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"Da ist noch Platz rechts der Union"

Thilo Sarrazin ist mit seinen umstrittenen Thesen zur Integration nicht nur auf Ablehnung gestoßen: Das Meinungsforschungsinstitut Emnid sieht derzeit ein Wählerpotenzial von knapp 20 Prozent für eine neue rechtskonservative Partei.

Von Phillip Banse, Dorothea Jung, Tonia Koch und Nina Magoley | 13.09.2010
    Berlin, am letzten Freitag: Der Landespolitiker René Stadtkewitz, Ex-CDU-Mann und ausgewiesener Islamkritiker, kündigt die Gründung einer neuen Partei an. "Die Freiheit" soll sie heißen - nach dem Vorbild des niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders.

    "Wir sind es leid, tatenlos mit anzusehen, wie immer mehr Einzelne durch das Land gejagt werden, nur weil sie den Finger in die Wunde legen. Die Hetzjagd auf Dr. Thilo Sarrazin ist ein fatales Zeichen, wie es mit unserer Demokratie und der Freiheit in unserem Land bestellt ist."

    Führt die Solidarität mit Thilo Sarrazin und seinen umstrittenen Thesen zur Abkehr von den etablierten Parteien? Sarrazin ist Sozialdemokrat. Noch. Denn der Parteivorstand befürwortet ein Parteiordnungsverfahren, das mit seinem Ausschluss aus der SPD enden soll. Nach einer Emnid-Umfrage im Auftrag der "Bild am Sonntag" könnte sich fast jeder fünfte Deutsche vorstellen, eine Sarrazin-Partei zu wählen.

    Das Meinungsforschungsinstitut sieht derzeit ein stabiles Wählerpotenzial von knapp 20 Prozent für eine neue rechtskonservative Partei. Ob sich in einer solchen auch SPD-Anhänger wiederfinden könnten, bleibt fraglich. Der Noch-Bundesbanker habe zwar erklärt, er werde keine Partei gründen, sagt der Rechtsextremismus-Experte Alexander Häusler von der Fachhochschule Düsseldorf. Dennoch heizt Sarrazin nach Meinung des Sozialwissenschaftlers die Debatten der politisch Unzufriedenen an.

    "Quantitativ gesehen ist der Raum für eine neue politische Kraft zwischen konservativer und extremer Rechter da. Und die Entwicklungen in den europäischen Nachbarländern zeigen auch, dass diese Lücken politisch gefüllt werden können."

    In den Niederlanden hat der Rechtspopulist Geert Wilders diese Lücke zwischen dem rechtsextremen und dem rechtskonservativen Lager gefüllt. Wilders - ein Mann, dessen erklärtes Ziel es ist, mit seiner "Partei für die Freiheit" gegen den Islam zu kämpfen. Ein Mann, der den Koran als faschistisches Buch bezeichnet und Islam als minderwertige Kultur:

    "Ich glaube nicht, dass alle Kulturen gleich sind. Ich glaube, dass unsere Kultur viel besser ist als dieser zurückgebliebene Islam!"

    Ob die geplante deutsche Partei "Die Freiheit" die Popularität ihrer niederländischen Schwesterpartei wirklich erreichen könnte, scheint fraglich. Es fehlt eine charismatische Führungspersönlichkeit wie Wilders. Allerdings – und das fällt auf - mit islamfeindlichen Inhalten sind Punkte zu machen. Wer auf den Webseiten der Islamhasser surft, stößt dort schon lange auf Beifall für Geert Wilders und Thilo Sarrazin. In diesen Kreisen findet jetzt auch das neue Parteiprojekt Zuspruch. Zitate von der Web-Seite "Politically incorrect":

    "Gut für Deutschland -schlecht für die Polit-Eliten und integrationsunwilligen Migranten!"

    "Die Gutmenschen stehen mit dem Rücken zur Wand. Es tut sich was in Germanistan; meiner Meinung nach zu spät, es wird schon in naher Zukunft viel Blut fließen."

    "Eine rechtskonservative Partei, die die wirklichen Ängste und Sorgen des Volkes ernst nimmt: Ein Traum! Meine Stimme hätte sie, auch die meiner Frau und die meines volljährigen Sohnes."

