Sonntag, 28. April 2024

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Christoph Maria Herbst
"Stromberg liebt nicht mal sich selbst"

Mit der Figur Stromberg spielt Christoph Maria Herbst einen Charakter so komisch und so aus dem Leben gegriffen, dass man den Darsteller und seine Rolle leicht verwechseln könnte. Im Deutschlandfunk verrät Herbst, wie er es mit der "Vollmaske" Stromberg zehn Jahre lang ausgehalten hat.

Christoph Maria Herbst im Gespräch mit Timo Grampes | 19.02.2014
    Für den 90-minütigen Kinofilm "Stromberg - Der Film" macht das Team der imaginären Capitol-Versicherung einen Betriebsausflug.
    Christoph Maria Herbst als Stromberg (m.) umringt von Film- und Firmenkollegen. (picture alliance / dpa)
    Timo Grampes: Christoph Maria Herbst, es hat ein beliebtes Ritual gegeben in Ihrem Leben: Immer, wenn Sie eine Stromberg-Staffel zu Ende gedreht hatten, dann haben Sie die Stromberg'sche Halbglatzen-Frisur und den Klobrillen-Bart abgesäbelt, und dann beides in der Kloschüssel versenkt und runter gespült. Jetzt ist es ja vorbei mit Stromberg. Wie froh sind Sie denn, nicht mehr aussehen zu müssen wie der Typ?
    Christoph Maria Herbst: Gar nicht froh, eigentlich. Die Figur hat mir über zehn Jahre sehr viel Freude gemacht. Meinem sozialen Umfeld nicht immer zwingend, weil das schon eine Vollmaske war, in der ich während der Dreharbeiten rumlaufen musste. Aber mir schon. Das war eine ganz besondere Zeit, auf die ich da jetzt zurück gucke. Mit immer dem selben Team, weil wir von der ersten Staffel an das Team niemals gewechselt haben. Und das lässt man dann nicht so leichtfertig gehen. Also, wir lagen uns schon mit Tränen in den Augen am letzten Drehtag in den Armen. Nicht mehr so aussehen zu müssen wie Stromberg in der nächsten Zeit, das erfüllt mich schon mit Freude, das stimmt. Aber auch da will ich mich nicht beklagen, es war meine eigene Idee. Ich war derjenige, der damals gesagt hat: 'Ich muss den Stromberg mit Halbglatze und Kinderschänder-Bart spielen!' Und deshalb will ich jetzt da im Nachhinein nicht lamentieren.
    Grampes: Also, ein bisschen Trennungsschmerz schwingt durchaus mit, höre ich raus. Mit Vollmaske während der Dreharbeiten, da waren Sie gefordert. Und das war eine Herausforderung auch vor den Dreharbeiten. Sie haben mal erzählt, dass sozial nicht viel mit Ihnen anzufangen gewesen ist, jeweils schon ein paar Wochen vor den Dreharbeiten zu Stromberg. Wie dürfen wir uns denn Ihre ganz normale Stromberg-Asozialität vorstellen?
    Herbst: Ja, wenn ich dann auf einmal aussehe wie der Papa, bin ich es natürlich auch für viele auf der Straße oder wenn ich im Supermarkt an der Kasse stehe. Dafür gibt es ja die gute alte Baseball-Kappe mit dem Schirm oben. Und die zieht man sich dann einfach ein bisschen weiter ins Gesicht. Ich kann da schon ganz gut mit leben. Und in dem Veedel, in dem ich lebe in Köln, die Menschen auch. Die wissen, wer ich bin und da wird dann kein großes Aufheben mehr drum gemacht. Aber ich stelle schon fest, dass es während der Dreharbeiten sehr anstrengend ist. Komödie, gerade wenn sie so leicht daherkommt ... Das bedarf schon besonderer Arbeit, das so weit zu kriegen, dass sie so leicht daher kommt. Und in der Zeit bin ich schon besonders zart besaitet und ziehe mich dann schon eher zurück. Aber das ist, glaube ich, ein ganz normaler Vorgang, wenn man eine Doktorarbeit schreibt oder irgend einen Job hat, der einen gerade massiv einspannt. Das kann, glaube ich, jeder nachvollziehen. Und wenn ich Stromberg drehe, dann ist das so, als würde ich gerade eine Doktorarbeit schreiben oder hätte gerade einen Managerberuf, im mittleren oder oberen Management. Bei mir ist es Gott sei dank immer endlich, eine überschaubare Zeit. Und insofern: 'Et hätt noch emmer joot jejange', wie wir in Köln sagen.
    Ein fleischgewordener Schrei nach Liebe
    Grampes: Rückzug gehört also dazu. Sie haben mal gesagt, Stromberg sei ein ganz einsamer Mensch. Wie meinen Sie das?
    Herbst: Ich habe an einer anderen Stelle auch mal gesagt, dass er ein fleischgewordener Schrei nach Liebe sei. Ich glaube schon, dass der sich windet in seinem Alltag. Dass der gerne sozialen Kontakt hätte, zu dem es aber einfach nicht kommt. Das ist ja mit ein Grund, warum er sich selbst immer als 'Papa' bezeichnet. Er wird von allen anderen aber als 'Papa' nicht gesehen, sondern nur er sieht sich so. Also, der lebt schon in seiner ganz eigenen Welt. In seinem ganz eigenen Kosmos. Und das macht ihn zu einer sehr tragikomischen Figur.
    Grampes: Der Typ, der will Liebe, haben Sie gesagt. Und die versucht er ja auch zu bekommen, indem er ganz vielen Menschen nach dem Mund redet. Und da fragt man sich ja auch: Wer ist der Typ eigentlich? Weiß der Typ eigentlich, wer er ist und was sein wahres Selbst ist? Wenn wir jetzt mal davon ausgehen: Das wahre Selbst ist ein Mensch, der Selbstbewusstsein hat, der eine Gewissheit hat, dass er geliebt wird. Davon mal ausgehend, was meinen Sie: Wie viel wahres Selbst kann der Mensch eigentlich haben?
