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Der Fall Frank Ullrich

Nach der Diskussion um Leichathletiktrainer Werner Goldmann folgt jetzt die Kontroverse um Frank Ullrich. Der jetzige Biathlon-Bundestrainer der Herren soll in das Dopingsystem der DDR eingebunden gewesen sein. Das belegen zahlreiche Zeugenaussagen, auch von ehemaligen Teamkollegen. Der Deutsche Skiverband prüft derzeit die Akten und auch Innenminister Schäuble hat sich eingeschaltet.

Von Holger Schück | 28.03.2009
    Die Politik in Berlin setzt genauso wie der Deutsche Olympische Sportbund darauf, dass die Causa Frank Ullrich als Einzelfall geklärt werden muss. Dies meint Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble genauso wie DOSB-Generaldirektor Michael Vesper. Vesper sieht keinen Grund, dass die sogenannte Dopingkommission des DOSB überfordert sein könnte:

    "Wir haben deswegen unsere unabhängige Kommission unter Vorsitz des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Udo Steiner eingerichtet. Diese Kommission gibt uns unabhängigen Rat, und diesen Rat wird das Präsidium dann befolgen. Das ist eine Rüttelstrecke, das ist keine Autobahn, auf der man da vorankommt. Da wird man links und rechts am Wegesrand Hindernisse haben, mit denen man umgehen muss."

    Konkret bedeutet dies:

    "Nun muss man sich eine Meinung dazu bilden, ob die Vorwürfe berechtigt sind, so weit man das heute noch prüfen kann. Dazu wird man die Unterlagen zur Hand nehmen müssen: von Anfang der 90er-Jahre. Aber ich appelliere an alle, die ein solches Wissen haben, von den Sportlerinnen und Sportler, dieses Wissen zu offenbaren und nicht jetzt noch zehn Jahre vielleicht zu warten, bis sie dann in einem Interview diese Informationen weitergeben."

    So Michael Vesper. Auch ihm ist es bewusst, dass in Kürze weitere belastete ehemalige DDR-Trainer, die heute aktuell noch im Spitzensport tätig sind, ins öffentliche Visier geraten werden. In der Leichtathletik, im Schwimmen, im Ski-Langlauf oder etwa im Gewichtheben: 30 bis 40 Fälle von Dopingbelastungen zu DDR-Zeiten kommen durchaus in Frage, wenn nicht sogar noch mehr!

    Einzelfallklärungen oder eine generelle wegweisende Lösung? Der Vorsitzende des Bundestags-Sportausschusses, Peter Danckert, meint: Es sei nicht akzeptabel und auch nicht umsetzbar, dass sich Sport und Politik 19 Jahre nach der Wende mit einzelnen Fällen beschäftigen müssten. Diese seien schon damals sportintern, aber auch öffentlich debattiert worden. Konsequenzen seien vom Sport jedoch nicht gezogen worden. Der SPD-Parlamentarier:

    "Ich glaube, dass der Hinweis des Deutschen Olympischen Sportbundes auf die Steiner-Kommission der Ausdruck einer gewissen Hilflosigkeit ist. Man versucht hier ein Problem, was vom Sport, von der Sportpolitik gelöst werden muss, auf eine Kommission zu schieben und der, ohne dass es dafür eine gesetzliche Grundlage gibt oder eine statuarische Grundlage gibt, eine sozusagen verfassungsrechtlich abgesicherte Grundlage gibt, eine Befugnis zu überantworten, dass sie sich mit vielen Einzelfällen beschäftigen, dort eine wie auch immer gestaltete Vernehmung/Anhörung der Trainer durchführen müssen, der Opfer, soweit sie zur Verfügung stehen. Das ist alles rechtsstaatlich nicht einwandfrei. Hier partiell für 20 oder 30 Leute schaffen wir gewissermaßen ein Sonderrecht aus moralischen Gründen, denn rechtliche gibt es nicht wirklich, und diskutieren das und überantworten das einer in Abgeschiedenheit tagenden Kommission ohne Öffentlichkeit – das finde ich nicht akzeptabel."

    Peter Danckert verweist auf den Abschlussbericht der sogenannten Ad-hoc-Kommission zur Beratung in Dopingfragen des Deutschen Sportbundes vom 14. Dezember 1991. Auf Seite 21 steht die konkrete Empfehlung: Trainer oder Ärzte, die auf mittlerer Ebene gearbeitet haben, sollten überprüft werden, "ob sie künftig die Gewähr dafür bieten, dass sie für einen von Doping-Mitteln freien Sport eintreten und dementsprechend arbeiten werden". Zusätzlich war empfohlen worden, dass am Ende des Überprüfungsverfahrens jeder Involvierte selbstverpflichtende, schriftliche Erklärungen abgeben müsse. Das Fazit heute: Kein Verband hat 1991/92 dieses Dispens-Verfahren durchgeführt, sondern wählte das Prinzip "Augen zu – und durch".
    Aktuell sollte nunmehr der Spitzensport-Finanzier Bund auf eine einheitliche Handhabung dieser Aufarbeitung drängen – so fordert es Peter Danckert:

    "Aber das setzt meines Erachtens voraus, dass wir uns politisch mit diesen Fragen auseinandersetzen, uns nicht darauf einlassen, dass da und dort, je nachdem was gerade an die Öffentlichkeit gerät, wir uns mit Einzelfällen befassen, sondern es grundsätzlich angehen. Die Sportpolitik ist da aufgerufen, und der Sport selber auch. Was da im Moment passiert, ist die Abschiebung von Entscheidungen und Verantwortlichkeiten auf eine in Hinterzimmern tagende Steiner-Kommission. Das sind alles ehrenwerte Mitglieder, aber sie tagen in Abgeschiedenheit, nicht in der Öffentlichkeit. Die Empfehlungen, die sie geben, kann man nicht überprüfen, ob sie aus dem Gesamtzusammenhang der Anhörungen gerechtfertigt sind. All das ist nicht, aus meiner Sicht, genügend rechtsstaatlich."

    Eine Grundsatzentscheidung müsse her, um ein neues Verfahren der Aufarbeitung dieser Altfälle zu finden. Dies anzuschieben, sei Auftrag für Union und SPD im Sportausschuss – so der SPD-Abgeordnete Danckert:

    "Ich bin schon dezidiert der Auffassung, dass die Sportpolitik, einschließlich BMI, und der DOSB, hier zu einer gemeinsamen Auffassung kommen müssen, noch vor Abschluss dieser Legislaturperiode. Dieses Thema darf nicht immer wieder durch Einzelfälle angereichert diskutiert werden. Ich frage mich ganz ernsthaft: Soll das in 50 Jahren immer noch der Fall sein?"

    (Sport am Samstag)