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Countrymusik
Musikalischer Rundgang durch Bristol

Nashville im US-Bundesstaat Tennesse ist ohne Zweifel Dreh- und Angelpunkt der Country-Musik. Weniger bekannt hingegen ist, dass der Geburtsort jener Stilrichtung deutlich weiter östlich liegt: in der Stadt Bristol. Die befindet sich aber ebenfalls in Tennesse - eigentlich.

Von Rita und Rudi Schneider | 28.03.2016
    Ein Gitarrist spielt auf einer Stahlsaiten-Akustikgitarre
    Die sogenannten Bristol Sessions werden in der Fachpresse als der "Big Bang", der Urknall der Countrymusik bezeichnet. (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    Der South Holston Lake säumt über eine Länge von nahezu 30 Kilometern malerisch die Appalachen und oft sieht man in der Ferne den Dunst der Smoky Mountains über die Hügel und in den Tälern wabbern. Am Westufer des Sees breitet sich die quirlige Stadt Bristol aus, die nicht nur eine interessante Geschichte zu erzählen hat, sondern eigentlich eine Zwillingsstadt ist, denn sie hat eine gleichnamige Schwester. Wir haben uns im historischen Stadtkern mit Kim Davis verabredet, die uns das besondere der beiden Städtezwillinge mit einem Augenzwinkern erklärt.
    "Etliche Leute fragen: 'Sind wir jetzt in Tennesse oder sind wir in Virginia?", 'Ist es eine Stadt, oder was ist es?" Es sind tatsächlich zwei Städte ... aber im Kopf ist es irgendwie eine Stadt für uns. In der Altstadt gibt es die State-Street. Die eine Seite gehört zu Tennessee, die andere Seite gehört zu Virginia. Die State Line läuft genau in der Mitte der Straße. Beide Städte arbeiten fantastisch zusammen. Wir feiern das sogar. Es gibt Leute, die aus Spaß mitten auf der Straße laufen, so nach dem Motto: "I walk the Line"... eben entlang der "State-Line", und haben dieses einzigartige Erlebnis."
    "I walk the line" das ist zumindest schon mal ein Hinweis, dass Countrymusik in der Geschichte von Bristol eine wichtige Rolle spielt, deren Spur wir noch folgen wollen. An dieser Stelle sei aber ein Wortspiel gestattet, dennzweimal in Jahr heißt es in Bristol nicht "I walk the line", sondern eher: "I drive the line", denn dann steht der Motorsport im Mittelpunkt und bringt andere Klänge in die Stadt.
    "Bristol Motor Speedway" ist eine große Veranstaltung in der Serie der NASCAR-Rennen. Mehr als 160.000 Besucher schauen sich die Rennen jeden April und August im Motor Speedway Station an. Dann ist unsere Stadt wirklich unter Strom, sicher auch, weil es viele interessante Veranstaltungen in der Stadt und der ganzen Umgebung gibt. Das sich unter anderem viele kulturelle Highlights, natürlich auch Country Musik. In diesen Tagen kann man wirklich konzentriert erleben, was Bristol und die Region zu bieten hat."
    Die Region um Bristol hat tatsächlich vieles zu bieten. Die Landschaft am Rande der Appalachen ist von Kalkstein geprägt, der nicht nur wildromantische Felsformationen zeigt, zu denen es viele interessante Wanderrouten gibt. Wasser hat bekannterweise mit Kalkstein ein Zusammenspiel mit ganz besonderen gestalterischen Eigenschaften. Und die kann man in den Bristol Caverns bewundern, die zu einer unterirdischen Wanderung einladen.
    Zwischen dem South Holston Lake und der Stadt hat das Wasser unterirdisch ein regelrechtes Meisterwerk gezaubert. Die atemberaubenden Kalksteinformationen sind zwischen 200 und 400 Millionen Jahre alt. Der Meister der Gestaltung fließt in 60 Meter Tiefe als kleiner Fluss durch das unterirische Zauberland. Große Hallen wechseln mit kleinen Durchgängen die um mächtige Stalaktiten herum führen.
    Einer der vielen kleinen Flüsse und Bäche, die oberirdisch in Bristol unterwegs sind, ist der Steel Creek. Fast könnte man sagen, was in New York der Central Park ist, ist in Bristol der Steel Creek Park, denn dort füllt der Bach einen beachtlichen See mit einer weitläufigen und abwechslungsreichen Uferlandschaft. Der Steel Creek Park ist immerhin der drittgrößte städtische Park in Tennessee und gilt bei Naturliebhabern als Schatztruhe an Flora und Fauna. Es gibt sogar eine kleine Western-Eisenbahn, mit der man in offenen Wagen durch den Park reisen kann.
    Die Steel Creek Railroad ist besonders bei Familien mit Kindern beliebt, und sie ist sicher ein kleiner Hinweis auf die große Eisenbahn, die in Bristol, wie Kim erzählt, eine wichtige Rolle als Magnet für eine prosperierende Wirtschaft gespielt hat.
    "Warum kamen sie nach Bristol, was hatte die Stadt besonderes zu bieten? Das war die große Frage. Einer der wichtigsten Gründe war offensichtlich die Tatsache, dass Bristol ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt war. Der Bahnhof von Bristol war sehr groß und die berühmten Fernzüge stoppten hier. Das war sicher ein wichtiger Grund."
