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DDR-Dopingopfer
Der Kampf gegen die Zeit

Mindestens 10.000 Hochleistungssportler müssten es sein, die die DDR wohl planmäßig gedopt hat. Schätzungen zufolge müssten 2000 Betroffene des Zwangsdopings schwere Schäden davongetragen haben. Auf finanzielle Entschädigung warten viele von ihnen bis heute.

Von Andrea Schültke | 30.08.2015
    Manfred Ewald, Präsident des Nationalen Olympischen Komitees der DDR
    Manfred Ewald, Präsident des Nationalen Olympischen Komitees der DDR (picture-alliance / dpa / Ossinger)
    Die Geschichte des DDR-Dopings ist auch die Geschichte der Opfer. Eines von ihnen ist der Gewichtheber Gerd Bonk. Der einst stärkste Mann der Welt bekam Anabolikamengen wie kein anderer. Nach der Karriere hatte er neben seiner schweren Zuckerkrankheit kaputte Nieren und weitere Organschäden. Der Olympiazweite von Montreal starb vor zehn Monaten im Alter von 63 Jahren wohl an den Folgen des Dopings.
    Den Zusammenhang zwischen Doping und schweren Schädigungen bestreiten Gutachter der Gerichte. Betroffene müssen ihn beweisen, wenn sie für eine Rente streiten nach dem Opferentschädigungsgesetz. Denn häufig sind die ehemaligen Athleten schwer krank und nicht arbeitsfähig.
    Honeckers Dank gilt den Medizinern
    Bei den Olympischen Boykott-Spielen von Moskau belegte die kleine DDR Platz zwei im Medaillenspiegel hinter Gastgeber Russland. Erich Honecker, Staatsratsvorsitzender der DDR, würdigte nach den Spielen 1980 die Sportler - und die Medaillenmacher: "Unser Dank gilt zugleich den Übungsleitern, Trainer und Sportfunktionären, den Sportwissenschaftlern und Medizinern für ihren großen Anteil an diesen schönen Erfolgen."
    Diese "schönen Erfolge" konnte die DDR auch acht Jahre später in Seoul wiederholen. Auch als alle Nationen wieder an den Olympischen Spielen teilnahmen änderte sich der Medaillenspiegel nicht: Russland auf Platz eins vor der DDR und erst dann die USA. Welchen Anteil die Forschung und die Mediziner an diesen "schönen Erfolgen" hatten, wurde erst nach dem Fall der Mauer so richtig klar.
    Manfred Ewald, Chef des Turn- und Sportbundes der DDR behauptete allerdings noch 1990 im Deutschlandfunk-Sportgespräch selbstherrlich: "So haben wir doch sehr effektiv mit wenigen Mitteln hervorragende Leistungen im Bereich des Leistungssports geschafft."
    Das war eine Lüge. Es waren nicht wenige Mittel sondern sehr, sehr viele. Die DDR wollte sportlichen Erfolg um jeden Preis. Dafür wurden schon Kinder mit leistungssteigernden Mitteln stark und schnell gemacht.
    Aschenbach lässt die Bombe platzen
    Eine Ahnung vom Ausmaß des geplanten systematischen Dopings auch Minderjähriger bekamen viele Menschen kurz vor dem Mauerfall. Durch den ehemaligen Skispringer und Sportmediziner Hans-Georg Aschenbach. Der setzte sich bei einem Wettkampf in den Westen ab und verkaufte seine Informationen über das DDR-Staatsdoping der Bild-Zeitung. Später urteilte er: "Wenn jemand durch die Einnahme der Mittel Schäden genommen hat, dann muss man das als Straftat bewerten und entsprechen auch Opfer und Täter beurteilen."
    Welches Ausmaß das staatliche organisierte Doping tatsächlich hatte und wie gezielt daran gearbeitet wurde, machten zwei Anti-Doping-Aktivisten aus Heidelberg offenbar: die ehemalige Leichtathletin Brigitte Berendonk und ihr Mann Werner Franke. Als die Grenzen gerade geöffnet waren, retteten die beiden Beweise vor dem Schreddern. Akten, die das systematische Zwangsdoping belegten. "Es war noch viel schlimmer, als wir vermutet haben", sagte Brigitte Berendonk später: "Was das Herausragende im negativen Sinne im DDR-Sport war, war der Medikamentenmissbrauch, die Gabe von Hormonen an Mädchen und Frauen. Da steht der DDR-Sport sicher einzig in der Welt dar und muss sich dessen immer noch schämen."
    Nach und nach wurde die perfide Planung der Menschenversuche deutlich: 1964 leitete die DDR die sogenannte "anabole Phase" ein. Das hieß: leistungssteigernde Mittel - zunächst für Sportler in den Dynamo-Clubs, danach im ganzen Land.
    Rekorde und Siege nach Plan
    Zehn Jahre später brachte das Zentralkomitee der SED Systematik in das Doping - durch den Staatsplan 14.25. Das Ziel: Rekorde und Siege nach Plan. Dafür rüstete das Land auch pharmazeutisch auf. Der volkseigene Betrieb Jenapharm entwickelte das Anabolikum Oralturinabol und andere, nie zugelassene Arzneimittel. Ausprobiert sogar an Kindern. Alles, damit die Sportler als "Diplomaten im Trainingsanzug" die Leistungsfähigkeit der DDR auf den Sportplätzen und in den Turn-und Schwimmhallen auf der ganzen Welt demonstrierten.
