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Der Fall Mesale Tolu
"Ein bisschen mehr Aufmerksamkeit hätte ich schon erwartet"

Seit 100 Tagen ist Mesale Tolu in türkischer Haft. "Wenn sich die Politik ein bisschen mehr für die Freiheit der Journalisten oder politisch Inhaftierten einsetzen würde, würde sich auch bei der Bevölkerung mehr bewegen", sagt Baki Selçuk vom Solidaritätskreis.

Baki Selçuk im Gespräch mit Brigitte Baetz | 07.08.2017
    Ein Mann hält am 15.05.2017 in Neu-Ulm (Bayern) ein Schild in den Händen, auf dem die Freilassung der in der Türkei inhaftierten Mesale Tolu Corlu gefordert wird.
    Mesale Tolu arbeitete als Journalistin und Übersetzerin in der Türkei. (dpa/picture-alliance/Stefan Puchner)
    Brigitte Baetz: Wie geht es Mesale Tolu gerade?
    Baki Selçuk: Ihr geht es den Umständen entsprechend gut. Je nachdem, wie die Umstände sind, natürlich. Ich gehe davon aus, dass Mesale Tolu von diesen Anforderungen bis zu 15 Jahre nichts weiß, weil wir haben noch keine Gelegenheit gehabt, ihr das mitteilen zu können. Wir hatten am Freitag ein Telefongespräch beziehungsweise die Familie hatte ein Telefongespräch, wo ich dabei war. Ich durfte zumindest ihre Stimme hören. Aber leider ist dieses Telefongespräch nach drei Minuten unterbrochen, so dass wir uns nicht weiter unterhalten konnten. Sie konnte nur noch sagen, wie es ihr geht und so weiter - sagte sie, ihr geht es gut.
    Baetz: Sind Sie enttäuscht, Herr Selçuk, dass es um Mesale Tolu nicht so viel Aufmerksamkeit gibt, wie es um Dennis Yücel gibt?
    Selçuk: Sehr enttäuscht bin ich da nicht. Es ist schon etwas Aufmerksamkeit da - ja, vielleicht nicht auf politischer Ebene. Ein bisschen mehr Aufmerksamkeit hätte ich schon erwartet.
    "Jedem, der ein bisschen kritisch schreibt, wird Terrorismus vorgeworfen"
    Baetz: Nun argumentiert die türkische Regierung ja so, dass Mesale Tolu gar keine Journalistin sei. Was würden Sie dazu sagen?
    Selçuk: Ja, die türkische Regierung sagt eigentlich fast zu allen Journalisten, sie seien keine Journalisten. Jedem, der ein bisschen kritisch schreibt, kritische Berichterstattung macht, wird Terrorismus vorgeworfen. Das überrascht uns nicht.
    Baetz: Meinen Sie denn, dass die Tatsache, dass Mesale Tolu einen türkischen Namen trägt möglicherweise nicht ganz so viel Solidarität bekommt, als wenn sie einen deutschen Namen hätte? Sie ist ja deutsche Staatsbürgerin.
    Selçuk: Also, wir haben sehr viel Solidarität von der deutschen Bevölkerung bekommen, deshalb kann ich das so nicht sagen. Wenn sich die Politik ein bisschen mehr für die Freiheit der Journalisten oder politisch Inhaftierten einsetzen würde, würde sich auch bei der Bevölkerung mehr bewegen. Und zwar eine sehr fairn Prozess für sie fordert, wo wir aber sehr enttäuscht sind, weil ein faire Prozess findet in diesem Lande nicht statt - das schon lange nicht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.