    Soweit Stimmen aus einschlägigen Foren im Internet. Der Kölner Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge glaubt, dass die Sehnsucht nach einer rechtskonservativen Partei zwischen der Union und rechtsextremistischen Parteien, etwa der NPD oder der DVU, wachsen wird. Und zwar umso mehr, je tiefer sich in Deutschland eine soziale Spaltung in Arm und Reich vollzieht. Verbindungslinien zwischen dem rechten Rand und der Mitte der Gesellschaft gibt es laut Butterwegge bereits.

    "In Diskursen wie über den demografischen Wandel, in Diskursen wie bei Eva Hermann, dass es darum geht, dass die Familie nicht mehr so existiert, dass Frauen in ihren Rechten und in der Emanzipation beschnitten werden sollen, so was finden Sie alles genauso wie über Migranten-Jugendliche und zuviel Zuwanderer in der Mitte der Gesellschaft. Und da ist für mich die eigentliche Gefahr, nicht dass es irgendwelche rechten Desperados politikfähig machen, sondern dass sich das wechselseitig ergibt, daraus dass die Mitte anfälliger wird für solche Diskurse."

    "Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie und ebenso herzlich begrüße ich unseren Gast Thilo Sarrazin."

    Klar, dass Thilo Sarrazins Fans ihren Star auf seinen Leseveranstaltungen mit begeistertem Applaus empfangen. Aber wie reagiert die von Politik-Wissenschaftler Christoph Butterwegge angesprochene gesellschaftliche Mitte tatsächlich auf die umstrittenen Thesen des Autors?

    Blasorchesterprobe in einem kleinen Vorort von Saarbrücken. Schmucke Einfamilienhäuser hinter gepflegten Gärten reihen sich aneinander. Hier lebt die gutbürgerliche Mittelschicht. Wenn sie nicht den Taktstock führt, arbeitet die junge Dirigentin der Eiweiler Kapelle in einem Labor. Bei ihrer Arbeit gehe es nicht um pauschale Bewertungen, sondern um Genauigkeit, sagt die Naturwissenschaftlerin. Und eben die habe Thilo Sarrazin vermissen lassen.

    "Er hat viele wissenschaftliche Studien und hat da seine eigenen Schlüsse daraus gezogen, die man so nicht ziehen kann. Meiner Ansicht nach redet er über ein Thema, von dem er nichts versteht."

    Dass vieles im Argen liege mit der Integration in Deutschland und dass darüber eine Debatte geführt werden sollte, das sehen die meisten so wie der Trompeter.

    "Die Diagnose des Zustandes, die ist ja korrekt, da kann man in vielen Dingen nichts dagegen sagen. Weshalb das so gekommen ist und wie man das ändern kann, das ist eine ganz andere Diskussion, und dazu trägt Sarrazin meiner Meinung nach nichts bei."

    Ein Mann vom Format eines Thilo Sarrazin habe sich im Ton vergriffen. Das Niveau seiner Thesen sei unangemessen, darüber sind sich die probenden Freizeitmusiker einig. Die thematische Auseinadersetzung mit dem Thema Integration nennen viele der 40 Anwesenden im gleichen Atemzug aber notwendig.

    "Er hat in vielem Recht, aber er muss doch aufpassen, wie er es sagt. Er ist halt ein Provokateur, der mit seinen Aussagen provozieren möchte."

    Angesichts starker gesellschaftlicher Veränderungen, die Deutschland in den kommenden Jahren schon allein aufgrund der zu erwartenden demographischen Entwicklung zu verkraften habe, bedürfe es keiner negativen Visionen, sagen die Anwesenden, darunter ein Arzt und ein Lehrer. Ein Versagen der Integration von Ausländern vorzusagen, helfe nicht.

    "Es darf nicht so sein, dass ganze Schichten der Bevölkerung abgekoppelt werden, sondern jeder muss zu diesem Land, in dem er wohnt, auch etwas beitragen. Aber ich glaube, dass Herr Sarrazin zu dieser Diskussion nichts beiträgt. Er hat allerdings dazu beigetragen sein Buch zu verkaufen, das hat er sehr geschickt gemacht."

    Die unselige Diskussion um die Gene vermeintlich dummer Menschen und andere genetischer Dispositionen, die zu mehr Leistung befähigten – diese unselige Diskussion werde hoffentlich bald beendet, sagt einer der Probenden. Als Lehrer an einer Förderschule habe er tagein tagaus mit Kindern zu tun, die von zu Hause keinerlei Anregungen bekämen. Mit Kindern aus Familien, die mit dem Begriff Bildungsbeflissenheit nichts anfangen könnten.

