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Clubkultur in Köln
Rettung für das Gebäude 9

Die Lage für das Kölner Gebäude 9 schien bis vor Kurzem noch aussichtslos: Der Club auf einer Industriebrache sollte einem neuen Wohn- und Geschäftsviertel weichen. Und das, obwohl er gerade erst den "Bundesspielstättenpreis" für sein ambitioniertes Programm erhalten hat. Jetzt wird der Mietvertrag noch mal verlängert.

Von Peter Backof | 14.04.2014
    Der Sänger Jamie T. steht auf der Bühne im Gebäude 9 und singt ins Mikrofon, vor ihm das Publikum.
    Rund 400 Besucher kommen pro Konzert ins Gebäude 9. (picture alliance / dpa/ Felix Heyder)
    Jan van Weegen: "Das hat sich ganz schnell entwickelt, als diese Meldung kam, dass vermutlich diese Planung des Mülheimer Südens vermutlich ohne das Gebäude 9 weitergeht. Aus unterschiedlichen Richtungen haben sich Leute zu Wort gemeldet, haben sich in den sozialen Netzwerken entsetzt darüber geäußert."
    15.000 "Gefällt mir!"- Klicks auf Facebook kamen innerhalb weniger Tage zusammen. Klicks, die eigentlich "Gefällt mir nicht!" meinten. Zehntausende teilten im Netz ihren Ärger, dass das Gebäude 9 geschlossen werden sollte. Jan van Weegen, Betreiber des Musikclubs, hatte das selber gar nicht initiiert und war umso überraschter über den Sturm der Solidarität. Sein Club sollte einem Wohn- und Geschäftskomplex weichen. Das wurde Anfang April bekannt. Am vergangenen Freitag konnte er im Stadtplanungsausschuss aushandeln: Der Mietvertrag mit dem Eigentümer, der Sparkasse, wird nun doch für ein weiteres Jahr verlängert. So wie bisher, in den vergangenen 17 Jahren. Ein Erfolg, der durch Empörung in sozialen Netzwerken zustande kam?
    Kreative in Köln-Mülheim
    Wir sind im Kölner Stadtteil Mülheim, Süd: Ein satter Quadratkilometer mit Gebäuden aus rotem Industriebackstein, die ehemaligen Hallen der Maschinen- und Traktorenfabrik Klöckner-Humboldt-Deutz. Hier, in angeranzter Loft-Atmosphäre, haben sich in den vergangenen 20 Jahren Kreative angesiedelt, das "Kunstwerk" steht hier, Deutschlands größtes Künstlerhaus, und eben das Gebäude 9, ein Musikclub für 400 Besucher pro Konzert.
    "Hier ist seit Jahrzehnten in der Nachbarschaft eine große Brachfläche, die sich einfach anbietet, dass man das mal fortentwickeln muss, Wohngebäude hingebaut werden müssen. Das liegt eigentlich auf der Hand."
    Und hat seine Berechtigung. Viel Leerstand rund ums Gebäude 9, viele eingeschmissene Fensterscheiben. Der Braten war schon zu riechen: Wer auf dem Gelände in letzter Zeit ein Atelier mieten wollte, bekam nur noch einen auf drei Monate befristeten Vertrag. Relative Nähe zur City, Wohnen mit Blick auf den Rhein! – die Kölner Stadtplanung strebt einen Paradigmenwechsel für den Stadtteil an, der oft auch spöttisch Klein-Istanbul genannt wird. Wird das Gebäude 9 also weg-gentrifizierert? Nein, davon könne man nicht sprechen, meint Jan van Weegen, denn Mülheim sei bislang alles andere als hip.
    Konstruktive Gespräche statt Gut gegen Böse
    Man stelle sich die Szene - nach dem Paradigmenwechsel - vor: Mehrere ausgewachsene Rockkonzerte unter der Woche, mitten in einer verkehrsberuhigten Nachbarschaft, in der Menschen Kinder großziehen? Das wäre absurde Inklusion. Das wollten weder der Investor noch die Lokalpolitik. Und dass Köln mehr Wohnungen braucht, bezweifelt auch niemand. Deswegen haben sich die Unterstützer des Musikclubs gegen populistische Strategien entschieden. Die Debatten im Überlebenskampf sollten rational und konstruktiv geführt werden, sowohl bei den Verhandlungen im Stadtplanungsausschuss als auch bei der Kampagne im Internet:
    "Dass wir es kreativ und sachlich machen, eben mit einer Link-Sammlung, mit Videobotschaften von Künstlern, alles ganz gut strukturiert. Dass man auch vermieden hat, dass das in endlosen Diskussionen und Kommentaren endet. Dass es informativ ist, man die Ruhe behält und nicht da einen Shitstorm startet, der keinem was bringt."
    Also nicht David gegen Goliath, "gute" alternative Clubkultur versus "böser" Immobilien-Investor. Immerhin konnte Jan van Weegen bei den Verhandlungen mit Stadt und Eigentümer auch das Argument vorbringen, von einem Kulturstaatsminister als bedeutende Spielstätte gewürdigt worden zu sein. Das hat gefruchtet: Das Gebäude 9 darf weitermachen, am bestehenden Ort. Künftig allerdings mit Schallschutz und Co. - wegen der neuen Nachbarn. Die Reaktion im Netz: 900 "Gefällt mir!"- Klicks, dieses Mal innerhalb weniger Minuten und auch gemeint als: "Gefällt mir!"