Donnerstag, 18. April 2024

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China und der Vatikan
Peking hat Angst vor dem Papst

Papst Franziskus ist an guten Beziehungen zu China interessiert. Seine Vorgänger haben eine deutlich härtere Linie gegenüber der Kommunistischen Partei verfolgt. Peking und Vatikan verhandeln miteinander. Das hat Konsequenzen für Chinas Katholiken, die gespalten sind in 'Patriotische katholische Vereinigung' und 'Untergrundkirche'.

Sebastian Hesse im Gespräch mit Benedikt Schulz | 21.07.2016
    Chinesische Katholiken auf dem Weg zu einem Gottesdienst in Luxian County, Baoji City.
    Chinesische Katholiken auf dem Weg zu einem Gottesdienst in Luxian County, Baoji City (picture allliance / Imagechina / Chen Ning)
    Die Situation der katholischen Kirche in China ist kompliziert. Sebastian Hesse, ARD-Korrespondent in Shanghai, recherchiert an einer großen Sendung über Religionsgemeinschaften in China.
    Benedikt Schulz: Thaddeus Ma Daqin ist katholischer Bischof von Shanghai, vor etwa vier Jahren hat er seine Bischofsweihe empfangen – und annähernd den gleichen Zeitraum sitzt der Geistliche bereits in Hausarrest. Er hatte direkt nach der Zeremonie erklärt, nicht mehr Mitglied der Patriotischen Katholischen Vereinigung in China zu sein. Was steckt dahinter? Die katholische Kirche in China ist praktisch gespalten – in den offiziellen Teil, der von der chinesischen Regierung etabliert wurde und dem die erwähnte Patriotische Katholische Vereinigung vorsteht und der vom Vatikan nicht anerkannt wird. Auf der anderen Seite gibt es die inoffizielle Untergrundkirche, deren Mitglieder ihren Glauben heimlich ausüben – deren Bischöfe aber von Rom wiederum anerkannt werden. Und nun hat sich Bischof Ma, überraschend um praktisch 180 Grad gedreht und in einem Blogeintrag erklärt, dass sein Verhalten ein Fehler gewesen sei und die Patriotische Katholische Vereinigung, die lobte er hingegen in höchsten Tönen. Die Lage der Katholischen Kirche in China ist kompliziert. Darüber habe ich gesprochen mit Sebastian Hesse, ARD-Korrespondent in Shanghai. Und ich habe ihn gefragt: Was steckt hinter dem überraschenden Verhalten des Bischofs?
    Sebastian Hesse: Ja, ob das so überraschend kommt, darüber wird viel spekuliert in katholischen Kreisen natürlich, hier in China. Tatsächlich hat er ja vier Jahre lang – und das muss man sich halt immer auf der Zunge zergehen lassen: vier Jahre lang – in Hausarrest befunden, hat sich vier Jahre lang nicht um seine Diözese kümmern können, die war verwaist während dieser Zeit. Und ich könnte mir vorstellen, dass man da a) mürbe wird und dass man sich b) natürlich die Fragen stellt: Bringt es das eigentlich? Das, was einmal Symbolik sein sollte, Symbolik des Widerstandes, verhallt das nicht irgendwann mal, wenn es auch keine Aufmerksamkeit hat? Gibt es nicht vielleicht doch die Möglichkeit, im aktiven Dienst vielleicht mehr zu erreichen, in direktem Kontakt mit denen weiterzukommen? Ich nehme an, dass er vier Jahre lang solche Gedanken gewälzt hat und dann jetzt eben diese Trendwende vollzogen hat. Die Wortwahl darf man vielleicht nicht so auf die Waage legen – das ist eben so typisch Chinesisch, wenn man sich da so ein bisschen noch mit schöner Begrifflichkeiten bedient. Für uns klingt das so ein bisschen anbiedernd, hier wird das nicht so wahrgenommen.
    Viel härtere Haltung unter Benedikt
    Schulz: Es gibt die Spekulation, dass die jüngsten Verhandlungen zwischen dem Vatikan und der chinesischen Regierung eine Rolle spielen könnten. Halten Sie so etwas überhaupt für plausibel?
    Hesse: Ja, indirekt wird es sicherlich eine Rolle spielen. Also, Papst Benedikt XVI. hatte ja eine sehr viel härtere Haltung. Der hat gesagt: 'Auf keinen Fall erkennen wir diese offizielle oder in China offizielle katholische Kirche an', die er für staatsgelenkt und eben nicht vatikangelenkt hielt. Das stimmt ja auch ein Stück weit, denn diese Politik zu sagen, die Patriotische Vereinigung soll die katholische Kirche hier in China lenken, das ist ja ein Zeichen der Unabhängigkeit von ausländischen Einfluss, eines der chinesischen Ur-Traumata, weshalb man eben auch nicht den Vatikan haben will, der hier in China irgendetwas zu entscheiden hat. Also da war Benedikt sehr strikt und unter neuer Führung jetzt im Vatikan, unter Franziskus, hat sich das ein wenig geändert.
