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Das Blütenstaubzimmer

Eine karge, strenge, ältliche Frau kommt durch die Wandelhalle des First Class Hotels. Ordentliche Jeanshosen, braungesprenkeltes Jackett und eine praktische Beutel-Handtasche.

Brigitte Neumann | 13.02.1998
    Diese Frau gilt vielen Rezensenten als die Rächerin der Technogeneration an ihren Eltern. Die allmählich in Selbstfindungsritualen eingerosteten 68er. Eine Interpretation, über die Zoe Jenny sagt: "Es wurden auch andere Dinge über das Buch gesagt. Sehr viel interessantere. Das ist die denkbar langweiligste. Weil sie sehr plakativ ist und sehr medientauglich. Also, deshalb wird sie wahrscheinlich auch überall erwähnt. Ich denke nicht, daß es eine Abrechnung sein kann, denn es ist nicht explizit gegen irgend jemanden gerichtet. Und das wäre eine Abrechnung, ja. Dieser Text stellt nur dar. Er zeigt auf, und das ist alles. Das genügt als Erklärung."

    "Das Blütenstaubzimmer" sei auch kein Roman über die heutige Jugend. Denn von "der" Jugend wisse sie nichts. Außerdem: weder mag sie Technomusik noch geht sie auf Raves. Sie hört Glenn Goulds klassische Klaviermusik. Und schreibt dazu an ihrem zweiten Roman. Zoe Jennys Arbeitsmotto: "Muse kommt von Müssen". "Ich mag diese Mystifizierungen des Schriftstellerberufes nicht", so Jenny. "Find ich furchtbar. Nein, es hat mit Arbeit zu tun und mit Disziplin. Der Idealtag ist eigentlich wenn ich fünf bis 8 Stunden am Schreibtisch sitzen kann."

    Zoe Jennys ersten Roman "Das Blütenstaubzimmer": Ich hab ihn langsam gelesen. Ein paar Seiten zweimal. Das Gefühl, in dem Roman zu leben, war gut. Aber nach drei bis vier Stunden leider vorbei. Es ist ein Buch, das eine Last von den Schultern nimmt. Kampf, Bitterkeit, Illusionen, Euphorien. So was gibt’s nicht. Zoe Jenny hat das "Ich" im "Blütenstaubzimmer" von kriegerischen und imperialen Gefühlen gereinigt. Ist-Zustände einer Scheidungswaisen penibel beschrieben. Und nie die Schuldfrage gestellt. Die Autorin erklärt: "Also, das erste Buch ist in keiner Weise spektakulär oder glamourös, sondern es ist ein sehr ernsthaftes, sehr stilles Buch, das sehr literarisch ist und überhaupt nichts mit dem Lärm zu tun hat, der jetzt um dieses Buch gemacht wird. Und auch das zweite Buch wird in keiner Weise lärmig sein."

    Die mißverstandene Künstlerin. Öffentlichkeit mag sie nicht. Aber die Abneigung ist unglücklicherweise nicht gegenseitig. Über 300 Artikel haben dem "Blütenstaubzimmer" zur inzwischen 7. Auflage verholfen. In 30 Portraits sollte die Autorin persönlich werden. Zoe Jenny läßt keinen Zweifel aufkommen: Das Interesse an ihrer Person findet sie daneben. "Ich gaube eher, daß ich mich davor zu schützen habe, im allgemeinen. Also weil doch die Grobheiten sehr groß sind, die von den Leuten eigentlich ausgehen. Auch die Medien eigentlich etwas sehr Grobes an sich haben. Also, da kann ich mich eigentlich schlecht zurechtfinden. Also, ich bin eigentlich nicht sehr glücklich jetzt in dieser Umgebung. Aber das macht nichts aus, ich hab ja meine innere Welt und kann mich dahin zurückziehen, also da wo ich hingehöre."

    Das Motiv, das in unserem Gespräch immer wieder auftaucht. Die innere, vertraute Welt. Und die lärmige, grobe, unübersichtliche draußen. "Der Lärm interessiert mich nicht. Sondern die Literatur, und die ist eigentlich in sich etwas eher Ruhiges. Die entsteht ja eigentlich auch in der Ruhe, in der Isolation. Es ist ein Innehalten, eine Gegenbewegung zu dem Lärm, der die Welt ja ist. Die sich immer schneller verändert und immer lärmiger wird. Da ist das Schreiben eigentlich das Gegenteil ... ich bin jemand, der schreibt und der versucht, am Leben zu bleiben, das ist eigentlich alles."

    Erfolg für ihren zweiten Roman könne sie nicht erwarten. Sagt sie. Aber sie hat Zeit, ihn zu schreiben. Preisgelder, Honorare für die Lesereisen, gut bezahlte Printartikel erlauben es ihr, die Brotjobs Putzfrau, Kindermädchen, Verkäuferin an den Nagel zu hängen. Und zwar für mindestens drei Jahre. Davon hat sie geträumt, schon seit ihrer Kindheit und das hat sie geschafft. "Das ist mein Zuhause, das ist der Ort, wo ich nicht fremd bin. Das Schreiben, und das hab ich sehr früh gemerkt, eigentlich schon als Kind. Das hat sich eigentlich natürlicherweise ergeben. Ich kann nicht den Tag sagen, wo das klar war, sondern es hat sich so ergeben."

    Aufgewachsen beim Vater, dem damals noch recht erfolglosen Basler Kleinverleger Matthyas Jenny, durchforstete sie mit Vorliebe dessen Bücherregale. Nachgewirkt haben vor allem Rilke und Kafka. Von beiden findet man was wieder in ihr und ihrem Buch. Von Rilke die Zartheit und von Kafka die Angst. "Das Schreckliche an der Angst ist, daß sie namenlos ist, eigentlich. Die richtige Angst von der ich jetzt spreche. Daß man sie nicht zuordnen kann. Daß sie etwas mit dem Tod zu tun hat, der in einem steckt, den man nicht begreifen kann."

    Und von dort drinnen bezieht Zoe Jenny auch ihren Stoff für die nächste Geschichte. Sie hält nichts von dem Lehrsatz, das Leben sei der Steinbruch, aus dem ein Autor seine Literatur haut. "Es ist wie Rilke gesagt hat, es sind innere Erfahrungen, die zählen beim Schreiben", erläutert Jenny. "Es kommt nicht auf die Äußerlichkeiten an. Ob man die ganze Welt gesehen hat. Ob man zum Nord- und Südpol gereist ist, sondern ob man diesen Nord- und Südpol in sich drin hat. Und ob man da Bescheid weiß und da herumwandern kann in sich selbst. Das ist nicht was Äußerliches, die Erfahrungen, die mich interessieren."

    Zoe, der Vorname, kommt übrigens aus dem Griechischen, laß ich mir von ihr sagen. Auf deutsch heißt das Leben. Zoe Jenny scheint sich schon für eines entschieden zu haben. Für das im Kopf.