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Common Tables für alle

In der polnischen Hauptstadt Warschau macht unter den jungen Gastronomen und Dienstleistern das Konzept des "Common Table" die Runde. Mit besonders großen und einladenden Tischen sollen moderne Kreativarbeiter zur Zusammenarbeit bewegt werden.

Von Iza Wiertel | 21.11.2012
    Neun Uhr morgens am Plac Zbawiciela in Warschau, dem zentralen Treffpunkt der jungen Kreativen. Die Kaffeebar Charlotte hat längst geöffnet und begrüßt mit einem Duft vom frischen Kaffee und Gebäck sowie munteren Gesprächsgeräuschen. In der Mitte des Raumes steht ein ungewöhnlich langer Holztisch, an dem mehrere Grüppchen von Gästen nebeneinandersitzen. Charlotte vermittelt Wärme, die an Zuhause erinnert. Justyna Kosmala ist eine von drei Schwestern, die das Lokal betreiben.

    "Einerseits wollten wir etwas für uns selbst und die eigenen Freunde machen, andererseits einen Ort schaffen, der für viele Gruppen der Gesellschaft zugänglich ist, nicht nur vom Preis her. Einen Ort, der ein bisschen wie zu Hause wirkt, daher unter anderem die Idee mit dem großen Tisch, an dem aber die Ästhetik eine enorm wichtige Rolle spielt. So etwas hat mir in Warschau gefehlt."

    In der polnischen Hauptstadt leben viele Zugereiste, die ihr soziales Umfeld zurückgelassen haben und in der dynamischen Metropole eine neue berufliche Perspektive suchen. Sie sind besonders motiviert, in der neuen Heimat Kontakte zu knüpfen. Dabei kann sich ein gemeinsamer Common Table, den sich mehrere Personen teilen müssen, als äußerst behilflich erweisen.

    "Manchmal sitze ich an diesem Tisch und sehe, wie die Menschen ins Gespräch kommen. Sie setzen sich erstmal an die andere Seite des Tisches. Dann reden sie über den Tisch hinweg, dann gehen sie rüber, setzen sich nebeneinander und gehen manchmal gemeinsam raus. Wir haben auch viele Stammkunden, die einander bereits grüßen und sich an dem Tisch hier wiederfinden."

    Die Ungezwungenheit der Atmosphäre täuscht. Dahinter steht nämlich ein ausgeklügeltes Konzept. Alles ist darauf bedacht, Menschen zusammenzubringen. Nichts in Charlotte ist zufällig, weder die Proportionen des Tisches, an dem in beliebigen Konstellationen kommuniziert werden kann, noch die Menge der Konfitüre.

    "Bei uns gibt es sie mit Absicht in sehr großen Gläsern. Es geht vor allem darum, dass man sie teilt. Man isst aus diesem Glas, möchte dann doch eine Himbeerenkonfitüre haben, bietet die eigene zum Tausch an, es kommt zu Interaktionen."

    An Kosmalas Großtisch treffen sich viele Freiberufler, die die Einsamkeit ihres Heimarbeitsplatzes satthaben. Sie wollen unter Menschen sein, in der Hoffnung, gleichzeitig auch arbeiten zu können.

    Die Menge der Freiberufler, die mit ihren Laptops in den Cafés arbeiten, war eine Inspiration für Marek Heidrich und Katarzyna Fremi. Vor einem Jahr gründeten sie den Coworking Space "Business Lab" an der Warschauer Prachtstraße Nowy Swiat. Hier gibt es neben kleinen, zeitweise vermieteten Büros, den eigentlichen Coworking Space mit einem gemeinsamen Arbeitstisch. Dieser hat in dem Konzept eine bestimmte Funktion, sagt Katarzyna Fremi.

    "Bei dem ganzen Coworking geht es darum, dass die Menschen keine eigenen Arbeitsräume zu Hause oder in den Bürohäusern haben wollen. Sie wollen zusammen mit diesen 10 bis 15 Personen sein. Der gemeinsame Tisch solle zu Interaktionen animieren, sodass die Menschen sich unterhalten und Probleme sowie Ansichten austauschen. Das wiederum schafft eine Grundlage für spätere Bekanntschaften, berufliche wie private."

    Charlotte hat vor einem halben Jahr auch in Krakow eröffnet. "Business Lab" macht in Kürze eine Filiale in Warschau auf. Konzepte, die bewusst auf die soziale Ader abstellen, scheinen Erfolg zu haben. Justyna Kosmala von Charlotte hat dazu eine Erklärung.

    "Unsere Gesellschaft ist aufgespalten, jeder ist nur am Rennen, macht was für sich selbst, die eigene Familie, macht Karriere. Es ist alles eine Folge des Lebenstempos. Man muss es nicht kritisch sehen, so ist es einfach. Im Inneren verspüren wir aber eine Sehnsucht danach, auf einem Haufen zu leben und zumindest für eine Weile, für einen Moment zusammen zu sein - wie früher."