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Das Kyoto-Protokoll als Klimasünder

Seit dem Inkrafttreten des Kyoto-Protokolls sind die CO2-Konzentrationen nicht so gesunken, wie erhofft. Steckt im ersten Klimaschutzabkommen ein Systemfehler? Eine Frage, die aktuell bei den Bonner Vorverhandlungen zu nächsten Klimakonferenz in Cancun eine Rolle spielt.

Von Manuel Waltz | 04.08.2010
    Der Name der japanischen Stadt Kyoto steht für das erste Abkommen zum Klimaschutz - und für viele für erfolgreiche Umweltpolitik. Nicht so für Dieter Helm, Professor für Ökonomie an der Universität Oxford. Dazu reicht ihm ein Blick auf die nüchternen Zahlen:

    "Wir erhöhen heute die CO2-Konzentration in der Atmosphäre jedes Jahr um zwei Teile pro Million. Als das Kyoto-Protokoll in Kraft trat, war es nur die Hälfte."

    Ein Hauptgrund dafür, dass weltweit nicht weniger CO2 ausgestoßen wird, sondern mehr, liegt seiner Meinung nach im System selbst. Denn es setze falsche Anreize und animiere die Länder nicht CO2 einzusparen, sondern lediglich den Ausstoß auf ihrem eigenen Territorium zu verringern.

    "Das Kyoto-Protokoll bietet einen sehr hohen Anreiz, energieintensive Industrien in Länder wie China oder Indien zu verlagern. Europa hat sich deindustrialisiert."

    Im Mittelpunkt des Kyoto-Protokolls stehen die nationalen Klimabilanzen. Michael Strogies ist beim Bundesumweltamt für die deutsche Klimabilanz verantwortlich, er erklärt:

    "Das Grundprinzip dabei ist der Quellenbezug. Also alle Quellen, die hier in Deutschland bestehen, werden für Deutschland berechnet."

    Genau das kritisiert Dieter Helm. Denn in den vergangenen Jahren haben die Industrienationen ihre Produktion massiv in Entwicklungs- und Schwellenländer verlagert - und damit auch die CO2-Emissionen. Dieter Helm kalkuliert die Bilanzen deshalb neu. Ein Beispiel: Ein Fernseher wird in China produziert, nach Großbritannien verschifft und dort in einem Wohnzimmer aufgestellt. Das Kyoto-Protokoll rechnet das CO2 für Produktion und Transport China an, Dieter Helm berechnet es Großbritannien.

    "Die Konsequenz ist dramatisch: Zwischen 1990 und 2005 ist der CO2-Ausstoß Großbritanniens nach dem Kyoto-Protokoll berechnet um 15 Prozent gesunken. Erstaunlich stark also. Aber wenn man das CO2 hinzuzieht, das bei der Produktion der Importe beispielsweise in China ausgestoßen wird und zudem den Flug- und Schiffsverkehr mit einrechnet, dann hat Großbritannien seinen CO2-Ausstoß um 19 Prozent erhöht."

    Das in den Importen enthaltene CO2 zu berechnen ist schwierig. Dieter Helm hat deshalb etwa für China kalkuliert, wie viel CO2 die dortige Wirtschaft pro Dollar Bruttoinlandsprodukt ausscheidet. Mit dieser Zahl konnte er abschätzen, wie viel CO2 Chinas Exporte nach Großbritannien enthalten. Eine solche Berechnung vereinfache die Verhältnisse, räumt der Wissenschaftler ein. Doch sie gebe einen klaren Trend an, der dramatisch von den bisherigen Zahlen abweicht. Dieter Helm fordert deshalb von der UNO, eine CO2-Bilanzierung nach seinem Prinzip vorzunehmen und bei den Klima-Verhandlungen zu berücksichtigen. Die UNO solle die Zahlen noch genauer erheben, als er selbst das bisher getan hat. Und dies sei auch möglich:

    "Wir wissen, was exportiert und was importiert wird. Wir wissen in etwa, wie viel CO2 bei der Produktion der einzelnen Güter, zum Beispiel für Stahl oder Zement, ausgestoßen wird. Das bedeutet, eine solche Berechnung ist für die gesamte Weltwirtschaft möglich."

    Michael Strogies vom Bundesumweltamt müsste dann berechnen, wie viel CO2 weltweit durch den Konsum der deutschen Bevölkerung verursacht würde:

    "Wenn ich mir vorstelle, ein solches System aufzubauen für Milliarden von Menschen, um dann letzten Endes Emissionen nach zu verfolgen und eine Clearingstelle zu bilden, dann ist das für mich doch ein riesiger organisatorischer Aufwand, der, glaube ich, vom Effekt her auf den ersten Blick erkennbar noch nicht mal größere Effekte bildet, als es unter dem jetzigen Regime möglich ist."

    Dieter Helm dagegen fordert diese Zahlen. Denn das Kyoto-Protokoll ist seiner Meinung nach vor allem wegen der Berechnungsmethode gescheitert. Diese habe vor allem einen Effekt: Sie verschleiere, wer wirklich für den CO2-Ausstoß auf der Welt verantwortlich sei:

    "Europas Anteil am Klimawandel wird nicht kleiner. Es sieht so aus, als würden wir in Europa viel leisten. Aber das ist eine Illusion. Es ist eine Konsequenz daraus, dass die Emissionen auf eine europafreundliche Art und Weise berechnet werden."