    Inzwischen gibt es regelmäßige Gespräche zwischen dem Vatikan und der chinesischen Führung. Man versucht eine Politik der Annäherung. Und es kann natürlich sein, dass Bischof Ma gesagt hat: 'Na ja, gut, das ist ein Stück weit vielleicht auch so, dass ein Rückhalt meinerseits dabei verloren geht und vielleicht sollte ich doch lieber Teil der Lösung sein, wenn die denn auf dem Verhandlungswege passiert, als eben jetzt bockig meinen Hausarrest fortzusetzen'.
    "Große Angst, dass Vatikan hier reinregiert"
    Schulz: Blicken wir mal konkret auf die Hintergründe. Warum ist die Lage der katholischen Kirche in China überhaupt so kompliziert? Sie haben es ein bisschen jetzt schon angedeutet.
    Hesse: Also, im Prinzip ist sie sogar relativ einfach, denn der Katholizismus ist eine der fünf offiziell anerkannten Religionen. Das kommunistische System hier in China ist nicht so religionsfeindlich, wie man das aus Osteuropa etwa kennt oder früher aus den harten Sowjetzeiten. Also, die fünf Religionsgemeinschaften – um sie mal kurz aufzuzählen: Der Taoismus, also sozusagen die chinesischste aller Religionen, der Buddhismus, der über Indien nach China gekommen ist, die beiden christlichen Konfessionen, der Protestantismus und der Katholizismus, die werden hier getrennt gerechnet, und der Islam – sind offiziell anerkannt. Da gibt es auch wenige Behinderungen im Alltag, es sei denn, da wird zu viel Einfluss im öffentlichen Leben gespielt, aber die sind immerhin anerkannt.
    Und beim Katholizismus ist es dann eben so, dass da natürlich durch die zentrale Verwaltung im Vatikan ein Element reinkommt, dass der chinesischen Führung traditionell überhaupt nicht passt, was gegen dieses Unabhängigkeitsgebot verstößt. Man hat große Angst, dass vom Vatikan aus eben hier reinregiert wird und duldet zum Beispiel auch nicht, dass Personalentscheidungen im Vatikan getroffen werden. Also, die offiziellen Bischöfe der anerkannten katholischen Kirche hier, die sind alle vor Ort ernannt worden und nicht über den Vatikan. Darüber hinaus gibt es noch 29 sogenannte Untergrund-Bischöfe. "Untergrund" klingt so putzig, weil das sind ja eigentlich nach unserer Lesart zumindest die offiziellen, die vom Vatikan anerkannten.
    Schulz: Dass die chinesische Regierung Einfluss von außen fürchtet, ist ja bekannt, das haben Sie auch gerade gesagt. Fürchtet sie denn den Einfluss des Vatikans in gewisser Weise zu Recht?
    Hesse: Na ja, es gibt da sicherlich viele Wertsysteme, die ein bisschen anders gelagert sind, könnte man in aller Vorsicht sagen. Hier haben wir es mit einem kommunistischen Regime zu tun, einem atheistisch definierten Regime, das Religion zwar duldet, aber nur da, wo sie eben auch lenkend eingreifen kann. Hier sind natürlich ganz andere Wertvorstellungen an der Tagesordnung. Dieser Kommunismus chinesischer Lesart ist ja eigentlich eine Art roter Kapitalismus, wenn man genauer hinguckt. Denn Konsum, Profitmaximierung - das sind ja alles ganz wichtige Dinge hier in China und das zieht sich bis in die Kirchen hinein.
    Die katholische Kirche Nanqiao im Distrikt Fengxian in Shanghai, China. Die Kirche erinnert an den französischen Missionar und ehemaligen Admiral Auguste Leopold, welcher am 17. Mai 1862 bei Kämpfen gegen die Taping Rebellen im Süden Shanghais ermordet wurde.
