Dienstag, 23. April 2024

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DDR-Studentengemeinden
Die Stasi hörte immer mit

Kirchliche Studentengemeinden galten in der DDR als besonders regimekritisch und standen unter ständiger Beobachtung der Stasi. 25 Jahre nach dem Ende der DDR ist die Geschichte der katholischen Studentengemeinden noch weitestgehend unerforscht. Ein neues Buch will das nun ändern.

Von Lenore Lötsch | 25.04.2014
    Der Eingang der ehemaligen Untersuchungshaftanstalt der Stasi in Rostock (Mecklenburg-Vorpommern), heute Dokumentations- und Gedenkstätte der Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen
    Der Eingang der ehemaligen Untersuchungshaftanstalt der Stasi in Rostock (Picture Alliance / dpa / Bernd Wüstneck)
    Grau sind die vielen Gitter, und grau ist auch der Original-Gefangenentransportwagen, an dem die Besucher der Lesung erst einmal vorbei müssen in der ehemaligen Untersuchungshaftanstalt der Stasi in Rostock, die heute eine Dokumentations- und Gedenkstätte ist. Und grau sind die Köpfe vieler Besucher, die auf diesen Abend lange gewartet haben. Es ist ihre Geschichte, die der katholischen Studentengemeinde in Rostock von 1960 bis 1970. Peter Uebachs, der damals ihr Sprecher war, hat sie sieben Jahre lang aus Archiven rekonstruiert:
    "Man hat sich in der Studentengemeinde ziemlich intensiv mit philosophischen Fragen beschäftigt. Dass die Studentengemeinde quasi das Studium generale in der DDR ersetzt hat, soweit ist das nachher qualifiziert gewesen. Und das haben wir natürlich alle genossen und viele ja auch, die nicht mit der Kirche was zu tun haben wollten, sind gekommen und haben zugehört."
    Und natürlich wussten alle, dass auch die Stasi zugehört hat, erzählt Christel Unvericht, die Ende der 60er Jahre auch zur katholischen Studentengemeinde gehörte:
    "Wir wussten ja, ob nun in der KSG oder im allgemeinen Leben, man wusste ja, dass man immer irgendwo beobachtet wurde und wir, die wir irgendwo christlich engagiert waren, wo so viele Jugendliche zusammen waren, da war das dann extrem und das wusste man schon oder ahnte es. Aber wie man in der Jugend so ist: Man fühlte sich ja manchmal auch mutig. Wir wussten es und haben trotzdem über alles gesprochen."
    Wer ist besonders verdächtig?
    Studenten bespitzelten Studenten mit dem Auftrag, die späteren Akademiker schon im Vorfeld einer Karriere genau zu durchleuchten. Im Kern der Studentengemeinde, zu dem 20 bis 30 aktive Mitglieder gehörten, wurden die Zuträger "Sputniks" genannt, und eifrig wurde diskutiert, wer besonders verdächtig ist, erinnert sich Peter Uebachs:
    "Aber wir haben nie gewusst, wer es war, und die Leute, auf die wir getippt hatten, waren es nicht. Also getippt haben wir zum Beispiel auf Leute, die mitgeschrieben haben oder auf Leute, die am Rande standen, aber doch ziemlich regelmäßig da waren. Es ist ein ganz eigentümliches Gefühl, was man da entwickelt. Aber wir haben ja sehen müssen: Es war ein Irrtum."
    Denn Peter Uebachs hat in den Stasiakten gefunden: Er selbst hat einen der inoffiziellen Mitarbeiter (IMs) eingeführt in die Gemeinde, einen den er lange "mein Freund" nannte. Ihre Freundschaft begann in Kindertagen, beide waren Ministranten, irgendwann wandte sich der Freund von der Kirche ab und trat der FDJ bei:
    "Dann kam das Jahr 1959, und da starb seine Mutter und dann sprach er mich plötzlich an und fragte nach der Studentengemeinde und da habe ich in meiner Naivität gedacht: Aha, guck an, er besinnt sich auf irgendwas anderes als auf die FDJ und ich hab ihm dann den Pater vorgestellt und den anderen und so ist er also ein ganz aktives Mitglied geworden. Wenn ich Ihnen die Fotos zeige von ihm, über ihn, dann würden Sie sagen: Der ist also begeisterter Katholik gewesen und das war er auch, da bin ich heute noch von überzeugt, aber er hatte diesen Auftrag übernommen und auch sehr aktiv ausgeführt."
    Acht inoffizielle Mitarbeiter schrieben seitenlange Berichte
    Er berichtet über die philosophischen Diskussionsrunden, darüber, dass ein Student einen "westdeutschen Zukunftsroman mit dem Titel 1984" in die DDR geschmuggelt hat, der eifrig gelesen wird von den Mitgliedern der katholischen Studentengemeinde. Und auch die anderen sieben IMs schreiben immer wieder seitenlange Berichte über die Treffen. In der Rückschau wirkt vieles banal. Anne Drescher, die Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes in Mecklenburg Vorpommern:
    "Dass berichtet wird, dass jemand immer in den Singkreis geht, an einem bestimmten Wochentag - ist natürlich eine banale Geschichte. Aber dieser Bericht kann natürlich möglich machen, dass genau an diesem Tag eine Hausdurchsuchung erfolgen kann. Insofern liegt es nicht in der Macht der inoffiziellen Mitarbeiter - sondern die Mitarbeit überhaupt; die Zurverfügungstellung von Informationen über andere Menschen hat es eben ermöglicht, dass mit Zersetzungsmaßnahmen, mit Verfolgungsmaßnahmen gegen Andersdenkende vorgegangen wurde."
    Peter Uebachs betont: Nicht er hat das jetzt veröffentlichte Buch geschrieben, sondern die Stasi. Denn auf 284 Seiten finden sich viele Akten, viele Treffberichte und ein wenig Kommentar von ihm. Doch auf der Seite 281 wird es dann ganz persönlich. Sein jahrzehntelanger Freund und inoffizieller Mitarbeiter der Stasi mit dem Decknamen Kosch hat ihm, als er von der Arbeit an dem Buch erfuhr, einen Brief geschrieben. Darin heißt es:
    "Hallo Peter, ich hätte es gern persönlich gemacht, aber nun möchte ich es Dir auf diesem Wege sagen, dass ich mir meiner großen Schuld und meines lange währenden Verrats bewusst bin, mich deswegen schäme und Euch dafür um Entschuldigung und Verzeihung bitte."
    Solche Entschuldigungen sind äußerst selten, weiß auch Georg Diederich, der selbst zur katholischen Studentengemeinde in Rostock gehörte und das Buch herausgegeben hat:
    "Vergebung setzt voraus, dass Schuld bekannt wird. Und das war für uns neu, dass wir hier jemanden der als IM gespitzelt hat, dazu bringen konnten, dass er seine Schuld bekannt hat und um Vergebung gebeten hat und ich denke, dann hat er auch Vergebung verdient."
    Peter Uebachs: "Stasi und Studentengemeinde."
    Überwachung der katholischen Studentengemeinde in Rostock durch das Ministerium für Staatssicherheit der DDR von 1960 bis 1970

    284 Seiten, 20 Fotos und über 200 Dokumente, 10,00 Euro.