    Herbst: Hui, jetzt wird's philosophisch! Wenn Stromberg etwas nicht hat, dann ein Bewusstsein seiner selbst. Deswegen ist er auch eigentlich in jeder Szene, in jeder Folge, auch im Kinofilm in vielen Momenten wieder irgendjemand anderes. Er ist wie so ein Stück Seife, wie ein Pudding, den man versucht, an die Wand zu nageln. Es gelingt Ihnen einfach nicht. Er sagt von sich selbst, und das meint er positiv, er wäre wie ein Wiesel oder wie ein Chamäleon, das in jeder Situation einfach in einer anderen Farbe oder in einer anderen Erscheinungsform daher kommt. Das klingt nach schwerer Psychose, nach multipler Persönlichkeit.
    Grampes: Oder nach etwas, das man im Alltag ganz oft erlebt: eine gewisse Anpassung, eine Biegsamkeit. Also, noch mal zurück zum Philosophischen: Wie viel Selbst können wir eigentlich sein, wie viel wahres Selbst?
    Herbst: Das ist eine gute Frage. Das muss, glaube ich, jeder für sich selbst rauskriegen. Wenn wir den Satz aus der Bibel nehmen: 'Liebe deinen Nächsten wie dich selbst' - da ist das ja auch so ein bisschen verankert. Sich selbst so zu lieben, sich selbst so anzunehmen, wie man den anderen annimmt und wertschätzt. Das setzt natürlich erst mal voraus, dass wir uns selbst annehmen und selbst wertschätzen. Das Maß, in dem wir das schaffen, muss glaube ich jeder für sich selbst finden. Stromberg, der liebt nicht mal sich selbst. Deshalb ist der auch nicht liebesfähig.
    Mach erst mal die Banklehre!
    Grampes: Wer hat Sie denn ermutigt, Sie selbst zu sein?
    Herbst: Ich glaube, mein Elternhaus hat dafür gesorgt, dass ich der werden durfte, der ich jetzt bin. Und ich fühle mich wohl als der, der ich bin. Und das habe ich erst mal meinem unmittelbarsten Umfeld, das mich am stärksten geprägt hat und auch über die meiste Zeit meines Lebens, zu verdanken. Und es widerspricht sich nicht, wenn ich sage, dass meine Eltern erst mal wollten, dass ich eine Banklehre mache. Und ich habe ihnen immer gesagt: 'Ich möchte aber Schauspieler werden!' - 'Ja, nun mach erst mal die Banklehre!' Dann habe ich diese Banklehre gemacht. Und der Deal war, dass ich danach das mache, worauf ich Bock habe - und das war dann eben Schauspielerei. Meine Eltern sind dann meine größten Fans geworden und sind mir dann in jede Klitsche und jede Provinz, in der ich Theater gespielt habe, hinterher gereist. Und haben selbst in den schlimmsten Inszenierungen, die ich gespielt habe, es ganz toll gefunden, was ich da mache. Das hat auch was mit Liebe zu tun!
    Grampes: Und im Rückblick fanden Ihre Eltern die Banklehre immer noch sinnvoll?
    Herbst: Nicht nur sie, sondern auch ich. Und das sind auch nicht zwei Jahre gewesen, wo ich sage: Boah, die sind mir geraubt worden! Weil, zur selben Zeit hatte mich die Bundeswehr untauglich geschrieben. So hat mir das Schicksal wieder zwei Jahre in den Schoß gespült. Und die habe ich dann fast gerne bei der Deutschen Bank in Wuppertal verbracht.
    Grampes: Sehr gut, dass die hier auch noch ihren Platz findet. Aber Sie haben Ihren Platz und Ihre Bestimmung dann doch im Schauspiel gefunden. Da da sind Sie Sie selbst. Wann fällt es Ihnen denn schwer, Sie selbst zu sein?
    Herbst: Mir fällt es eigentlich überhaupt nicht schwer, ich selbst zu sein, weil ich weiß, wer ich bin. Ich weiß auch, wo ich hin gehöre. Und ich glaube, nur aus dem Bewusstsein seiner Selbst kann man dann auch andere Rollen spielen. In dem Moment, wo ich dieses Potenzial nicht hätte, mir meiner Selbst klar zu sein, würde ich mich in anderen Rollen so verlieren, dass es pathologisch wäre. Gerade im Falle Strombergs möchte ich die Zügel in der Hand behalten und genau wissen, wer hier wen spielt.
    Grampes: Herr Herbst, schauen wir abschließend auf Ihre völlig selbstbestimmte und stromberg-freie Zukunft. Was da raus fällt ist: Lesereise machen mit einer Doktorarbeit zum Thema 'Penisverletzungen bei Masturbation mit Staubsaugern.' Die haben Sie nämlich schon gemacht. Dschungelcamp-Moderation wollten Sie nicht. Was wollen Sie denn noch?
    Herbst: (Lacht) Eine Corso-Moderation, so eine schöne Corso-Moderation! Die würde mir noch ... nein, Quatsch. Hat aber alles Spaß gemacht zu seiner Zeit. Es hat Spaß gemacht, die Dschungel-Moderation abzusagen. Es hat Spaß gemacht, mit Charlotte Roche damals diese Dissertation von einem bis heute anonym gebliebenen Urologen vorzulesen. Ich bin sicher, dass es mich, in welcher Form auch immer, auch nach Stromberg noch geben wird. Allein, wie das aussehen wird - da lassen Sie mir noch ein bisschen Zeit.