Freitag, 19. April 2024

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Clara Schumann zum 200.
Musik aus Liebe

Eine österreichische Nebenbuhlerin, ein spielsüchtiger Geliebter, ein unglücklich verliebter Freund: Die Pianistin Yaara Tal hat auf ihrer neuen CD kleine Geschichten zu Clara Schumann gesammelt, die alle eins gemeinsam haben: Musik, die aus Liebe komponiert wurde.

Am Mikrofon: Susann El Kassar | 11.08.2019
    Eine Frau mit braunen lockigen Haaren blickt nach links. Es ist die Pianistin Yaara Tal.
    Yaara Tal hat mit "Love?" ihre dritte Solo-CD veröffentlicht. (Gustav Eckart)
    Musik: Clara Schumann, Romanze Nr.2, op.11
    "Dass [er und Clara] Mann und Frau werden müssen" wurde Robert Schumann ein weiteres Mal klar, als er diese Romanze seiner Verlobten Clara Wieck hörte. Im Juli 1839 schrieb er ihr: "Du vervollständigst mich als Componist, wie ich Dich. Jeder deiner Gedanken kömmt aus meiner Seele, wie ich ja meine Musik Dir zu verdanken habe."
    Für beide war ihre Liebe anfangs eine künstlerische Symbiose, er animierte sie, etwas zu komponieren oder eins seiner Werke auf dem Klavier zu spielen und andersherum inspirierte sie ihn, Musik zu schreiben. Musik, die aus Liebe entstanden ist, um solche dreht sich die neue CD der Pianistin Yaara Tal.
    Hommage an Clara Schumann - aber wie viel Clara steckt drin?
    Die Liebe von Robert und Clara Schumann ist nur ein Ausgangspunkt dieser CD, auf der Yaara Tal ein Beziehungsgeflecht ausbreitet, das immer – wenn auch manchmal nur indirekt – mit Clara Schumann zu tun hat. Die Pianistin und Komponistin wäre in diesem Jahr, am 13. September 200 Jahre alt geworden und aus diesem Grund sind in den vergangenen Monaten bereits einige CDs rund um Clara Schumann erschienen. Bei allen stellt sich die Frage, welches Clara-Bild sie transportieren? Wie viel eigene Kompositionen von ihr finden sich auf der CD? Und wird - wie sonst gerne - auf Roberts Musik ausgewichen?
    Die Pianistin Yaara Tal spart Robert Schumann ganz aus. Aber auch von Clara Schumann hören wir nur die drei Romanzen op.11, die sie noch als Clara Wieck veröffentlicht hat. Dafür finden sich auf der CD Klavierwerke von Julie von Webenau, Theodor Kirchner und Johannes Brahms. Und eine ungewöhnliche Bearbeitung der Alt-Rhapsodie von Brahms, zu dieser kommen wir später.
    An den Anfang der CD stellt Yaara Tal zwei Fantasiestücke von Julie von Webenau. Die Österreicherin gehörte wie Clara Schumann zur Anfang des 19. Jahrhunderts seltenen Spezies der Komponistinnen. Und sie trat ebenfalls öffentlich als Pianistin auf und spielte ihre Werke. Ihr op.25 namens "L’Adieu et le Retour", der Abschied und das Wiedersehen hat Yaara Tal ausgegraben und zum ersten Mal auf CD aufgenommen.
    Musik: Julie von Webenau, Le Retour, op.25
    Julie von Webenau widmete "L’Adieu et le Retour" Robert Schumann, es erschien 1840. Ihm zufolge war diese Widmung Zeichen der besonderen Zuneigung zu ihm. Clara gegenüber nannte er die Österreicherin sogar eine "gefährliche Nebenbuhlerin". Möglicherweise war es eher ein Techtelmechtel in Wien als Liebe, (von Webenau war zu diesem Zeitpunkt bereits mit dem Juristen Wilhelm Weber Edler von Webenau verheiratet) – trotzdem nimmt Yaara Tal hier den roten Liebesfaden auf.
    Eine musikalische Erzählung wie eine Liebesgeschichte im Roman
    Tal erweitert durch von Webenau unseren begrenzten Horizont von romantischen Komponisten um eine weitere Frau; wir erfahren, dass sie Schülerin von Mozarts Sohn, Franz Xaver Wolfgang Mozart war und in Wien einigen Erfolg als Pianistin und auch Komponistin hatte.
    Musikalisch ist L'Adieu et le Retour etwas schlicht, aber das Liebliche, Naive dieser Phrasen lässt uns wie ein seichter Frauen-Roman der Zeit in den Kopf einer Verliebten beim Abschied gucken.
    Musik: Julie von Webenau, L'Adieu, op.25
    Yaara Tal nähert sich Schumann und von Webenau mit einem Gespür für die Phrasen; sie romantisiert die Musik nicht zusätzlich, sondern behält einen distanzierten Blick auf alles. Gleichzeitig präsentiert sie uns diese Musik nicht auf Hochglanz poliert, sondern als Kunst des flüchtigen Moments.
    Musik: Clara Schumann, Romanze Nr. 3, op.11
