Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Der Bote

Derjenige, der nachweislich mindestens 141 Millionen Franken Schmiergeld an höchste Sportfunktionäre gezahlt hat, ist noch immer Stammgast in diesem Business. Er ist ein enger Freund von FIFA-Ehrenpräsident Havelange, ist auch mit Blatter befreundet. Und er arbeitet für andere IOC-Mitglieder, die er gemäß Unterlagen bestochen hat.

Von Jens Weinreich | 01.12.2010
    Jean-Marie Weber ist ein Feingeist. Ein Mann mit Manieren und einem untrüglichen Gespür für die Situation. Wenn Weber, ein Mittsechziger, fremde Städte bereist, schaut er zunächst, welche Aufführungen die Opernhäuser bieten. Weber, aufgewachsen im Elsass, seit Jahrzehnten wohnhaft in der Nähe von Luzern, hat meist ein Opernprogramm in der Tasche. Er ist ein Mann der Kultur, nicht nur der Sangeskunst.

    Die abendlichen Ausflüge in die Oper sind auch eine Art Flucht. Denn Webers Tagwerk bestand Ewigkeiten darin, Sportfunktionäre zu schmieren. Die höchsten FIFA-Offiziellen, etliche IOC-Mitglieder, Funktionäre anderer Weltverbände - sie alle wurden von ihm bedient. Weber war als Manager der Sportmarketinggruppe ISL/ISMM der Zampano des Weltsports. Zwischen 1989 und 2001 hat er mehr als 141 Millionen Schweizer Franken Schmiergeld ausgezahlt. Das meiste in Bar.

    Vor Gericht hat Weber während des ISL-Strafprozesses geschwiegen. Man kann mit ihm beim Rotwein wunderbar über alte Zeiten plaudern, über die Jahre in der sportpolitischen Abteilung von Adidas, über die späteren Jahre in der ISL, über die wichtigsten und berüchtigsten Funktionäre der Welt. Er kennt sie alle. Er steht im Mittelpunkt des größten Korruptionsskandals der Sportgeschichte, dessen jüngste Enthüllungen nicht nur die FIFA erschüttern, die am Donnerstag in Zürich die Weltmeisterschaften 2018 und 2022 vergibt, sondern auch das IOC.

    Und er arbeitet immer noch für alte Freunde, etwa für Lamine Diack aus Senegal, den Präsidenten des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF, der nun wegen Schmiergeldzahlungen in der Kritik steht, oder für den FIFA-Vizepräsidenten Issa Hayatou, Kamerun. Alljährlich im Mai feiert er gemeinsam mit dem FIFA-Ehrenpräsidenten Joao Havelange in Zürich dessen Geburtstag - im Kreise der Familie.

    Im Grunde ist Jean-Marie Weber ein einsamer Mensch. Er hat seinen Job getan. Und er schweigt. Würde er auspacken und alle Namen verraten, bliebe im olympischen Sport kein Stein auf dem anderen - und Webers Leben wäre in Gefahr. Das hat er in kleinen Kreisen oft genug gesagt. Deshalb nimmt Jean-Marie Weber, der pflichtbewusste Feingeist, seine Geheimnisse mit ins Grab.