    "Die Integration ist gescheitert, aber nicht nur die Integration von ausländischen Mitbürgern, sondern auch die Integration von sozial schwachen Deutschen."

    Eine Partei wählen, die die Sarrazinsche Forderung aufgreift, würde er nicht. Der Lehrer schüttelt energisch den Kopf. Keiner, versichern alle rund 40 Anwesenden auf der Probe des Musikvereins, würde es tun.

    "Wählen nicht, nee, nee, also wählen nicht."

    Dass auch einheimische Deutsche Integrationsprobleme haben, wird von Thilo Sarrazin nur selten thematisiert. Rechtspopulisten analysieren auch nicht, ob das Integrationshindernis in der Bildungsferne des Einwanderers liegt, in seinen sozialen Schwierigkeiten oder seiner Religion. Und ob sie einen gewaltbereiten Islamisten vor sich haben oder einen frommen Muslim, diese Unterscheidung interessiere rechtspopulistische Akteure kaum, erklärt Sozialwissenschaftler Alexander Häusler

    "Und das ist eigentlich die Gefahr. Dass nicht mehr differenziert wird, dass kein genauer Blick auf die unterschiedlichen Problemlagen, mit denen wir es dort im Einzelnen zu tun haben, vollzogen wird, sondern dass das alles in Eins gepackt wird zu einer Form von ideologisierter Islamfeindschaft, die nicht mehr in der Lage ist, zu differenzieren, sondern nur noch ein WIR gegen DIE kennt."

    Innerhalb der gesellschaftlichen Mittelschicht hätten rechtspopulistische Haltungen vor allem bei den Menschen Erfolg, die nicht gewohnt sind zu differenzieren, sondern die unsicher sind in ihrem Urteil und sich gerne an anderen orientieren. Alexander Häusler zufolge sind das oft Bürger, die ihren gesellschaftlichen Status als instabil empfinden.

    "Bei der Mittelschicht ist es das Potenzial, das eigentlich schon immer eine Affinität zu nationalistischem oder autoritätsfixiertem Einstellungsverhalten gehabt hat, das sein Selbstbewusstsein füttert aus Ressentiments gegen die unteren, bildungsfernen Schichten und auch die Zuwanderer. Und das empfänglich ist für diese typischen "SOS-Signale" - Sauberkeit, Ordnung, Sicherheit - in Abgrenzung nach unten."

    Ähnliche Abgrenzungsmechanismen beschreibt Alexander Häusler für die sogenannte Unterschicht. Allerdings seien die sozialen Probleme in diesen Milieus drängender. Da hätten Provokateure wie Thilo Sarrazin auch deshalb Erfolg, weil Angehörige der sogenannten Unterschicht in ihrem Alltagsleben mit einer gescheiterten Integrationspolitik hautnah in Berührung kommen. Wie zum Beispiel in Bickendorf, einem Stadtteil von Köln, in dem 19 Prozent der Menschen arbeitslos sind. Die meisten davon sind Hartz-IV-Empfänger. Etwa ein Drittel der Bewohner hat einen Migrationshintergrund.

    Tief hängt der graue Himmel heute über Bickendorf. Um das heruntergekommene Wohnhochhaus an der Hauptstraße fegt ein ungemütlicher Wind. Die Wartenden an der Bushaltstelle ziehen ihre Jacken fester zu.

    In der kleinen Kneipe am Fuß des Hochhauses sitzen die Ersten vor ihrem Frühabend-Bier. Es sind Deutsche, zumeist Alteingesessene dieses Stadtteils. Als sie das Mikrophon sehen, senken sich einige Gesichter tief über die Biergläser.

    "Das ist kein Thema, um in der Kneipe gemütlich drüber zu diskutieren."

    Offen reden will der Mann nicht, jedenfalls nicht in ein Mikrophon. Am Nachbartisch ist man beim Thema Sarrazin gesprächiger:

    "Einen Großteil seiner Punkte kann ich so unterstützen, was er sagt. Wenn man diese Gen-Sache da mal ausklammert, den Rest hat er Recht. Dass man zu wenig getan hat in den letzten 30 Jahren, dass man dem einfach zugesehen hat, was da passiert."

    "Er tut auf jeden Fall den Finger in die Wunde legen. Und die ist da, und es gibt auch ein Problem mit den Ausländern, das auf jeden Fall. Unsere Politiker, die sind alles Feiglinge und Arschlöcher. Weil sie nicht zugeben, was sie wirklich denken. Keiner von denen gibt's zu. Ich kann sagen, was ich will, es interessiert sich sowieso keiner von der Politik, was das normale Volk sagt, die sind so weit weg von der Wirklichkeit, dass sie gar nicht wissen, was los ist."

