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Der erste amerikanische Superstar

Der amerikanische Schriftsteller Washington Irving war der berühmteste amerikanische Schriftsteller seiner Zeit, wurde aber auch in Europa begeistert gelesen. Seine Erzählungen sind stark von der Romantik geprägt, doch viele seiner Texte sind auch boshaft komische Gesellschaftsbeschreibungen.

Von Walter van Rossum | 28.11.2009
    Den Lehrer Ichabod Crane verschlägt es in die abgeschiedene Schlucht Sleepy Hollow an der amerikanischen Ostküste, wo er als Dorfschulmeister die Bauernkinder unterrichten soll. Die Schlucht scheint beherrscht von einer träumerischen Macht, die bei den Bewohnern der Gegend den Glauben an Hexen, Zauberer und Gespenster nährt - allen voran den Glauben an einen kopflosen Reiter, der in der Schlucht sein Unwesen treibt.

    "Die Sage von Sleepy Hollow" wurde etliche Male verfilmt. Zuletzt von Tim Burton mit Johnny Depp in der Hauptrolle. Die Geschichte stammt von Washington Irving. Sie wurde 1820 veröffentlicht, und der Autor erklärte damals:

    "Der Reiter war eine Gestalt aus der altdeutschen Sagenwelt und jenen britischen Offizier Major John Andre, der in dieser Gegend gefangengenommen und als Spion hingerichtet wurde, gab es wirklich. Im Wesentlichen habe ich diese beiden Geschichten miteinander verbunden und mit einer Prise Humor versetzt. Schließlich fügte ich etwa Irrationalität und Übersinnliches hinzu, um eine ganz neue Sage zu schaffen."

    Als Washington Irving am 28. November 1859 im Alter von 76 Jahren starb, war er der berühmteste amerikanische Schriftsteller seiner Zeit. Die Sage von Sleepy Hollow gehört bis heute zu den Meisterwerken der amerikanischen Literatur.

    Aber auch die Geschichte von Rip van Winkle kennt jeder Amerikaner, selbst wenn er sie nie gelesen hat.

    "Am Fuße dieser Zauberberge hat der Reisende vielleicht den zarten Rauch beobachtet, der sich aus einem Dorf emporkräuselt, dessen Schindeldächer dort zwischen den Bäumen aufblicken, wo die blauen Tinten des Hochlands mit dem frischen Grün des Vordergrunds verschmelzen. Es ist ein uraltes Dörfchen, das in den ersten Anfängen jener Provinz von holländischen Siedlern angelegt wurde, etwa zu Beginn der Regierung des wackern Peter Stuyvesant. Er ruhe in Frieden."

    So beginnt die Erzählung. Auch hier bricht bald das Unheimliche ein ins Idyll. Washington Irving war ein bekennender Romantiker. Die Romantik hatte Irving auf seinen ausgedehnten Reisen durch Europa kennengelernt. Er wurde 1783 in New York als Sohn wohlhabender Eltern geboren, studierte Jura und vergeigte sogleich seinen einzigen Fall als Anwalt. Stattdessen wurde er bereits in jungen Jahren berühmt mit funkelnden kleinen Gesellschaftssatiren, die er unter dem Pseudonym Diedrich Knickerbocker veröffentlichte.

    Im Jahre 1815 brach er nach Europa auf. Erst siebzehn Jahre später sollte er wieder in New York landen. In Europa entstand jenes Skizzenbuch, in dem sich auch die beiden berühmten Geschichten Rip van Winkle und Die Sage von Sleepy Hollow finden. Was Washington Irving Skizzen nannte, hieß später Kurzgeschichten – Short Stories - eine literarische Gattung, die Irving erfunden hatte.

    Eine seiner bekanntesten Erzählsammlungen entstand während seines Aufenthaltes in der Alhambra in Granada, bis 1492 die letzte maurische Festung in Europa. Bevor die Europäer dieses großartige Bauwerk wiederentdeckten, hatte Irving es längst in seinen Geschichten von der Alhambra besungen. Und noch bevor die Orientreisen europäischer Schriftsteller Mode wurden, pries Irving die Finessen der arabischen Kultur. Übrigens war er auch in anderer Hinsicht ein politischer Nonkonformist: Scharf verurteilte er die Ausrottung der Indianer auf dem amerikanischen Kontinent.

    Das verhinderte nicht, dass er in Amerika ein Bestsellerautor wurde: Er war der erste Schriftsteller, der vom Verkauf seiner Bücher leben konnte. Die meisten seiner Werke wurden umgehend auch in Europa in verschiedene Sprachen übersetzt und übten auf Schriftsteller wie Charles Dickens einen starken Einfluss aus. Doch Washington Irving war nicht nur der erste amerikanische Schriftsteller von Weltrang.

    "Er war nicht nur wegen seiner Werke berühmt, sondern auch wegen seiner Persönlichkeit."

    Erklärt der Schriftsteller und Irving-Biograf Brian Jay Jones.

    "Sein Leben hätte Stoff einer Hollywoodstory sein können, denn Irving hatte die Gabe auf den angesagtesten Partys zu erscheinen und die angesagtesten Freunde zu haben. Sein Name allein genügte, um Bücher zu verkaufen und die Öffentlichkeit zu alarmieren. Er war einer der ersten, wenn nicht der erste amerikanische Superstar."