    Die Ehe von Clara und Robert Schumann hielt bis zu dessen Tod im Jahr 1856. Danach gelang es Clara Schumann mit Konzerttourneen und Klavierunterricht, ihre große Familie zu versorgen. Ein zweites Mal heiraten würde sie bis zu ihrem Lebensende 1896 nicht, Verehrer hatte sie aber schon. Einer von ihnen: Theodor Kirchner. Er kannte Clara Schumann durch ihren Mann, der Kirchner gefördert hatte. 1859 widmete Theodor Kirchner Clara Schumann seine Preludes op.9. Yaara Tal hat daraus drei im Charakter sehr verschiedene Preludes ausgesucht, die Kirchners musikalische Wurzeln insbesondere bei Schumann offenlegen.
    Musik: Theodor Kirchner, Prelude Nr. 11, op.9
    Im Sommer 1863 sind sich Theodor Kirchner und Clara Schumann bei Baden-Baden nähergekommen, für einige Wochen war er ihr Geliebter. Aber die Beziehung hielt nicht lange, weil Clara Schumann erkennen musste, dass Kirchner an Spielsucht litt. Er schien ihr Geld mehr zu lieben als sie und ihre Versuche, ihn vom Spielen abzubringen, scheiterten. Daraufhin beendete sie die Freundschaft.
    Brahms, der unglücklich Verliebte
    Eine lebenslange, tief empfundene Freundschaft dagegen verband Johannes Brahms und Clara Schumann. Auch Liebe scheint zwischen ihr und dem 14-Jahre jüngeren Hanseaten einmal aufgeflammt zu sein, aber um diese unterdrückte oder bewusst nicht gelebte Liebe geht es Yaara Tal auf ihrer neuen CD nicht. Mit zwei Werken richtet sie die Aufmerksamkeit auf Johannes Brahms’ Zuneigung für Julie Schumann, das dritte Kind von Robert und Clara.
    Zu Julies 16. Geburtstag schenkte Brahms ihr eine Folge von 10 Variationen über ein Thema ihres Vaters, die sogenannten Geistervariationen. Diese Komposition für Klavier zu vier Händen spielt Yaara Tal zusammen mit ihrem langjährigen Duo-Partner Andreas Groethuysen. Für die beiden gehören die Geister-Variationen zum Repertoire, sie wissen, wie man sie in all ihren Schattierungen fein ausgeleuchtet.
    Musik: Johannes Brahms, Variationen über ein Thema von Robert Schumann, op.23; Thema und Variation I
    1869 heiratete Julie Schumann den Grafen Vittorio Amadeo Radicati di Marmorito. Brahms war Trauzeuge und nicht glücklich über diese Eheschließung. Zur Hochzeit schrieb er die Alt-Rhapsodie op. 53, deren überwiegend düstere Stimmung nicht recht zu diesem freudigen Ereignis passen will. Vielleicht hat Brahms hier seine Bitternis einfließen lassen, dass Julie Schumann nicht ihn geheiratet hat – auch wenn er sie nie gefragt hat. Clara Schumann gegenüber nannte er das Stück sarkastisch "seinen" Brautgesang. Die von Brahms vorgesehene Besetzung ist eine Alt-Stimme, ein Männerchor und Orchester. Yaara Tal aber wollte das Experiment wagen und die Stimmfächer ändern: Nicht ein Alt, sondern ein Tenor, ein Mann, sollte von Öde und Menschenhass singen, und am Schluss würde besser ein Frauenchor die tröstende Bitte aussprechen. Der Tenor Julian Pregardien, der Chor des Bayrischen Rundfunks und der Dirigent Yuval Weinberg haben sich auf dieses Experiment eingelassen:
    Musik: Johannes Brahms, Rhapsodie, op. 53
    Diese Bearbeitung der Alt-Rhapsodie ist für mich das Highlight dieses Konzept-Albums. Durch die Klavierbearbeitung – von Brahms selbst - erhält die Rhapsodie einen kammermusikalischen Charakter, er unterstreicht die menschliche Kälte, die aus den Versen spricht. Julian Pregardien singt textverständlich und weiß gewohnt klug die Vokale zu färben und die Verse zu deuten. Nur der Frauenchor fügt sich nicht so homogen in den Gesamtklang wie der ursprüngliche Männerchor, die Frauenstimmen geben dafür dem Dur-Schluss eine ätherische, verklärende, allerdings auch knapp am Kitsch vorbeischrappende Note.
    Musik: Johannes Brahms, Rhapsodie, op. 53
    Mir gefällt, dass Yaara Tal so mutig war, ein Werk von Brahms zu verändern; nicht, - weil sie glaubte es besser zu wissen als Brahms selbst oder weil sie das Original vielleicht nicht schätzt – sondern: sie ging davon aus, dass so etwas Neues zum Vorschein kommt. Das ist ein Zeichen eines lebendigen Umgangs mit dieser alten Kunst. Und auch aus der Kombination der Stücke wird ersichtlich, dass Yaara Tal sich gerne bewusst mit den Dingen auseinandersetzt. Die Pianistin hat Lust unbekannte Werke von Kirchner oder von Webenau zu finden, sie uns zu präsentieren und dadurch auch etwas über die Menschen dahinter zu erzählen. Ihre CD wird so zu einem anregenden Beitrag zum Clara-Schumann-Jubiläumsjahr. Und durch das Beziehungsgeflecht – egal ob Liebe oder nicht – erfahren wir am Ende nicht nur etwas über die Jubilarin dieses Jahres, Clara Schumann.
    Love?
    Yaara Tal, Klavier
    Andreas Groethuysen, Klavier
    Julian Pregardien, Tenor
    Chor des Bayrischen Rundfunks
    Leitung: Yuval Weinberg
    Sony Classical