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Corinne Maier: Die Entdeckung der Faulheit. Von der Kunst, bei der Arbeit möglichst wenig zu tun

Dass man auch bei einem Einkommen von über 10 Millionen Euro keine Skrupel haben muss, Tausende Angestellte in die Arbeitslosigkeit zu schicken, die wesentlich dazu beigetragen haben, dass eben dieser Chef zum Multimillionär werden konnte, hat gerade erst Deutsche Bank Chef Ackermann unter Beweis gestellt. Da wundert es wohl kaum, wenn Angestellte die salbungsvollen Worte über Fleiß und Leistung, über Arbeitsmoral und Corporate Identity zunehmend als Realsatire betrachten. Die französische Autorin Corinne Maier hat für all jene, die ihrem Arbeitgeber nicht mehr allzeit willig zu Diensten sein wollen, einen Leitfaden verfasst, der in Frankreich Furore gemacht hat und nun auf Deutsch vorliegt. Barbara Eisenmann hat 'Die Entdeckung der Faulheit’ gelesen:

Von Barbara Eisenmann | 11.04.2005
    Weltweit befinden sich die großen Konzerne gerade in der härtesten antisozialen Offensive des letzten halben Jahrhunderts. Sie vernichten Arbeitsplätze, wo es nur geht, legen ihr Kapital lieber nicht-investiv an, und siehe da, die Gewinne steigen, wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Ein kleines, krudes Pamphlet einer französischen Politologin und Psychoanalytikerin namens Corinne Maier, das im Original den Titel "Bonjour, paresse" trägt, lehnt sich gegen die Weltmacht der Konzerne auf und macht sich auf den Weg zum Weltbestseller. Es ist – noch so eine Ironie der Geschichte – soeben im Goldmann Verlag erschienen, einem Verlag, der zur Verlagsgruppe von Random House Bertelsmann gehört, einem der weltweit agierenden Medienkonzerngiganten also.

    Zunächst war das Buch mehr oder weniger erfolglos im Sommer 2004 bei dem kleinen französischen Verlag Edition Michalon erschienen, nachdem eine ganze Reihe anderer Verlage das Manuskript abgelehnt hatte. Erst als der staatliche Energiekonzern Electricité de France, wo Maier als Teilzeitkraft in der Forschungsabteilung angestellt ist, von der Veröffentlichung seiner Mitarbeiterin erfuhr und daraufhin ein Disziplinarverfahren wegen Pflichtverletzung und mangelnder Loyalität beschloss, kam es zum Eklat. Der Fall wurde publik, und die französischen Medien stürzten sich, mitten im Sommerloch, auf das gefundene Fressen, mit der Folge, dass es das Buch im Handumdrehen auf Platz eins der französischen Sachbuch-Bestsellerlisten schaffte. 250.000 Mal hat es sich inzwischen allein in Frankreich verkauft. Übersetzungen in 20 Sprachen sind vorgesehen, und die Autorin ist unversehens, wie vor ihr schon Michael Moore mit seinen gefilmten und geschriebenen Anti-Unternehmensaktionen, zur Bestsellerautorin avanciert. Corinne Maier umschreibt ihre Absicht in der Einführung so:

    "Arbeiten Sie nie", sagte der Situationist Guy Debord. Was für ein wunderbarer Plan, allerdings schwer zu verwirklichen. ... Hört, hört, Ihr mittleren Angestellten großer Betriebe! Dieses provozierende Buch soll Sie "demoralisieren", genauer gesagt, es soll Ihre Arbeitsmoral untergraben. Es wird Ihnen helfen, sich des Unternehmens zu bedienen, in dem Sie beschäftigt sind, während bisher lediglich Sie dem Unternehmen dienten. Es wird Ihnen erklären, warum es in Ihrem Interesse ist, so wenig wie möglich zu arbeiten, und wie man das System von innen torpediert, ohne dabei aufzufallen."

    Auch ihre eigene Haltung beschreibt die Autorin ganz klar.

    "Ist Die Entdeckung der Faulheit ein zynisches Buch? Ja, und zwar absichtlich, das Unternehmen ist schließlich auch keine humanistische Institution."

    Zwei Merkmale des Textes sind hier bereits deutlich zu erkennen: Da gibt es also minimalistische Handreichungen fürs intellektuelle Publikum: die Erwähnungen reichen von Guy Debord, Michel Foucault, Hannah Arendt bis zu Max Weber und Sigmund Freud; auch Alexandre Kojeve und selbstredend Jacques Lacan sind mit von der Partie. Diese Referenzen funktionieren ein wenig wie Garnierungen, die das aus analytischen, polemischen, zynischen, ironischen bis hin zu platt-populistischen Modulen gefertigte Textkorpus schmücken. Man könnte das Ganze in Analogie zum ungehobelten amerikanischen Anti-Unternehmens-Populismus eines Michael Moore als dessen alteuropäisches Pendant sehen, das statt dessen auf bildungsbürgerlich grundierte Flapsigkeit setzt, mit dem nicht ganz unwichtigen Unterschied, dass Moore das Kollektiv anspricht, während Maier aufs Individuum setzt.

