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"Das Aufrichten läuft nach wie vor extrem langsam"

"Das Schiff hat nach wie vor eine gewaltige Schlagseite", sagt Wissenschaftsjournalist Frank Grotelüschen, der die Bergung der Costa Concordia beobachtet. Der ursprüngliche Plan, das Wrack bis etwa 21 Uhr in die senkrechte Position zu bekommen, sei wohl nicht mehr einhaltbar.

Wissenschaftsjournalist Frank Grotelüschen im Gespräch mit Uli Blumenthal | 16.09.2013
    Uli Blumenthal: Und sie bewegt sich. Zentimeter für Zentimeter wird das havarierte Kreuzfahrtschiff Costa Concordia seit heute Morgen aufgerichtet. Die Costa Concordia war am 13. Januar 2012 mit 4229 Menschen an Bord gekentert. Bei dem Unglück starben 32 Menschen, darunter zwölf Deutsche. Im Livestream im Netz kann man beobachten, wie das Kreuzfahrtschiff gedreht wird und langsam die angerosteten Aufbauten steuerbords aus dem Wasser auftauchen. Mein Kollege Frank Grotelüschen verfolgt die Bergung via Internetstream, hat die gerade stattfindende Pressekonferenz mit angefangen zu hören. Frank, wie weit ist das Bergungsteam zur Stunde?

    Frank Grotelüschen: Einen ganz wichtigen Moment haben die Experten schon bewältigt – und zwar die Costa Concordia überhaupt erstmal vom Meeresgrund zu stemmen. Das ist so gegen 10 Uhr am Morgen passiert. Seitdem hebt sich der Rumpf quasi in Superzeitlupe aus dem Wasser. Bis zum Mittag hatten es die Fachleute geschafft, das Schiff um etwa drei Grad anzuheben. Bis dahin, sagten sie bei einer Pressekonferenz schon am Mittag, sei alles nach Plan gelaufen. Und danach hätte es eigentlich ein wenig schneller gehen sollen mit dem Aufrichten. Doch den Eindruck hat man, wenn man sich die Live-Bilder im Internet anschaut, eigentlich nicht. Das Aufrichten läuft nach wie vor extrem langsam. Das Schiff hat nach wie vor eine gewaltige Schlagseite. Gerade gab es dann eben diese weitere Pressekonferenz. Zwar sei alles okay, sagten die Experten, aber es würde doch noch so etwa vier bis sechs Stunden dauern, bis man dann zu Phase zwei übergehen könne. Phase zwei ist die Flutung der Schwimmtanks, die man an der Seite der Costa Concordia befestigt hat und die das Schiff dann durch die Schwerkraft des Wassers nach unten ziehen sollen. Ursprünglich war also geplant, das Schiff bis heute Abend so um neun oder zehn in die senkrechte Position zu kriegen. Aber die ganze Prozedur läuft offenbar langsamer als geplant, und es wird wohl bis nach Mitternacht dauern, bis der Rumpf dann aufgerichtet ist. So hieß es gerade in der Pressekonferenz.

    Blumenthal: Wenn man sich im Internet den Livestream anschaut, dann gibt es auch sozusagen einen O-Ton dazu. Aber das ist alles so überraschend ruhig. Also man sieht dieses Schiff, von außen angeschweißt, Sie haben es schon gesagt: containerartige Behälter, riesige Stahlketten, Stahlseile. Wie wird dieses Schiff aufgerichtet?