    "Mit der Islamisierung, das ist mir auch ein bisschen zu viel, bin ich ganz ehrlich. Mir macht das Angst, wegen den Anschlägen und so. Sonst würde ich mich da mit dem Judengerede ein bisschen zurückhalten, das finde ich nicht so gut."

    Ein hagerer Mann mittleren Alters, der einsam sein Bier an der Theke trinkt, hat aufmerksam zugehört. Er sieht die Sache anders.

    "Jut, der Sarrazin versucht, eine bestimmte Bevölkerungsschicht ins Außenlicht zu stellen. Das gehört sich als Politiker nicht. Frage: Wenn Sarrazin kandidieren würde, würden ihn viele wählen? Viele wahrscheinlich. Viele. Das geht so in die rechte Szene rein. Weil die er ja auch ein bisschen so vertritt. Und das ist, also für mich persönlich, nicht gewollt."

    Auch sein Nachbar sitzt allein bei seinem Bier. Zwar hält er die Debatte, die Sarrazin ausgelöst hat, für nötig. Doch von der Theorie der vererbten Intelligenz will er nichts wissen.

    "Bildung muss man lernen, das kriegt man nicht geschenkt. Und Denken kriegt man auch nicht geschenkt."

    Zurück auf der Straße. An der Bushaltestelle sitzt inzwischen ein junger Mann mit Rucksack. Auch er lebt in Bickendorf. Der Anfang 20-Jährige hat die Sarrazin-Debatte der letzten Tage etwas anders erlebt.

    "Ich sehe, dass der Großteil der Gesellschaft jetzt mal ihren wahren, nenn ich mal Nationalismus raushängen lässt. Diese ständige Unruhe, die hier geherrscht hat, dadurch zum Ausbruch gekommen ist. Was ich selber nicht für gut heiße, ich bin da kein Freund von. Ich finde, das ist ein Nationalist, der ähnlich wie in "Mein Kampf" Parolen schießt, und dass viele Deutsche jetzt dadurch ihr wahres Gesicht zeigen. Sachen sagen, die sie sich vorher nicht getraut haben. Es ist halt eine Art Hetze, die da betrieben wird."

    Die Hetze findet nicht nur anonym im Internet statt oder im Kreis Gleichgesinnter etwa am Stammtisch in der Kneipe. Gehetzt wird auch ganz offen auf der Straße, auf Demonstrationen und auf Kundgebungen gegen Moscheebauten. Der Ton in Fernseh-Talkshows wird ebenfalls gehässiger. Zwar fehlen in der Bundesrepublik Rechtspolitiker wie Jörg Haider oder Geert Wilders, die rechtspopulistischen Gruppierungen hinter sich vereinen können. Auch der sogenannten Pro-Deutschland-Bewegung oder der neu zu gründenden Freiheitspartei mangelt es bislang noch an einer effizienten Organisation, an Mitgliedern und an Geld. Aber international vernetzt ist die Bewegung bereits. So ist beispielsweise Freiheitspartei-Gründer René Stadtkewitz Landesvorsitzender der islamfeindlichen Bürgerbewegung Pax Europa. Nach Auskunft des Berliner Szene-Kenners Uli Jentsch arbeitet Stadtkewitz ebenfalls mit den Islamhassern der Webseite "Politically Incorrect" zusammen.

    "Beide, Pax Europa und "Politically incorrect" bilden den deutschen Flügel einer internationalen Bewegung, die sich als Anti-Djihad-Movement bezeichnet und zu der - neben den Kreisen, die Geert Wilders in Holland unterstützen - zum Beispiel auch die FPÖ oder "Vlaaams Belang" aus Belgien gehören."

    Bei den Zuwanderern betrachtet man diese Entwicklung mit Sorge. Zum Beispiel in Berlin Neukölln - ein Stadtbezirk mit besonders vielen Einwanderern, besonders vielen Hartz-IV-Empfängern und besonders vielen Moscheen.