    Auch wenn das Buch jetzt vor allem als eine Art subversiver Ratgeber für Angestellte in großen Konzernen vermarktet wird, wie es auch der deutsche Untertitel "Von der Kunst, bei der Arbeit möglichst wenig zu tun" suggeriert, so stellt es, bis auf die wenig ernst gemeinten zehn Ratschläge, die sich auf den letzten vier Seiten befinden, doch in erster Linie den vielleicht von der Autorin so gar nicht beabsichtigten Versuch einer kleinen, höchst unsystematischen und offenbar ein wenig atemlos geschriebenen Ethnographie der Welt des Unternehmens dar: der so genannten corporate world. Da wird beispielsweise der internationale Konzernjargon, die No-man´s-Sprache, wie die Autorin dieses Kauderwelsch nennt, unter die Lupe genommen:

    "Ich mache das follow-up des merging project mit einem coach, ich checke das downsizing", heißt nichts anderes, als dass Sie Leute entlassen… Die Wörter transportieren keine Bedeutung mehr und bringen die Verbindung zwischen Ereignissen zum Verschwinden, indem sie die zugrunde liegenden Ursachen verbergen."

    Die neuen Verhältnisse von Kapital und Arbeit, die klare Verschiebung von Macht zugunsten des Kapitals und entsprechend die Ohnmacht auf der anderen Seite, aber auch die Undurchsichtigkeit der Machtverhältnisse im Unternehmen heute analysiert die Autorin von ihrer kommunikativen Seite her.

    "Aber wie soll man auch aufbegehren gegen einen glatten Diskurs, der keine Angriffsfläche bietet, gegen die "Modernität", gegen die "Autonomie", gegen die "Transparenz", gegen die "Geselligkeit"? ... Wenn eine Entscheidung "fällt", ist die Machtstruktur ... dermaßen undurchsichtig, dass man ihren Ursprung nur selten identifizieren kann. Daher ist es schwer zu sagen, wem gegenüber man seine abweichende Meinung äußern soll. Wer hat die Entscheidung getroffen? Niemand weiß es. Gibt es einen erleuchteten und wohlwollenden Anderen, der im Interesse des kollektiven Interesses Beschlüsse fasst? Nein, aber viele glauben daran und verhelfen ihm dadurch zum Leben. ... Großer Anderer, der du bist im Himmel, dein Wille geschehe ..."

    Allerdings haben die Unternehmen aufgrund der vielen öffentlich gemachten Unternehmensskandale der jüngsten Zeit schon einen beträchtlichen Ansehensverlust hinnehmen müssen. Hierzulande sind Josef Ackermann, die Deutsche Bank und das Victory-Zeichen für den Stimmungswandel in der Öffentlichkeit emblematisch geworden. Doch auch hier ballt sich der Volkszorn im großen Anderen und verstellt einer Systemanalyse unter Umständen den Blick. Ein neues Interesse am Innenleben von Konzernen und am Funktionieren wirtschaftlicher Prozesse überhaupt ist allerdings schon zu konstatieren, und das dürfte wohl an der Häufung prekärer Arbeits- und Geldverhältnisse liegen, die ja die Kehrseite einer einzig an der Steigerung des Aktienpreises ausgerichteten Geschäftspolitik ist. Dass dieses Interesse auch ressentimenthafte Züge trägt, ist zu verstehen, und dass Maier derartige Bedürfnisse durchaus bedient, spricht nicht gegen das Buch.

    Was allerdings Irritationen auslöst und den medialen Hype um das Buch zu einer widersprüchlichen Angelegenheit macht, ist der Ort, von dem aus die Autorin spricht: den eher höheren Etagen der Angestelltenwelt nämlich. Sind ihre phänomenologischen Skizzen durchaus intelligent und die witzig-bösartigen Formulierungen auch erhellend unterhaltsam, so ist der das ganze Buch grundierende mimetische Zynismus und letztlich eben auch sein diskursiver Rahmen, der dem Motto folgt "Ihr höheren Angestellten solltet euch ganz so verhalten, wie es eure Konzernchefs tun, nämlich wie Parasiten", einigermaßen fragwürdig. Und die postideologische Selbstinszenierung der Autorin wirkt dabei bloß mehr wie eine Allüre. Denn wer kann sich heutzutage eine solche Haltung überhaupt leisten, wo die Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes nicht ohne Grund grassiert. Dass sie selber in zahlreichen Interviews das Buch als "gelungene Farce" verkauft, macht die Sache nicht besser, denn es nimmt den durchaus im Text vorhandenen ernsthaften Ansätzen einer Kritik an der herrschenden Ökonomie den Wind aus den Segeln. (Ihre Verleger von Random House und die Bertelsmann freilich dürften sich genüsslich die Hände reiben.)

    Barbara Eisenmann besprach ’Die Entdeckung der Faulheit’ von Corinne Maier aus dem Goldmann Verlag. Es hat 155 Seiten und kostet 12.20 Euro.