klar und jetzt auch den Russen sehr klar, und darum geht es. Kann sich so etwas halten? Das ist die große Frage. Wenn Sie uns das vor einem Jahrzehnt gefragt hätten, oder als Francis Fukuyama sein Buch schrieb, hätte die Antwort gelautet, nein, so etwas ist nicht aufrecht zu erhalten, ist nicht von Dauer. Sind wir heute auch noch so sicher, dass dies nicht andauern kann?

    Hinzu kommt für Kagan das Phänomen des radikalen Islam, im Falle des Irans sogar als herrschende Staatsideologie, das er aber - im Gegensatz etwa zu Samuel Huntington -als eher temporäres Problem betrachtet, da der rückwärts gewandte radikale Islam sich der Moderne, zum Beispiel der Gleichberechtigung von Frauen, nicht auf Dauer widersetzen könne.

    Jedenfalls zerfällt die Welt für Kagan derzeit in zwei Lager, den "Club der Autokraten" und die "Achse der Demokratien" - mit weitreichenden Folgen für das internationale System. So könne man eigentlich nicht mehr von einer 'internationalen Gemeinschaft' sprechen, da dieser Begriff Einvernehmen in Bezug auf völkerrechtliche Verhaltensnormen, eine Ethik der internationalen Beziehungen, ja ein "internationales Gewissen" voraussetze. Und dieser Konsens fehle den Großmächten heute, was sich erstmals im Kosovokrieg gezeigt habe und heute im Zusammenhang mit Darfur, dem Iran und Birma.

    Zu Pessimismus besteht für Kagan dennoch kein Anlaß. Vielmehr sollten die Demokratien der Welt allmählich darüber nachdenken, wie sie ihre Interessen und Prinzipien in einer Welt, in der diese wieder einmal "mit Macht" angefochten würden, schützen und fördern könnten. Und dazu gehört für Kagan angesichts der gelähmten Vereinten Nationen die Schaffung neuer Instrumente, um die" völkerrechtliche Legitimität von Aktionen" beurteilen und garantieren zu können, "ein globales Konzert" oder ein "Bund der Demokratien" mit regelmäßigen Treffen zu aktuellen Themen:

    Es gibt eine Organisation, in der die reichen Länder sich treffen und Dinge erörtern und eine ähnliche Organisation für die armen Länder. Wir haben eine Islamische Konferenz und eine für die Länder, die im gleichen Ozean Fischfang betreiben. Warum sollten nicht auch die demokratischen Staaten zusammenkommen und Dinge diskutieren, die Demokratien verbinden? Und außerdem können wir niemals erwarten, dass Autokratien zustimmen, wenn Demokratien eine spezifische Sichtweise habe, wenn es um Fragen wie Schutzverpflichtungen geht oder die Frage der Weiterverbreitung von Demokratie. Autokratien geht es nicht darum, andere Autokratien zu unter- wandern. Autokratien geht es auch nicht darum, Veränderungen in Ländern wie der Ukraine und Georgien zu unterstützen. Das wollen nur die Demokratien, und sie haben es auch getan. Und dafür hätte ich gerne eine vielleicht etwas institutionellere Grundlage.

    Nanu? Hat sich Kagan, bisher einer der lautesten Vordenker des amerikanischen Neo-Konservatismus, dem wir aus dem Vorfeld des Irak-Krieges Bonmots verdanken wie "Amerikaner sind vom Mars, Europäer von der Venus", hat sich dieser flinke "Neocon" plötzlich vom interventionistischen Saulus zum multilateralen Paulus gewandelt? Nicht ganz. Den USA soll natürlich allein angesichts ihrer militärischen Stärke eine Führungsrolle bleiben, auch wenn sie, wie Kagan einräumt, nicht immun seien gegen, wie er schreibt, "all die normalen menschlichen und nationalen Schwächen: Arroganz und Selbstsucht, zuzeiten aber auch übertriebene Demut und ein missglückter Altruismus." Manchmal handelten sie, wenn sie sich zurückhalten sollten, dann wieder wäre Handeln geboten und sie unternähmen nichts. In einem "Konzert der Demokratien" jedenfalls gäben die USA zweifellos den Ton an, und die Tonart ist für Kagan ebenfalls klar:

    Die amerikanische Strategie besteht im Gefecht und in der Eindämmung des Konflikts. Das ist die Strategie. Nach allem, was ich weiß, ist das wahrscheinlich die beste Strategie. Aber sie besteht eben nicht nur im Kampf.

    Und hier führt Kagans schöne Idee, eine "Liga der Demokratien” für den ewigen Frieden auf Erden sorgen zu lassen, in die Sackgasse. Der Konflikt mit dem Diktator Saddam Hussein einte nicht etwa die Demokratien der Welt, sondern sorgte wegen der amerikanischen Taktvorgabe für nachhaltige Dissonanzen in ihrem globalen Konzert. Weitere eklatante Rechtsbrüche wie Abu Ghraib und Guantanamo besorgten ein übriges - Vorgänge, die Kagan nur als bedauerliche Entgleisungen zu betrachten scheint. Doch Kagan maßt sich in seiner im übrigen erfrischenden Analyse andererseits auch nicht an, fertige Antworten auf die neuen Machtkonstellationen auf der Welt zu liefern. Dies suggeriert lediglich der Siedler Verlag. Aus dem aus dem amerikanischen Originaltitel "The Return of History and the End of Dreams", also: "Die Wiederkehr der Geschichte und das Ende von Träumen” macht er für die deutsche Ausgabe reißerisch "Die Demokratie und ihre Feinde. Wer gestaltet die neue Weltordnung?" So weit geht nicht einmal der ruhiger gewordene Sonnyboy der "Neo-Cons".

    Robert Kagan: Die Demokratie und ihre Feinde - Wer gestaltet die neue Weltordnung? Aus dem Amerikanischen von Thorsten Schmidt. Siedler Verlag Originaltitel: The Return of History and the End of Dreams