    Einer der berühmten Fernzüge war der "Memphis Special", der eine direkte Verbindung von New York nach Memphis war und in Bristol stoppte. Die historische Bristol Trainstation ist auch heute noch ein sehenswertes und beliebtes Ausflugsziel. Einer der wichtigen Leute, die nicht zuletzt auch wegen des Eisenbahnknotenpunkts nach Bristol kamen, war Ralph Peer, der legendäre Produzent der Victor Records in New York. Er reiste im Sommer 1927 nach Bristol, um dort im Ort und dem ländlichen Umfeld auf Talentsuche zu gehen. Er lud eine ganze Reihe von Künstlern zu Aufnahmen ein, die als die "Bristol Sessions" in die Musikgeschichte eingingen.
    "Während einer Zeit von zwei Wochen zeichnete er 76 Songs in seinem mobilen Tonstudio auf. Das waren zum Beispiel die Carter Family oder Jimmie Rodgers und eine ganze Reihe andere Künstler. Mit diesen Aufnahmen kehrte er zurück nach New York und produzierte sie. Damit wurden zum ersten Mal Countrymusik Songs professionell aufgezeichnet und mit diesen Schallplatten für eine breite Hörerschaft publiziert.
    "Wir veranstalten hier in Bristol immer noch unterschiedliche Sessions"
    Die Bristol Sessions von Ralph Peer waren der Grund, warum der Kongress der Vereinigten Staaten 1998 durch einen Beschluss die Stadt Bristol zum "Birthplace of Countrymusic" erklärte. Die Geschichte der damaligen Ereignisse erzählt der "Bristol Song". Ralph Peer nutzte einen Raum im dritten Stock der Taylor-Christian Hat and Glove Company an der State Street, wo er zwischen dem 25. Juli und dem 5 August 1927 die Songs einer ganze Reihe von Künstlern aufzeichnete. Für manche bedeutete das den Start einer Weltkarriere.
    Ralph Peer erinnerte sich in einem Interview 1959 an die Carters. Er, so sagte er, hatte einen Overall an und die beiden Damen sahen aus wie Mädchen vom Lande. "Aber als ich die Stimme von Sarah hörte, wusste ich, das wird wunderbar ankommen." Die Carter Family spielte vier Songs ein und das ist die Original Aufnahme ihrer allerersten Schallplatte, die Ralph Peer am 1. August aufgenommen und am 4. November 1927 veröffentlichte.
    Die Carter Family, Mother Maybelle spielte die Gitarre. Ihre Tochter June heiratete später Johnny Cash. Einer der Künstler, die Ralph Peer damals auch aufzeichnete, war auch Jimmie Rodgers, ein Eisenbahner, den man auch "The singing Brakeman" nannte.
    Die Bristol Sessions werden in der Fachpresse als der "Big Bang", der Urknall der Countrymusik bezeichnet. Wer sich auf die Spuren rund um die legendären Sessions begeben möchte, dem sei ein Besuch im Museum "Birthplace of Countrymusic" empfohlen.
    "Wir sind in der historischen Altstadt. Unser Museum "Birthplace of Countrymusic" haben wir bewusst sehr interaktiv gestaltet. Man kann die Zeit der Bristol Sessions in vielen unterschiedlichen Stationen sehr hautnah erleben. Wer möchte, kann sich eines unserer Instrumente nehmen und selbst Musik machen. Sie können das hier auch lernen. Wir möchten, unseren Besucher eine sehr intensive und interaktive Erfahrung vermitteln, die sie in dieser Weise nirgends anders erleben können."
    Ein Teil dessen ist auch die dem Museum angeschlossene Radiostation WBCM. Verantwortlicher Moderator ist die Rundfunklegende Tony Lawson.
    "Wir veranstalten hier in Bristol immer noch unterschiedliche Sessions. Wir machen das mit einem mobilen Studio. Unter den vielen Events haben wir auch den "Tennessee Music Trail". In Bristol gibt es viele Gelegenheiten, diese Art von Musik gemeinsam zu erleben."
    Livemusik in Tonys Sendung, das passiert beispielsweise in einem Wohnmobil. Die Musiker der Steep Canyon Rangers haben sich mit ihren Instrumenten einen Platz gesucht. Tony sitzt dazwischen auf der Couch und hält in seiner Hand ein kleines Stereomikrofon mit dem die Sendung übertragen wird
    Der große Kontrabass wird neben dem Kühlschrank gespielt, die Gitarre am Esstisch, das Banjo neben Tony auf der Couch und das Schlagzeug ist einfach nur ein sogenannter Besen, der auf einer alten Holzkiste den Takt produziert. Solche Musikszenen passieren natürlich nicht nur im Wohnmobil, sondern immer wieder irgendwo in Downtown, wo man das Südstaatenflair nicht nur mit den Ohren, sondern auch mit dem Gaumen erleben kann.
    "Die Südstaaten-Gerichte sind hier sehr beliebt. Das sind natürlich frittierte Hühnchen, grüne Bohnen, deftiges Kartoffelpüree, Biskuits und Soße. In der Altstadt haben wir die Burger-Bar. Die gibt es schon ewig, uns sie haben all die traditionellen Variationen. Downtown gibt es viele Restaurants, wo man sich auch gemütlich draußen hinsetzen und auch ein Gourmet-Dinner genießen kann."
    Alles in allem ist die Zwillingsstadt Bristol, ob Tennessee oder Virginia, ein Kleinod an den Appalachen. Sie ist voller spannender Geschichte, und Musik liegt immer in der Luft.