Sonntag, 28. April 2024

Archiv


Das Ende der Fischerei

In einer großen Studie haben 14 Meeresbiologen und Wirtschaftswissenschaftler die Entwicklung der Fischbestände in den Weltmeeren über die vergangenen rund 50 Jahre analysiert. Ihr Fazit ist erschütternd: Ändert sich nichts, dann gibt es noch vor dem Jahr 2050 in den Ozeanen keinen Seefisch mehr. Noch sei es allerdings nicht zu spät, das Ruder herumzureißen.

Von Volker Mrasek | 03.11.2006
    Das Bemerkenswerte an der neuen "Science"-Studie ist, dass sie ihre Autoren fast vier Jahre Arbeit gekostet hat. Und dass die insgesamt 14 Meeresbiologen und Wirtschaftswissenschaftler Daten in einer Fülle auswerteten, wie noch niemand vor ihnen. Von Freiland-Experimenten genauso wie aus historischen Aufzeichnungen. Unter anderem durchpflügten die Forscher das Archiv der UN-Ernährungsbehörde FAO und analysierten die offiziellen Fisch-Fänge in allen Weltmeeren zwischen 1950 und 2003. Das sind Zahlenkolonnen aus 53 Jahren!

    Ihre Fleißarbeit nennen die Experten "Meta-Analyse". Und die mündet in einen ernsten Appell: Boris Worm von der Dalhousie University im kanadischen Halifax.

    " Wenn der Artenverlust im Meer weiter so anhält wie heute, dann werden wir noch zu Lebzeiten erleben, dass es keinen Seefisch mehr gibt - noch vor dem Jahr 2050. Das Ende der Fischerei ist also in Sicht, und wir sollten etwas dagegen unternehmen. "

    Der Meeresbiologe Worm ist Hauptautor der neuen Studie. Aus Anlass ihrer Veröffentlichung äußerte sich Worm jetzt mit einer Video-Botschaft von der Meeresküste:

    " Die wichtigste Nachricht ist, dass Meeresökosysteme nicht mehr richtig funktionieren und nicht mehr so produktiv sind, wenn ihr Artenreichtum schrumpft. Und genau das lässt sich überall beobachten. Die Fischerei muss deshalb anders ausgerichtet werden. Sie sollte nur noch auf Arten gehen, die einen hohen Fangdruck tatsächlich vertragen. Wir müssen auch Schadstoffeinträge ins Meer vermindern, die die Ökosysteme schädigen. Und schließlich wäre es angeraten, die Zahl mariner Schutzgebiete zu erhöhen, in denen der Einfluss des Menschen limitiert ist. "

    Nach ihren aufwändigen Analysen haben die Forscher eine ganze Reihe von Zahlen an der Hand. Danach hat die Fischerei 1994 weltweit ihren Höhepunkt erreicht. Seither sind die Erträge um 13 Prozent gesunken. Noch schlechter sieht es aus, wenn man nach dem Zustand der Bestände im Meer fragt. Knapp 30 Prozent der kommerziell genutzten Speisefisch-Arten sind inzwischen dem Kollaps nahe; ihre Populationen haben heute nur noch ein Zehntel der ursprünglichen Stärke.

    Doch es sind nicht nur die Fangerträge, die zurückgehen. Die marinen Ökosysteme büßen auch andere Funktionen ein, wenn einzelne ihrer Mitglieder so stark dezimiert werden oder ganz verschwinden.

    Zum Beispiel entfernen sie nicht mehr so gut Schadstoffe aus dem Meerwasser, wenn es filtrierende Organismen wie Muscheln trifft. Oder es häufen sich giftige Algenblüten, wo das Artengefüge aus dem Gleichgewicht gerät. Auch darauf verweist Carl Folke, Professor für Naturressourcen-Management an der Universität Stockholm und einer der Studienautoren:

    " Normalerweise meinen die Leute, es gebe ethische Gründe dafür, die biologische Vielfalt zu schützen. Unsere Studie zeigt eindeutig, dass marine Ökosysteme Artenreichtum einfach brauchen, um anpassungsfähig zu bleiben. "

    Noch sei es allerdings nicht zu spät, das Ruder herumzureißen, meint der schwedische Ökologe und Wirtschaftswissenschaftler. Das bestätigen auch die Untersuchungen in verschiedenen, neu eingerichteten Meeresschutzgebieten, die Folke und seine Kollegen noch einmal unter die Lupe nahmen. Dort hat sich das Ökosystem nach dem Ende der Fischerei erholen können; die Zahl der Arten nahm im Schnitt wieder um 23 Prozent zu. Für Folke ein ermutigendes Zeichen:

    " Heutzutage sieht das Fischerei-Management noch so aus, dass jede Art unabhängig von der anderen befischt wird. Man schaut nicht auf das Ökosystem, in das eine Fischart eingebunden ist. Das muss sich ändern. Wir dürfen das Meer nicht mehr länger als riesige Lagerstätte ansehen, aus dem wir nach Belieben Ressourcen rausholen können! "