    Die katholische Kirche Nanqiao im Distrikt Fengxian in Shanghai, China. (picture alliance / Imaginechina / Weng Lei)
    Wir haben jetzt beispielsweise bei einer Wallfahrt zu Pfingsten, bei einer katholischen Kathedrale in der Nähe von Shanghai, eine Umfrage mal gemacht unter den Pilgern, die aus allen Landesteilen kamen, und da kamen dann ganz interessante Argumente, warum man denn religiös sei. Da haben die meisten dann geantwortet: 'Na ja, der Glaube, der gibt uns eine Art moralischen Kompass und dadurch machen wir ehrliche Geschäfte und dadurch sind wir geschäftlich auch so erfolgreich'. Also, ein Konnex, der vielleicht eher aus dem Protestantismus bei uns in Deutschland bekannt ist, der wird hier auch auf katholischer Seite gemacht. Und da sehen Sie, wie das so ein bisschen zusammenwirkt. Und da ist natürlich die Vorstellung von Glauben und Religiosität, wie sie hier praktiziert wird, und der, die der reinen Lehre des Vatikans entspricht, na ja, mitunter vielleicht etwas schwierig zusammenzuführen.
    "Vatikan ist mit Bockigkeit nicht weiter gekommen"
    Schulz: Sie haben angedeutet, dass der Vatikan seine Strategie, nennen wir es mal, modifiziert hat. Ich will das jetzt noch nicht Umarmungsstrategie nennen, aber man geht doch ein bisschen aufeinander zu. Man hat ja, wenn ich das richtig verstanden habe, auch die offiziellen, die von der chinesischen Regierung anerkannten Bischöfe, inzwischen auch anerkannt von Seiten des Vatikans. Ist das eine Strategie, die erfolgversprechend ist?
    Hesse: Das ist zumindest eine versöhnliche Strategie. Denn diese Bockigkeit, die die Haltung von vorher geprägt hat, das ist ja vielleicht auch was, wo man irgendwie nicht weitergekommen ist. Es gibt tatsächlich – Sie haben es gesagt – 112 Bischöfe der offiziellen katholischen Kirche in China, die werden von chinesischer Seite aus eingesetzt, unter starker Beteiligung eben dieser Patriotischen Gesellschaft.
    Diese Patriotische Gesellschaft gibt es in allen Religionsgemeinschaften hier und ist im Prinzip eine Art Mitbestimmungsorganisation des offiziellen Chinas, also sprich der kommunistischen Partei. Die haben hier Bischöfe ernannt. Das schmeckt dem Vatikan natürlich überhaupt nicht, aber er hat da ein bisschen Entgegenkommen gezeigt, indem er gesagt hat: 'Na gut, es sind ja trotzdem Katholiken und trotzdem müssen wir mit denen arbeiten und vor allen Dingen können wir diese unerträgliche Situation nicht verstetigen lassen, dass die von uns anerkannten, sogenannten Untergrund-Bischöfe, eben auch genau dort wirken, nur im Untergrund, und da natürlich auch Repressalien ausgesetzt sind'. Das hat ja vor allen Dingen negative Auswirkungen auf die Menschen vor Ort, die Menschen in den Gemeinden, die Gläubigen hier in China. Wenige sind das nicht: 13 Millionen Katholiken gibt es in China. Und deren tagtägliche Existenz ist natürlich unter diesen etwas bizarren Verhältnissen einer offiziellen Kirche, einer Untergrundkirche und all der Komplikationen, die das mit sich bringt, etwas schwierig.
    Es geht um Autorität und Macht
    Schulz: Was sind denn eigentlich strittige Punkte in den Verhandlungen zwischen China und dem Vatikan?
    Hesse: Na ja, vor allen Dingen scheint es mir im Kern auch um Autorität zu gehen. Das ist einerseits die katholische Kirche, die auf Autorität pocht - und genau da sagt eben die Pekinger Führung: 'Nein, das werden wir weiterhin nicht dulden'. Also, das ist schon so ein sehr formalistischer Streit. Und es geht natürlich ein bisschen auch um Macht, muss man sagen. Denn wir haben einen Trend hier, dass die Kirchen allgemein Zulauf haben, die christlichen Kirchen, vor allen Dingen die Protestanten – es gibt ungefähr 59 Millionen Protestanten. Wenn Sie da dann eben diese 13 Millionen Katholiken noch draufrechnen, dann sind das über 60 Millionen gläubige Christen und denen stehen nur rund 87 Millionen Parteimitglieder gegenüber. Und das ist natürlich schon was, was die Führung in Peking ein wenig nervös macht, dass wir dann irgendwann an einem Punkt sein könnten, wo es mehr Christen in China gibt als registrierte Kommunisten.
    Bald mehr Christen in China als registrierte Kommunisten.
    Schulz: Sie recherchieren gerade an einer größeren Sendung zum Thema "Religion in China" und Sie haben es gerade angedeutet die Patriotische Katholische Vereinigung – was steckt da genau dahinter?
