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"Das tut mir für Duisburg, für die Metropole Ruhr sehr, sehr leid"

Oliver Scheytt, Geschäftsführer der Kulturhauptstadt RUHR.2010, kennt die Loveparade-Veranstalter als " besonnene und auch wohlüberlegte" Menschen - fordert jedoch eine rückhaltlose Aufklärung. Man werde im Rahmen der RUHR.2010 der Opfer gedenken.

26.07.2010
    Katja Lückert: "Friede, Freude, Eierkuchen" 1989, das war das erste und das letzte deutsche Motto, danach trug die Loveparade nur noch englische Titel, so zum Beispiel "The Future is Ours" 1990, dann nach ihrem Umzug aus Berlin in andere Städte, 2007 in Essen "Love is everywhere" bis zur nun letzten Ausgabe "The Art of Love", ein Motto, das sicher auch ein wenig zu dem Kulturhauptstadtjahr im Ruhrgebiet harmonisieren, gehören sollte, zu dessen Programm sie ja schließlich gehörte. Der Geschäftsführer der Kulturhauptstadt RUHR.2010, Oliver Scheytt, ist insofern Experte, weil in Essen im Jahr 2007 eine Loveparade mit 1,2 Millionen Besuchern stattfand. Herr Scheytt, Sie waren damals Kulturdezernent, wenn Sie einen Vergleich anstellen zwischen diesen Veranstaltungen in Essen, ein Jahr später in Dortmund und jetzt in Duisburg, was können Sie zu dieser Diskussion, die sich ja auch viel um die Verantwortlichkeiten für das Unglück dreht, beitragen?

    Oliver Scheytt: In Essen und in Dortmund war der Zugang auf das Gelände anders möglich, von vielen Seiten ein Zu- und Abgang möglich. Hier offensichtlich gab es ja einen Hauptzu- und auch -abgang, es gab allerdings auch Notausgänge. Das Gelände habe ich selber gesehen, bin gegen halb fünf sogar über das Gelände gelaufen – das war zu diesem Zeitpunkt noch nicht voll. Insofern gab es einfach andere räumliche Voraussetzungen an den verschiedenen Orten. Und offensichtlich hat ja dieser enge Zugang dann zu dieser Katastrophe mit beigetragen, entscheidend mit beigetragen.

    Lückert: In Ihrer heutigen Funktion als Geschäftsführer der Kulturhauptstadt RUHR.2010 möchte ich Sie auch fragen, Sie hatten doch vor einer Woche über eine Million Menschen auf einer Essener Autobahn, das war auch ein Event, der wie die Loveparade zu den Veranstaltungen des Kulturhauptstadtjahres gehörte. Gab es da ein besseres Sicherheitskonzept?

    Scheytt: "Still-Leben Ruhrschnellweg" hatte viel, viel mehr Besucher, es war wahrscheinlich die größte Veranstaltung, die es in der Bundesrepublik überhaupt jemals gegeben hat, mit drei Millionen Besuchern, allerdings auf 60 Kilometer Autobahn verteilt – eine Spur für die Tische mit den Kulturen, die dort präsentiert wurden, und auf der anderen Spur die Fahrradfahrer. Und dort gab es ein sehr genaues Konzept mit Zu- und Abgängen, auch bei den Tunnels waren entsprechende Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Bei diesem Ereignis sind nur 150 winzig kleine Verletzungen … Insofern bin ich besonders traurig, dass diese beiden Ereignisse so schnell hintereinander und so konträr dann auch im Ergebnis waren.

    Lückert: Was sagen Sie denen, die finden, dass das Kulturhauptstadtprogramm durch das tragische Unglück in Duisburg jetzt beschädigt wurde?

