Dienstag, 23. April 2024

Archiv


Das Geheimnis des staufreien Ameisen-Verkehrs

Verkehrsforschung.- Reisezeit bedeutet Stauzeit. Vor allem, wer drin steckt, wird sich fragen, wie die langen Autoschlangen zu vermeiden sind. Physiker der Universität Köln haben sich in der Natur nach Vorbildern umgesehen, die das Stauproblem nicht haben: Ameisen.

Von Viola Simank | 13.07.2009
    der
    Ein Stau kostet Zeit, Nerven und vor allem Geld: Eine Studie des Bundesverbandes Deutschen Industrie schätzt den volkswirtschaftlichen Schaden durch den Stillstand auf jährlich 100 Milliarden Euro. Wie also könnte man den Stau vor allem auf den Autobahnen vermeiden. Um diese Frage zu beantworten, hat Andreas Schadschneider, Professor für theoretische Physik an der Universität Köln, den Verkehr im Ameisenstaat genauer untersucht. Denn die Ameisen haben ein Straßennetzwerk, das menschlichen Autobahnen in vielem gleicht. Allerdings gibt es dort andere Verkehrsregeln:

    "Also die Ameisen sind im Gegensatz zum Menschen in ihrem Verkehrsverhalten überhaupt nicht egoistisch. Bei der Ameise zählt nicht das Vorankommen der einzelnen Ameise, sondern das Wohl der Kolonie. Und in dem Sinne gibt es auf den Ameisenstraßen auch keine Drängler oder Überholer, sondern die Ameisen sind alle sehr ähnlich in ihrem Verhalten und tendieren dazu, sich in der gleichen Geschwindigkeit zu bewegen."

    Mit Hilfe von Videoaufnahmen und Zählschleifen haben Andreas Schadschneider und seine Kollegen analysiert, wie die Ameisen ihren Straßenverkehr organisieren. Bisher wusste man nur, wie die Insekten ihre Straßen anlegen, ihr konkretes Verkehrsverhalten kannte man noch nicht. Zum Beispiel, dass Ameisen keine Überholmanöver kennen. Auch große Geschwindigkeitsschwankungen gibt es auf ihren Straßen nicht. Gerade die sind im menschlichen Straßenverkehr die Hauptursache von Staus. Die Ameisen dagegen bewegen sich gleichmäßig in einer Kolonne vorwärts und passen ihre Geschwindigkeit an.

    "Wenn eine schnellere Ameise einmal auf eine solche Kolonne aufschließt, dann wird sie nicht überholen, sondern sich hinten an die Kolonne anschließen und die laufen alle im Gleichschritt in kleinen Abständen hintereinander her."

    Durch die Kolonnenbildung nimmt die mittlere Geschwindigkeit der Ameisen auch bei zunehmender Verkehrsdichte nicht ab. Außerdem kommunizieren die Tiere untereinander mit Hilfe von Duftstoffen, mit denen sie Wege markieren – je stärker die Markierung, desto mehr Ameisen nutzen den Weg. Wenn es zu voll wird, gibt’s Ausweichrouten. Der Mensch kann also eine Menge von den kleinen Tierchen lernen. Überholen und drängeln führt nicht immer schneller ans Ziel.

    "Man sollte lieber langsam mitfahren, da fährt man auf Dauer im wahrsten Sinne des Wortes besser mit, als wenn man immer versucht, seine eigene Geschwindigkeit zu optimieren und möglichst schnell zu fahren. Das funktioniert natürlich nur dann besonders gut, wenn sich alle daran halten, und das ist leider ein Problem. Es gibt dann immer wieder Leute, die extrem egoistisch handeln und das versuchen auszunutzen, das ist bei den Ameisen unterschiedlich."

    Das "Mitschwimmen" im Verkehr empfehlen Verkehrsexperten schon lange als gute Fahrstrategie. Dass sie wirklich schneller und staufreier ans Ziel führt, hat bisher aber noch niemand bewiesen, schließlich sind Verkehrsexperimente schwierig zu organisieren. Andreas Schadschneider und seine Kollegen konnten diese Theorie nun zum ersten Mal für ein reales System wie dem des Ameisenstaates bestätigen. Ein Problem bleibt jedoch: Der menschliche Egoismus. Den kann man aber mit Hilfe der Technik ein bisschen austricksen, weiß Andreas Schadschneider.

    Seit einigen Jahren gibt es dazu bereits elektronische Fahrassistenz-Systeme. Sie sollen in erster Linie die Fahrsicherheit erhöhen, sollten aber auch zur Vermeidung der Staugefahr eingesetzt werden, so der Physiker. Denn sie unterstützen den Autofahrer beim gleichmäßigen Fahren, indem sie wie die Ameisen untereinander kommunizieren

    "Das man frühzeitig darüber Informationen bekommt, wenn der Vordermann zum Beispiel zum Bremsen gezwungen wird und vielleicht der Bremsvorgang schon automatisch eingeleitet wird. Das sind Systeme, die momentan noch eine geringe Akzeptanz haben, aber ich denke, das wird sich in den nächsten zehn bis 15 Jahren ändern."