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"Das ist reine Selektion"

Die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt ist eine der Abgeordneten, die einen Gesetzesentwurf zum Verbot der Präimplantationsdiagnostik vorgelegt haben. Auch wenn beteuert werde, es ginge nicht um Designerbabys, was letztlich in der Praxis geschehe – so Göring-Eckardt – stehe schließlich auf einem anderen Blatt.

Katrin Göring-Eckardt im Gespräch mit Michael Köhler | 08.02.2011
    Michael Köhler: Die Gegner von Gentests an Embryonen aus dem Reagenzglas haben heute einen überfraktionellen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem das sogenannte PID-Verfahren strikt verboten werden soll. Bei der Präimplantationsdiagnostik werden künstlich befruchtete Eizellen auf etwaige Erbschäden untersucht, bevor sie dann in den Mutterleib eingepflanzt werden. Die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt ist Bundestags-Vizepräsidentin und auch Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland und sie habe ich gefragt: So ein bisschen schwanger gibt es bekanntermaßen ja nicht und ein bisschen PID gibt es auch nicht. Warum haben Sie also einen Verbotsentwurf vorgelegt?

    Katrin Göring-Eckardt: Ich bin der festen Überzeugung, dass wir Rechtssicherheit brauchen nach dem Urteil, das ergangen ist, und ich bin der festen Überzeugung, dass wir bei jeder Form der Öffnung in ein ethisches Dilemma kommen. Bei allem und großem Verständnis für die Paare, die sich von der PID erhoffen, dass sie ein gesundes Kind bekommen, insbesondere dann, wenn sie schon ein behindertes Kind haben, aber ich glaube, auch bei dieser Hoffnung muss man sagen, sie ist in Wirklichkeit eben nicht einfach so erfüllbar.

    Köhler: Ist es nicht auch ein Beitrag für Frauengerechtigkeit aufgrund von Lebensplanung, die vielleicht erst später ihr Kind bekommen wollen, oder Risikoschwangerschaften, die künstlich befruchten müssen? Ist das nicht ein Beitrag zur Liberalisierung, wenn die PID in engen Grenzen durchgesetzt würde?

    Göring-Eckardt: Nein, ist es ehrlich gesagt nicht. Wir haben ja eine Situation, wo die PID unter wirklich großen Schwierigkeiten durchgeführt wird. Das ist ein sehr belastendes Prozedere, Hormonstimulationen müssen vorgenommen werden, es müssen bei der PID mehr Embryonen hergestellt werden als die Drei, die im Moment gesetzlich erlaubt sind. Nur jede fünfte Frau wird überhaupt schwanger nach der Präimplantationsdiagnostik, und auch bei denen, die dann schwanger werden, wird ganz häufig in den meisten Fällen noch Pränataldiagnostik vorgenommen. Und letztlich muss man dazu sagen, die allerwenigsten Behinderungen sind überhaupt vor der Geburt absehbar. Das heißt, ob man dann tatsächlich ein gesundes Kind hat oder nicht, weiß man nicht. Die Gefahr der Mehrlings-Schwangerschaften ist sehr hoch, und auch das ist ja eine häufig große Schwierigkeit für die Gesundheit der Kinder hinterher, übrigens auch für die Gesundheit der Mutter, wie wir aus dem Ausland insbesondere wissen.

    Köhler: Das sind bekannte Einwände. Aber verweigern Sie damit nicht genetisch vorbelasteten Eltern den Kinderwunsch?

    Göring-Eckardt: Nein, den Wunsch auf gar keinen Fall. Den finde ich absolut legitim, kann ihn verstehen, würde sogar sagen, das ist ein ganz natürlicher Wunsch. Und das ist übrigens auch ein sehr schöner Wunsch, weil das ja heißt, dass man Verantwortung übernimmt, und dass man sie gerne übernimmt. Das sind ja Wunschkinder, um die es da geht.

    Auf der anderen Seite muss man sich natürlich die Frage stellen, ob erstens "der Staat" dafür verantwortlich ist, einen Wunsch zu erfüllen, und wenn er darüber nachdenkt, dann muss er sich überlegen, was er auf der anderen Seite damit auch auslöst, oder ich würde in dem Fall sogar sagen anrichtet. Das ist reine Selektion, weil außerhalb des Mutterleibes entschieden wird, welcher Embryo darf sich weiterentwickeln und welcher darf sich nicht weiterentwickeln. Die Selektion wird nach bestimmten Kriterien vorgenommen, und die Kriterien haben mit der Frage zu tun, ob bestimmtes Leben lebenswert ist ja oder nein. Und manche sagen dann, es ist eingeschränktes Leben, ein Leben mit Behinderung. Ich würde das nicht sagen, sondern ich würde sagen, das ist eine Form des Lebens, die zur Vielfalt gehört und die ja ganz oft auch mit großer Liebe und großem Lebensglück verbunden ist.

    Köhler: Irdisch gewesen zu sein, scheint nicht widerrufbar, nur dieses eine Mal, sagt Rilke in den Duineser Ilegien, und überzähliges Dasein entspringt mehr im Herzen. Was würden Sie sagen kulturell? Sind wir an so einem Punkt, wo das Wünschen durch das Wollen ersetzt würde, wenn es denn in engen Grenzen so durchginge?

    Göring-Eckardt: Also wenn es in engen Grenzen so durchginge, dann würde ich auch nicht sagen, dass das Wünschen und das Wollen miteinander kompatibel sein müssen in einer Gesellschaft, die darauf angelegt ist, dass verschiedene Menschen zusammenleben. Wir wissen allerdings aus Erfahrung bei uns selbst - Pränataldiagnostik ist ein Beispiel, andere gibt es auch -, dass es eben nicht bei den engen Grenzen bleibt. Wir wissen es aus anderen Ländern. Wir wissen, dass bei der Diagnostik eben sehr, sehr viel festgestellt werden kann. Bei der Pränataldiagnostik beispielsweise das Down-Syndrom. Inzwischen werden 90 Prozent der Kinder, die Down-Syndrom hätten, gar nicht erst geboren, und das wissen wir eben auch von anderen Krankheiten aus anderen Feldern.

    Häufig wird damit argumentiert, dass man dann auch das Krebsrisiko, gerade was Brustkrebs angeht, ausschließen könnte bei Frauen, die über 40 sind. Also über alle solche Sachen wird geredet und ich traue jetzt niemandem, der einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, zu, dass es um Designer-Babys geht. Das haben alle sehr eindeutig gesagt, dass es darum nicht geht. Aber das ist der Gesetzgeber. Was dann praktisch daraus wird, ist wieder eine andere Frage, und ich bin da sehr skeptisch, ob wir nicht ganz schnell auf eine Ebene kommen, wo über ganz unterschiedliche Sachen geredet wird, die man sich bei einem Kind wünscht oder eben gerne ausschließen will.