    Scheytt: Es ist nicht das Programm beschädigt. Mein und unser Mitgefühl, das ist bei den Angehörigen, bei den Menschen, die das miterlebt haben, da gilt mein erster Gedanke hin. Wir im Kulturhauptstadtprogramm werden darauf auch eingehen. Wir werden auch am 12. September – die "Sinfonie der Tausend" ist geplant in Duisburg in der Kraftzentrale mit allen Orchestern und Chören des Ruhrgebiets – an die Opfer denken. Ich glaube, das ist im Moment das, was wir tun können, nämlich Beistand leisten und auch unsere tiefe Betroffenheit zum Ausdruck bringen. Unser Kulturhauptstadtjahr hat jetzt in der Mitte des Jahres zwei Höhepunkte – der eine war fantastisch, mit "Still-Leben", fröhlich, gelungen, und der andere ist in einer Tragödie geendet –, und insofern liegt hier Freude und Leid in einem Maße beieinander, wie ich es vorher niemals für möglich gehalten habe.

    Lückert: Man kann ja den Eindruck gewinnen, dass die kommunale Spitze in Duisburg an verschiedenen Stellen die Augen zugemacht hat und vielleicht auch gehofft hat, die Loveparade würde ein schöner Teil des Kulturhauptstadtjahres werden, der ihr als Stadt auch ziemliche Einnahmen bescheren würde. Das ist leider gescheitert.

    Scheytt: Ja, die Stadt Duisburg hat darauf gesetzt, dass diese Bilder um die Welt gehen, ebenso wie bei Essen und Dortmund, die ja erfolgreiche Loveparade-Veranstaltungen erlebt hatten, der Fall war. Und diese Rechnung ist nicht nur nicht aufgegangen, sondern ist ins Gegenteil verkehrt, und das tut mir für Duisburg, für die Metropole Ruhr sehr, sehr leid. Und ich möchte aber sagen, dass wir jetzt eine rückhaltlose Aufklärung aller Vorgänge brauchen.

    Lückert: Und ist das für Sie nicht erstaunlich, dass viele Leute schon gesagt haben, man hätte das wissen können, dass da kein Platz ist?

    Scheytt: Hinterher ist man immer schlauer. Soweit ich ...

    Lückert: Ja, diesmal war man vorher schlauer.

    Scheytt: Ja, soweit ich diesen Veranstalter kenne, sind das sehr besonnene und auch wohlüberlegte und erfahrene Menschen, die haben ja nicht nur eine Loveparade, sondern mehrere Loveparades gemacht. Wir von der RUHR.2010 hatten mit der Vorbereitung direkt nichts zu tun, deswegen haben wir uns mit diesen Örtlichkeiten – weder Herr Pleitgen noch ich – befasst, und deswegen war das für mich auch eine völlig überraschende Situation, die da jetzt eingetreten ist.

    Lückert: Brauchen wir überhaupt diese ganzen Massenveranstaltungen, ist da ein Mehr durch mehr Leute, an mehr Inhalt?

    Scheytt: Ich glaube, wir brauchen schon Großereignisse, das möchten die Menschen. Wir hatten ja noch ein anderes in einem Stadion, mit "Day of Song" und "Sing!", und wir hatten eine tolle Eröffnungsfeier mit 200.000 Menschen. Von diesen Veranstaltungen sind alle immer sehr beseelt und glücklich zurückgekommen. Deutschland kann mit Großveranstaltungen umgehen, aber hier ist offensichtlich durch die Besonderheiten des Ortes und auch möglicherweise durch Fehler in der Abwicklung dann eine solche Tragödie die Folge gewesen. Alkohol hat eine Rolle gespielt, die Menschen, die zu einer solchen Feier kommen, haben auch eine ganz besondere Art, sich auszudrücken. Das war letztlich bekannt, und insofern ist es umso schlimmer, dass es jetzt so geendet ist.

    Lückert: Oliver Scheytt, Geschäftsführer der Kulturhauptstadt RUHR.2010, zu der Tragödie in Duisburg am vergangenen Wochenende.

    <u>Zur Loveparade-Tragödie auf dradio.de:</u>

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