    Die beiden Chefstrategen hinter dem zentral überwachten Dopingprogramm waren der Sportmediziner und Stasi-IM Manfred Höppner und Manfred Ewald, Präsident des Deutschen Turn- und Sportbundes DTSB. Der leugnete das Staatsdoping sogar noch kurz nach dem Mauerfall und behauptete: "Wir haben im Ergebnis der uns vorliegenden Resultate das Doping untersagt. Es gab kein flächendeckendes System des Dopings wie immer gesagt wird und wir haben dort, wo einzelne Leute ohne unsere Erlaubnis und Wissen hinter unserem Rücken davon abgewichen sind, haben wir die Betroffenen auch zur Verantwortung gezogen."
    Im Sommer des Jahres 2000 wurde Ewald und Höppner der Prozess gemacht. Das Landgericht Berlin verurteilte den langjährigen DDR-Sportchef zu 22 Monaten Haft auf Bewährung wegen Beihilfe zur Körperverletzung in 20 Fällen. Manfred Höppner, der für die wissenschaftliche Umsetzung des Staatsdopings sorgte, erhielt eine 18-monatige Bewährungsstrafe. Er hatte sich bei den Opfern entschuldigt.
    Fonds für die Dopingopfer
    Die hatten mit zum Teil schweren Nebenwirkungen der Dopingmittel zu kämpfen. Finanzielle Unterstützung sollte aus dem Dopingopferhilfegesetz kommen. Dafür wurde beim Bundesverwaltungsamt in Köln ein Fonds eingerichtet. In Höhe von zwei Millionen Euro. Von 308 Anträgen auf Hilfeleistung wurden 194 anerkannt. Diese Anerkannten erhielten jeweils 10.438,71 Euro.
    Aber auch vom Sport wollten die Dopingopfer ein Zeichen. Der Deutsche Olympische Sportbund als Nachfolgeorganisation des DTSB solle Verantwortung übernehmen, und zur Linderung der Dopingfolgen beitragen. Das Geld solle aus den fünf Millionen Mark kommen, die der DOSB vom DTSB übernommen hatte. Ende 2006 war es soweit: "Das ist ein guter Tag für den Sport und ein guter Tag für die Opfer", fand Michael Vesper.
    Der heutige Vorstandsvorsitzende des Deutschen Olympischen Sportbundes DOSB, hatte da gerade sein Amt als Generaldirektor des Dachverbandes angetreten. In dieser Funktion unterschrieb Vesper eine Vereinbarung mit den Dopingopfern. 167 Betroffene erhielten je 9250 Euro für die der DOSB und der Bund gemeinsam aufkamen.
    Schäden werden erst heute sichtbar
    Noch einmal den gleichen Betrag zahlte nach langem Hin und Her auch das Arzneimittelunternehmen Jenapharm. In der DDR hatte der Volkseigene Betrieb die Produktion der Dopingmittel übernommen. Die Zahlungen sind inzwischen mehr als sieben Jahre her. Der Bedarf an Unterstützung steige allerdings an, schildert Ines Geipel. Die Vorsitzende der Dopingopferhilfe stellt fest: "Warum wir gar nicht von Vergangenheit sprechen, sondern von absoluter Aktualität ist, dass der Schaden heute erst sichtbar wird. Die Athleten kommen heute erst und erzählen ihre Geschichten."
    Etwa 700 Geschädigte hätten aktuell beim DOH gemeldet. Vielen von ihnen gehe es körperlich und seelisch sehr schlecht. Rein rechtlich erfüllen die Dopingopfer die Voraussetzungen für eine Rente nach dem Opferentschädigungsgesetz. Es gibt allerdings ein großes Hindernis: Sie müssen belegen, dass ihre Schäden in Zusammenhang stehen mit der Vergabe der Dopingmittel.
    Bisher haben erst drei Betroffene eine Rente nach dem OEG zugesprochen bekommen. Viele andere streiten weiter. Teilweise berufsunfähig ohne finanzielle Unterstützung. Die Grünen wollten das ändern und brachten mehrere Anträge in den Bundestag ein auf eine monatliche Rente für die Dopingopfer - zuletzt 2013. Ohne Erfolg. Die Ablehnung der Regierungskoalition begründete damals Klaus Riegert, sportpolitischer Sprecher der CDU/CSU: "Die Geschädigten wurden einmal entschädigt durch das Dopingopferhilfegesetz, an das Instrument Rente ranzugehen hat natürlich viel weitgehendere Implikationen und deshalb kann ich mir nicht vorstellen, dass unsere Fraktion an das Thema rangeht. Wir werden auch von der Fraktion diesen Antrag ablehnen müssen."
    Die Zeit drängt
    Keine Rente für die Dopingopfer lautet der aktuelle Stand. Zuletzt hatte der DOH einen Akutfonds des Sports gefordert. Begründung: Wenn Deutschland sich mit Hamburg um Olympische Spiele bewerbe, müssten erst die alten Probleme aufgearbeitet werden. 32 Millionen Euro sollten in den Fonds - genau die Summe, die für die gescheiterte Olympiabewerbung Münchens um die Winterspiele 2018 ausgegeben worden waren. Zu einem Hilfsfonds sagte DOSB-Präsident Alfons Hörmann Anfang August: "Wir haben bereits Beiträge geleistet und wir sind auch weiter dazu bereit. Alles im Rahmen unserer Möglichkeiten, d.h. eine große Investition in einem gemeinsamen Fonds des Sports ist nicht möglich, weil die Mittel, zumindest derzeit, nicht vorhanden sind. Aber wir arbeiten mit der Politik dran, die Dinge zu lösen."
    Klingt nach der Bereitschaft, etwas zu tun. Der DOH um seine Vorsitzende Ines Geipel mahnt zur Eile: "Wir brauchen eine Lösung. Wir haben keinerlei Zeit mehr, die Athleten sterben."
    Wie vor zehn Monaten der ehemalige Gewichtheber Gerd Bonk.