Donnerstag, 28. März 2024

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Club Berghain erfindet sich neu
"Eine postglobalisierte Musik mit sehr politischen Inhalten"

Das Berliner Berghain galt lange als bester Club der Welt - aber zuletzt mehrten sich kritische Stimmen, die der Techno-Kathedrale Ausverkauf vorwarfen. Die Macher kontern mit der Eröffnung des neuen Floors "Säule". Der Club gehe ein Stück weit weg vom selbstbezüglichen Minimal Techno, hin zu einer neuen Weltmusik, sagte Popkritiker Jens Balzer im Dlf.

Jens Balzer im Corsogespräch mit Christoph Reimann | 20.06.2017
    Menschen stehen in einer langen Schlange vor dem Berliner Club Berghain - aufgenommen am 04.09.2012.
    "In der 'Säule' ist es mittlerweile verlässlich voll", sagt Musikkritiker Jens Balzer (imago / Imagebroker)
    Christoph Reimann: Das Berliner Berghain wurde bekannt mit harten House- und Technoklängen und galt lange als "bester Club der Welt" - eben wegen des Sounds, der das ganze Gebäude und einen selbst erfasst, wegen des Lichts, das so schön durch die hohen Räume geistert und wegen der dunklen Ecken, in denen alles möglich ist. Zuletzt aber mehrten sich die Stimmen, die der Techno-Kathedrale zu viel touristischen Charakter vorwarfen. Jetzt hat das Berghain einen neuen Floor eröffnet: die Säule. Vielleicht, um den alten Ruf wiederherzustellen? Jens Balzer, Musikkritiker und Berghain-Gänger, was ist denn da zu hören in der Säule?
    Jens Balzer: Aufgemacht hat die im Frühjahr und zur Eröffnung gab es eine tunesische Produzentin namens Deena Abdelwahed, die einen düsteren Elektro-Minimalismus pflegte, wie man ihn sonst schon auch aus dem Berghain kennt, aber die ihn dann mit so Sounds von arabischen Instrumenten mixte. Also zum Beispiel von einer Kastenzither namens Kanun, und dazu sampelte sie Fragmente aus politischen Reden von tunesischen Aktivisten aus dem arabischen Frühling. Oder sie sang mit rauf- und runtergepitchter Stimme, mit viel Auto-Tune-Effekten drauf, eben so, dass man sie geschlechtlich nicht mehr zuordnen konnte, ein Mutmachlied für die queeren Aktivisten in Tunesien, die gerade doch irgendwie sehr unter Druck geraten sind. Und das war die Eröffnung.
    Dann gab es so allerlei Dinge, die wirklich erstaunlich waren. Zum Beispiel vor zwei Wochen einen Abend aus Südafrika mit DJs aus den Townships von Durban, da gibt es eine Musik namens Gqom, die klingt so, wie das, was man so Footwork nennt gerade so in den westlichen Staaten, aber halt aus einer völlig anderen Tradition kommend. Da gibt es eine ganz große, postglobalisierte Musik zu entdecken mit auch sehr politischen Inhalten.
    Mein Lieblingskonzert in den letzten Wochen war aber Nadia Tehran, eine in Schweden aufgewachsene Exil-Iranerin, die gleichermaßen, also so, wie die junge M.I.A. vielleicht könnte man sagen, gleichermaßen gegen Rassismus in Europa rappt wie gegen die patriarchalen Verhältnisse im Iran, wo ihre Familie herkommt.
    Weltmusik 2.0
    Reimann: Da steckt also schon irgendwie eine Linie drin, in dem Programm, das die Berghain-Macher da aussuchen?
    Balzer: Ja, kann man sagen. Das ist das, was ich eben schon versucht habe als postglobalisierten Sound zu bezeichnen: Also es folgt im weitesten Sinne schon so einer Traditionslinie, die man Techno, Elektro nennen könnte irgendwie. Aber der Minimalismus, der dem klassischen Berghain-Techno ja immer zu eigen war, der immer auch so was Selbstbezügliches hatte – oder sowas Indifferentes gegenüber der Welt draußen drumrum – der wird jetzt gerade genutzt, als gleichmachendes Beatbett, könnte man sagen, in das sich jetzt irgendwie alles mögliche hineinlegen lässt, alle möglichen Sounds aus aller Welt.