    Das Backhaus Liberda in Neukölln. Serap Kofinas ist adrett gekleidet, geschminkt und reicht Brötchen über die Theke. Serap Kofinas ist vor 27 Jahren in Deutschland geboren, ihre Eltern kamen aus der Türkei nach Deutschland. Serap hat einen Realschulabschluss und wurde im KdW zur Kauffrau im Einzelhandel ausgebildet. Ein Kopftuch trägt sie nicht. Sarrazins Thesen regen sie auf:

    "Irgendwie stört es einen natürlich! Weil man denkt schon: Hallo?! Ich bin hier aufgewachsen, ich bin hier zur Schule gegangen und nur, weil wir türkischer Abstammung sind, sind wir hier nicht willkommen. Was soll das?!"

    Seraps Schwester hat eine Empfehlung fürs Gymnasium bekommen. "Wir gehören dazu", sagt sie. Ihre Mutter habe 30 Jahre als Produktionshelferin in Berliner Metallfirmen gearbeitet, ihr Vater in einer Bäckerei geschuftet. Sarrazin ist zu Hause auch Thema am Abendbrot-Tisch.

    "Meine Mutter sagt: 'Seit 30 Jahren habe ich gearbeitet, und jetzt kommt da einer an und sagt, ich hätte mich nicht integriert.' Und sie sagt: 'Was soll das? Die tun jetzt so, als würden wir nicht mehr dazugehören. Wir haben mit allen zusammengearbeitet, und auf einmal fühlt man sich nicht mehr willkommen.'"

    An eine Rückkehr in die Türkei denken ihre Eltern jedoch nicht.

    "Nein! Sie ist über 30 Jahre hier! Unser Zuhause ist hier einfach! Nach 30, 40 Jahren wird sie nicht sagen: 'Ich gehe jetzt in die Türkei'. Denn sie hat sich hier auch integriert."

    Serap glaubt nicht, dass Sarazins Thesen von einer Mehrheit der Deutschen geteilt werden:

    "Ich bin der Meinung, viele denken nicht so. Viele Deutsche haben ja auch gesagt: Was soll das? Wir gehören ja auch irgendwo dazu, ne? ich denke auch nicht, dass die Deutschen auf einmal sagen: Wir wollen die nicht mehr. Weil wir gehören dazu, es ist einfach so."

    Irfan Caglayan ist in Deutschland geboren, ist studierter Wirtschaftsingenieur und hat in Neukölln ein Café eröffnet, das Goldberg. Sarrazins Thesen regen ihn nicht auf:

    "Ich habe kein Problem damit, ich habe einen deutschen Ausweis, ich höre mir das an, lese mir das durch, lache darüber mit einem Schmunzeln und gehe darüber hinweg. Ich bin jetzt nicht in meiner Würde angegriffen, nach dem Motto: Ey, was ist denn jetzt los?"

    Auch wenn er Lösungen vermissen lässt und sich im Ton vergreife – einige Probleme, die Sarrazin benenne, kennt Irfan aus seinem Alltag – Beispiel: Schlechte Bildung.

    "Integrationsprobleme gibt es auf jeden Fall. Allein, wenn man mal durch die Straßen läuft – was werden diese Jungs in zehn Jahren machen, wenn sie jetzt mit 16, 17 nur auf der Straße rumhängen, den ganzen Tag im Neukölln Arkaden-Center verbringen und einfach nichts machen?! Ich glaube, denke, man wird diese Leute in den kommenden zehn Jahren einfach an den Stadtrand drängen."

    "Wir müssen uns integrieren. Wenn wir hierher kommen, müssen wir uns integrieren. Das geht nicht, dass man 30 Jahre alt hier leben und bei Hartz IV sitzt, das bringt nichts."

    Konstantin Davidow, 35, kam vor 14 Jahren aus der südrussischen Stadt Naltschik nach Deutschland, wegen der beiden Kinder, sagt er. Die gehen heute aufs Gymnasium. Konstantin Davidow hat eine kleine Schusterwerkstadt in der Neukölner Sonnenallee. Mit einem weißen Leder-Stiefel in der Hand steht der Moslem in seinem Laden und sagt, er könne Sarrazin verstehen:

    "Hier Leute integrieren sich ganz langsam in Neukölln, die haben nicht viel Kontakt mit Deutschen, vielleicht deswegen. Ich schaffe das nicht vielleicht mit deutscher Sprache, aber mit Arbeit schaffe ich das schon. Aber meine Kinder sind schon ganz gut integriert, meine Frau auch. Spricht gut, Kinder sind in der Schule gut. Meine Meinung: Wenn wir hier wohnen, müssen wir uns integrieren."