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Der Dlf-Nachrichtenfragebogen
"Nachrichtenredakteure brauchen Demut vor der Wahrheit"

Die Berichte über das Leid der Flüchtlinge machen ihn betroffen. Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Köln, nutzt die Informationsmedien intensiv. Er hat den Journalisten einiges zu sagen - und würde sich freuen, wenn möglichst bald die Meldung von der Meisterschaft des 1. FC Köln in den Nachrichten vorkäme.

Von Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Köln | 18.10.2017
    Im Deutschlandfunk-Nachrichtenfragebogen nehmen Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft Stellung zum Informationsgeschäft. Was finden sie gut, was bedenklich? Welche Trends erkennen sie und welche Nachricht würden sie gerne einmal hören? Den Anfang macht Rainer Maria Kardinal Woelki, Erzbischof von Köln.

    Welche Medien nutzen Sie, um sich zu informieren?
    Ich nutze eine Vielzahl unterschiedlicher Medien, um laufend über das aktuelle Geschehen informiert zu bleiben. Dazu gehört auch – insbesondere am frühen Morgen – das Hören des Deutschlandfunks.
    Ein fester Bestandteil ist und bleibt die Lektüre einer Auswahl verschiedener Tageszeitungen. Unterwegs werfe ich öfter einen Blick auf Nachrichten-Seiten via Mobiltelefon oder lese unseren internen Medienspiegel. In größeren Abständen gehören auch Magazine und ausländische Presse in dieses Portfolio.
    Wovon gibt es zu viel in den Nachrichten?
    Ich möchte nicht in einen Kulturpessimismus einstimmen, aber sicher kann man feststellen, dass in den Nachrichten häufiger über Belangloses berichtet wird als früher. Andererseits ist jeder Leser oder Hörer in der Lage, angesichts der Vielzahl an Nachrichten-Kanälen sein Medium zu finden. Es muss ein gesamtgesellschaftliches Bildungsziel sein, Mediennutzung zu trainieren und Menschen in diesen Bereich Kompetenzen zu vermitteln.
    Was kommt zu kurz?
    Glücklicherweise nehme ich wahr, dass sich an vielen Stellen klassische journalistische Tugenden neu formieren, weil man gemerkt hat, dass man gegen die vielen marktschreierischen Meldungen nur mit Qualität ankommt. Dazu gehören aus meiner Sicht fundiert recherchierte Meldungen von Journalisten, die zugleich eine eigene Expertise im jeweiligen Bereich haben. Dazu gehören auch Zeitungs-Verlage, die den Mut haben, ihre Journalisten frei, langfristig und ohne den Blick auf "Klick-Raten" arbeiten zu lassen.
    Was stört Sie besonders am Nachrichtengeschäft?
    Ohne auf einzelne Beispiele eingehen zu wollen, ärgere ich mich dann, wenn man einem Artikel oder Bericht anmerkt, dass er handwerklich unsauber erstellt ist oder das Fazit des Artikels schon vor der Recherche feststand.
    dpatopbilder Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki steht am 15.06.2015 in Köln (Nordrhein-Westfalen) im Dom neben der großen Glocke "Dicker Pitter" zur Aktion "23 000 Glockenschläge". Die Aktion findet am 19. Juni 2015 in der Region zwischen Bonn, Düsseldorf und Wuppertal statt. Sie soll an die 23 000 Menschen erinnern, die seit dem Jahr 2000 auf der Flucht im Mittelmeer gestorben sein sollen. Foto: Federico Gambarini/dpaSchlagworte.Personen , .Kirche , .Flüchtlinge , .lnw , .Religion , Kardinal , Glocke
    Der Kölner Erzbischof Kardinal Woelki vor dem "Dicken Pitter" (Domglocke) (picture-alliance / dpa / Federico Gambarini)
    Wie sieht der Nachrichtenmarkt in zehn Jahren aus?
    Wir werden sicherlich Veränderungen sehen: Mutmaßlich nimmt die Entwicklung zu, dass mehr Menschen Ihre Nachrichten unterwegs bzw. auf mobilen Geräten lesen und das zu Lasten der gedruckten Zeitung geht. Kleine Bildschirme steigern zudem die Herausforderung, größere Zusammenhänge in angemessener Differenzierung darzustellen. Auf der anderen Seite habe ich die feste Überzeugung, dass die grundlegenden journalistischen Tugenden ihre Bedeutung nicht verlieren werden. Je mehr Stimmen und Meldungen es angesichts der Sozialen Medien und der wachsenden Zahl an Nachrichtenportalen gibt, desto wichtiger bleibt der fundiert recherchierte und mit Sachkenntnis erarbeitete journalistische Bericht.
    Welche Nachricht hat Sie in Ihrem Leben am meisten bewegt?
    Die vielen Meldungen über ertrinkende Menschen im Mittelmeer haben mich sehr betroffen gemacht. Dass Menschen vor den Toren Europas ums Leben kommen müssen, wo wir unseren Sommerurlaub verbringen, ist für mich unerträglich. Deshalb setze ich mich bewusst immer wieder dafür ein – auch über die Medien – in dieser Frage die Politik zu einer intensiven Lösungssuche zu drängen.
    Welche Nachricht würden Sie gerne einmal ganz offiziell im Deutschlandfunk hören?
    Folgende Schlagzeile würde sich aus meinen Augen sehr gut lesen: "Nach Kantersieg in München – FC Köln zum vierten Mal deutscher Meister."
    Was möchten Sie den Nachrichtenmachern beim Deutschlandfunk als Wunsch mit auf den Weg geben?
    Ich wünsche Ihnen auch in Zukunft die Neugierde, dem Zeitgeschehen und den gesellschaftspolitischen Prozessen auf den Grund zu gehen. Und ich wünsche Ihnen die notwendige Demut vor der Wahrheit, die für Ihr Handwerk grundlegend wichtig ist.