    Das ist natürlich eine Tradition, die nicht im Berghain erfunden wurde, aber die, wenn man sich mal so umgeschaut hat in den letzten ein, zwei Jahren - im Internet, auf Soundcloud, auf Bandcamp, in diesen Foren - in der Luft gelegen hat. Also man kann vielleicht sagen, es gibt so eine Art Weltmusik 2.0 oder neue Weltmusik – das ist da irgendwie alles ein großer Eklektizismus, der aber musikalisch sehr interessant ist gerade.
    Reimann: Ja, nicht ganz neu ist das, sagen Sie, was da jetzt im Berghain auch zu hören ist, aber vielleicht eine halbe Neuerfindung für das Berghain selber? Mussten die das jetzt machen? Mussten die denn jetzt irgendwas Neues machen? Vielleicht auch, um wegzukommen von so einem, tja, so einem Touri-Image, was das Berghain ja zuletzt wirklich so ein bisschen hatte?
    Balzer: Ich finde ja dieses Image ein bisschen ungerecht. Also wenn man tatsächlich regelmäßig da hingeht und nicht nur mal sich dann immer so als externer Beobachter so alle paar Jahre mal irgendwie versucht in die Schlange zu stellen, am Besten noch in einer Sonnabend-Nacht, wenn dann tatsächlich alles voll mit Touristen ist, dann hat man ja schon gemerkt, dass das Berghain sich in den letzten drei, vier, fünf, sechs Jahren immer wieder – nicht neu erfunden hat – aber immer wieder anverwandelt hat, an dem, was in der Welt drumrum passiert. Also es gab da irgendwie sehr interessante Konzerte, irgendwie unter der Woche, also nicht während der Clubnächte …
    "Sehr guter Move der Berghain-Betreiber"
    Reimann: Dann müsste man vielleicht eher sagen: Nach wie vor am Puls der Zeit?
    Balzer: Am Puls der Zeit, ja. Es gab alle möglichen verschiedenen Kunstformen, also auch multimediale Kunst. Nur, was man jetzt beobachten kann: Dass sich die Tanzmusik langsam verändert. Also wird das, was man so avancierteste Clubmusik nennen könnte mit diesen postglobalisierten Sounds dann vielleicht doch … also, es gab auch Experimente, das so ins Berghain-Programm einzubinden während der Clubnächte, aber sich das vielleicht doch erst mal so auseinanderentwickelt hat, dass man dafür so einen eigenen Raum braucht, um diesen Experimenten nachzugehen. Insofern fand ich das eine sehr gute Idee, also auch einen sehr guten Move der Berghain-Betreiber, sich jetzt dafür so einen dritten Dancefloor neben dem großen Berghain und der Panorama Bar einzurichten.
    Reimann: Und geht das auf? Ist die Tanzfläche voll in der Säule?
    Balzer: Ja. Es ist halt so: Bei der Eröffnung war es natürlich voll irgendwie und dann konnte man beobachten, dass es dann vielleicht vier bis sechs Wochen so ein bisschen durchhing, bis sich das so etabliert hat, aber jetzt waren … also auch, sagen wir mal, bei den südafrikanischen DJs oder auch bei Veranstaltungen mit DJs, die halt nicht so bekannt sind und die dann natürlich auch in der Nacht von Donnerstag auf Freitag so erst um Mitternacht anfangen und bis morgens um sechs gehen – da kann ja auch nicht jeder hin, zu diesen Zeiten irgendwie – aber auch da ist es mittlerweile verlässlich voll. Also es hat sich innerhalb kurzer Zeit als neue Dancefloor-Institution etabliert - und das ist gut, weil damit den Leuten auch mal Sounds nahegebracht werden, die sie vielleicht bisher nicht kannten.
    Reimann: Die Säule - eine neue Tanzfläche im Berliner Berghain. Und offenbar ein Gewinn für das Berghain und Berlin. Das sagt der Musikkritiker Jens Balzer. Vielen Dank für das Gespräch.
    Balzer: Dankeschön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.