    Hesse: Ja, also diese Patriotischen Vereinigungen, das sind im Grunde genommen Parteiapparate, die in allen Religionsgemeinschaften mitwirken. Die geben sich dann natürlich gläubig, die geben sich auch sozusagen versiert in den jeweiligen Glaubensgemeinschaften, wo sie wirken, also, im Islam gibt es die natürlich auch und in den buddhistischen Klöstern beispielsweise. Aber die achten natürlich vor Ort ganz gut darauf, dass nichts gelehrt wird, was sozusagen subversiv empfunden werden könnte durch die Parteiführung, was auch vielleicht der allgemeinen Staatslehre eben zuwider wäre. Also, im Grunde genommen ist es ein Aufpassergremium und eines, das vor allen Dingen eben auch auf den Leuten, den einzelnen Akteuren auf die Finger guckt. Und auch Bischof Ma, um auf ihn nochmal kurz zurück zu kommen, war eben jemand, der sich immer mit dieser Vereinigung arrangieren musste und das vielleicht in der Praxis dann nicht ganz so hingekriegt hat, wie sich das die Beteiligten gewünscht haben.
    Massive Beeinträchtigung von Journalisten und Gläubigen durch KP
    Schulz: Wenn Sie sich jetzt in diesen Bereich als Journalist, ich nenne es jetzt mal "gebohrt" haben, was haben Sie für Erfahrungen gemacht?
    Hesse: Ja, sehr durchwachsene und zum Teil auch sehr unangenehm negative Erfahrungen. Ich erzähle mal ein Beispiel: Ungefähr eine Flugstunde südlich hier von Shanghai, da liegt die Stadt Wenzhou. Wenzhou ist eine von diesen zweistelligen Millionenstädten, von denen die Meisten in Deutschland noch nichts gehört haben. Es ist eine ökonomisch ausgesprochen erfolgreiche Hafenstadt, wo viele, viele Millionäre und erfolgreiche Geschäftsleute wohnen und es ist die Stadt mit der größten Dichte an gläubigen Christen hier in China, weswegen manche es auch das 'Jerusalem Chinas' nennen, etwas vermessen vielleicht.
    Wir wollten dahinfahren und wollten eigentlich primär mit auch genau solchen Leuten reden, erfolgreichen Geschäftsleuten, die auch Gläubige sind und wollten gucken, wie sie also sozusagen ihr Profitstreben im Alltag und Beruf mit den Glauben unter einen Hut kriegen und hatten uns da mit mehreren Leuten verabredet, sowohl in der Stadt als auch in ländlicheren Regionen, und wollten gerne eine Fortschreibung schreiben einer Geschichte, die im Jahre 2014 auch in Deutschland, in Europa für Schlagzeilen gesorgt hatte. Da hatte nämlich die kommunistische Führung der Stadt angefangen, Kreuze zu demontieren auf den Kirchen der Stadt, eben so auch als kleines Muskelspiel und als Machtbeweis. Damals, vor zwei Jahren, war es noch möglich, mit den Akteuren die sich dagegen ausgesprochen haben und auch zu Aktivisten geworden waren, mit denen zu reden, mit denen Interviews zu führen. Das haben wir jetzt auch versucht und das Ganze ist einem totalen Desaster geendet.
    Wir sind also dahingeflogen, da hatten schon unsere Gesprächspartner, die Geschäftsleute, abgesagt zu unserer Verabredung, weil man Druck auf sie ausgeübt hatte, sie sollten doch nicht mit ausländischen Medien reden. Einer der Aktivisten, mit dem wir uns verabredet hatten, der ist verhaftet worden, der saß also den ganzen Tag im Polizeigewahrsam, auch um ihn davon abzuhalten, mit uns zu reden. Und wir sind auch empfangen worden vor der einen Kirche, die wir uns angucken wollten, die damals Schauplatz dieser Auseinandersetzungen waren, von fünf Behördenvertretern, die natürlich über unseren E-Mail-Verkehr und über unsere Telefonate, die hier abgehört werden, Bescheid gewusst haben, dass wir da kommen und möglicherweise eine Recherche durchführen, die unliebsam ist. Das Ganze haben wir irgendwann dann abgebrochen und haben auch unsere Gesprächspartner, mit denen wir verabredet waren auf dem Lande, dann nicht mehr besucht, um die nicht unnötig irgendwelchen Gefahren auszusetzen. Das Beispiel belegt also nicht nur das Ausmaß, in dem wir hier beobachtet werden in China als Auslandsmedien, sondern das zeigt eben auch, dass das Thema Religion durchaus immer noch als kritisches, als heikles betrachtet wird.
    Schulz: Über die katholische Kirche in China und die Beziehungen der chinesischen Regierung zum Vatikan waren das Informationen und Einschätzungen von Sebastian Hesse, ARD-Korrespondent in Shanghai. Ganz herzlichen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.