Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Der diskrete Charme der Nostalgie

Schon das Kinoplakat von "Midnight in Paris" erfreut: Über Seine-Ufer, Pariser Häuserzeile und der flanierenden Hauptfigur montiert Owen Wilson einen Van-Gogh-Himmel voller explodierender Sterne. Offensichtlich ein intellektuell untergründeten Märchen, wie immer bei Woody Allen, und mit einem Alter Ego des Regisseurs, Stadtneurotiker des 21. Jahrhunderts.

Von Josef Schnelle | 18.08.2011
    Der Film beginnt mit einem Bilderbogen, der alle Paris-Klischees aneinander montiert. Urlaubspostkarten mit romantischen Ansichten regnerischer Straßen. Man nennt das ein Lügensignal. Mit der realen Welt, das signalisiert die Sequenz, will der Film nichts zu tun haben. Eher schon mit dem Traum von der Stadt der Verliebten und aller Segnungen der modernen Kunst, Literatur und ja auch des Films. Woody Allen hat so eine Montage schon einmal als Eröffnung eines Filmes benutzt. 1979 in seinem Meisterwerk "Manhattan". Da ging´s um die Traumstadt des Stadtneurotikers, um New York. Seit einiger Zeit treibt sich Woody Allen - reichlich ungeliebt daheim - eher in den europäischen Metropolen herum und dreht dort Filme: - in London, Barcelona und Rom oder eben in Paris. Es gibt ja diese literarischen Reiseführer, die Texte berühmter Schriftsteller versammeln auf deren Spuren man dann touristisch staunend unterwegs sein kann. Woody Allen darf spätestens seit "Midnight in Paris" als Erfinder der filmischen Variante angesehen werden. Dazu braucht man natürlich einen Reisebegleiter. Diesmal ist das Owen Wilson, der in der Reihe der Alter Egos des Meisters eine erstaunlich gute Figur macht. Man könnte auch sagen eine "staunende" Figur. Gil ist als frustrierter Drehbuchautor mit einem Roman in der Schublade endlich nach Paris gekommen. Doch irgendwie zur falschen Zeit. Nicht zurzeit von Hemingway und Gertrud Stein zum Beispiel. Nach einer Nacht, die er ruhelos durch Paris gewandelt ist, spendiert ihm die Zeitmaschine Kino einen Trip in die 20er-Jahre mitten unter die Idole seiner blühenden Fantasie. Paris ist eine Stadt der immerwährenden Party und alle späteren Berühmtheiten hocken auf einem Haufen.

    Was ich mache? Ich bin Schriftsteller.
    Und was schreibst du gerade?
    Jetzt gerade schreib ich an einem Roman.
    Ach ja? Ich bin übrigens Zelda. Scott, Scott! Komm mal her!
    Was ist denn Liebling?
    Hier ist ein Schriftsteller aus... Woher?
    Kalifornien.
    Scott Fitzgerald, und wie heißt Du Sportsfreund?
    Gil, sie haben die gleichen Namen wie ?
    Wie was?
    Naja Scott Fitzgerald und äh
    Ja Scott und Zelda Fitzgerald, die Fitzgeralds. Ist sie nicht wunderschön?


    Das ist sie natürlich. Aber noch schöner ist die unbekannte Muse all dieser Künstler, die Gil auf seinen nächtlichen Spaziergängen durch das Paris der 20er Jahre begleitet, was fast - aber nur fast - in eine Liebesgeschichte mündet, denn die nächtliche (Ver)Führerin ist Oscar Preisträgerin Marion Cotillard. Irgendwann am Morgen kehrt Gil immer wieder zurück in einen wenig romantischen Alltag mit seiner Verlobten, die er bald heiraten wird, deren sehr konservative Eltern er ständig treffen muss und die die Berichte von seinen Zeitreisen natürlich für überkandidelte Spinnereien hält.

    Davon hast Du also geträumt. Von Deinen literarischen Idolen.
    Aber was wenn es kein Traum wäre.
    Wie meist Du das?
    Wenn ich mit Hemingway und Fitzgerald und Cole Porter...
    Würd ich an einen Gehirntumor denken.

    Soll ich dir was sagen Zelda Fitzgerald ist genau so, wie wir sie uns vorstellen. Was wir über sie gelesen haben in den Büchern und Artikeln. So charmant aber völlig neben der Kappe. Und sie kann Hemingway absolut nicht ausstehen.


    Die Nostalgieregel "Früher war alles schöner" gilt natürlich auf für die Bewohner der ewigen 20erJahre-Party. So sehnt sich Gils schöne Begleiterin nach der "Belle Époque" und schon taucht eine Kutsche auf, die die beiden zusammen in ein anderes Traumzeitalter mit Toulouse Lautrec und Konsorten befördert. Mitten in der abermals ewigen Party verkündet jemand, dieser langweiligen Zeit doch entkommen zu wollen: Das wahrhaft tolle kreative Leben habe nun Mal unwiederbringlich stattgefunden - in der Renaissance. Gil lässt seine Angebetete in der "Belle Époque" zurück und findet auf dem Flohmarkt von Paris endlich eine Seelenverwandte für die er die Nostalgie vergessen darf. Solch einen tolldreisten Ausstieg aus dem Parismärchen verzeiht man wohl nur Woody Allen, der es mit seiner Inszenierungskunst versteht, eine Geschichte lebendig werden zu lassen, die einem Filmanfänger jeder Drehbuchcoach um die Ohren gehauen hätte. Aber so ist das eben im Kino: Wenn am Ende wenigstens die Liebe zwinkert, ist alles gut.