    Grotelüschen: Parbuckling – so heißt das Verfahren in der Fachsprache. Also ein ganz langsames und behutsames In-die-Senkrechte-Ziehen. Das Schiff lag ja nach dem Unfall im Januar 2012 schräg mit 65 Grad Schlagseite auf der Seite und wurde dann erstmal in dieser Position auf den beiden Granitfelsen, auf denen es lag, festgezurrt und provisorisch gesichert. Später wurden dann Treibstoff und Abwässer – soweit es irgend möglich war – abgepumpt. Und dann haben die Experten den Meeresgrund unterhalb des Schiffes mit Beton und Sand aufgefüllt und auch sechs Plattformen in die Felsen gebohrt. Und diese Plattformen sollen das Schiff dann am Ende auffangen. Dann wurden riesige Schwimmkästen an der Backbordseite, also die aus dem Wasser schaut, befestigt. An diesen Kästen hängen dann Dutzende von Stahlseilen. Und die werden jetzt gerade von Hydraulikwinschen am Meeresgrund mit circa 6000 Tonnen Zugkraft aufgespult und richtigen das Schiff ganz allmählich auf. Dann sollen diese Schwimmtanks geflutet werden und den Rumpf dann langsam in die Vertikal ziehen, bis er dann auf den Stahlplattformen senkrecht zum Stehen kommt. Und später dann will man auch auf der Steuerbordseite, die ja bislang im Wasser lag, im Laufe der nächsten Wochen ebenfalls riesige Schwimmkörper anbringen. Dann sollen sämtliche Schwimmkörper leergepumpt werden, sodass die Costa Concordia wieder schwimmt und dann abgeschleppt werden kann, um sie letztendlich im Hafen zu verschrotten.

    Blumenthal: Sie haben schon davon gesprochen, dass auf der Pressekonferenz von einem späteren Termin die Rede war, wo sich das Schiff aufrichten soll – heute Nacht. Kann man das auch einfach mal anhalten diesen Prozess, dieses Aufrichten, um zu sagen: Wir wollen bei Tageslicht weitermachen? Oder muss man, jetzt einmal begonnen, bis zum Schluss durchziehen?

    Grotelüschen: Also anhalten kann und will man den Prozess eigentlich nicht. Denn wenn dieser Riese erstmal ins Ruhen kommt, wenn der sich erst einmal irgendwie hinsetzt wieder, dann lässt er sich womöglich nicht mehr wieder in Bewegung bringen. Und das Risiko will man einfach nicht eingehen. Und deswegen wird man wohl auch zur Not die Nacht durcharbeiten. Und das würde auch gehen. Denn man hat ja doch einiges an Flutlicht, an Licht installiert, um dann einfach auch weiterarbeiten zu können.

    Blumenthal: Was sind die Herausforderungen, die dann sozusagen am Abend oder in der späten Nacht auf das technische Team zukommen?

    Grotelüschen: Naja, es gibt schon noch Unwägbarkeiten. Denn dieses Parbuckling ist zwar schon öfter mal angewandt worden, aber eben noch nicht bei einem so großen Schiff wie der Costa Concordia. Die ist ja 290 Meter lang, 35 Meter breit und wiegt 45.000 Tonnen. Da könnten zum Beispiel jetzt noch die Stahlseile theoretisch reißen, schlimmstenfalls würde dann das Schiff wieder in seine Ausgangslage zurückkippen, ist aber wohl eher unwahrscheinlich, wenn man den Experten glaubt. Aber was auch passieren könnte, gerade wenn sich das Schiff aufrichtet: dann könnte der Rumpf brechen. Denn die Steuerbordseite, auf der die Concordia liegt, ist schwer beschädigt, das ist klar. Aber keiner weiß so richtig genau, wie groß diese Schäden sind und wie hoch also das Risiko eines Zerbrechens. Und außerdem ist zu befürchten, dass beim Aufrichten des Wracks dann doch noch irgendwie verdrecktes Wasser aus dem Inneren des Schiffes nach außen gelangt und die Küste verschmutzen könnte. Und das will man eigentlich durch Pumpen und durch spezielle Barrieren verhindern, wie man sie auch bei Ölkatastrophen einsetzt. Und man sieht auch, wie die Schiffe laufend diese Barrieren weiter um das Schiff ziehen, um zu verhindern, dass da irgendwie Dreck, dass Schwermetalle, dass Müll auf die hohe See gerät.