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Der strenge Lehrer des modernen Kinos

Wie seine Vorbilder Robert Bresson und Ingmar Bergman gilt er als der strenge Lehrer des modernen Kinos. Er sei ein Regisseur der sein Publikum triezt, ihm Lektionen erteilt und manche finden seine Filme schwierig, hart, gar eiskalt.

Von Rüdiger Suchsland | 07.03.2010
    "Wenn ich zu irgendetwas erziehe - was ich gar nicht will -, dann wäre die einzige Form von Erziehung die, dass ich die Leute dazu nötige, wenn sie die Filme sehen, über das nachzudenken, was ich da auf den Tisch lege."

    Wie seine Vorbilder Robert Bresson und Ingmar Bergman gilt er als der strenge Lehrer des modernen Kinos, als ein Regisseur der sein Publikum triezt, und ihm Lektionen erteilt und manche finden seine Filme "schwierig", "hart", gar "eiskalt". Dabei hat ausgerechnet Michael Haneke seine Kinokarriere nach einigen Fernseharbeiten Ende der 80er-Jahre mit drei Filmen begonnen, in denen er das anklagte, was er selbst die "Vergletscherung der Gefühle" nannte.

    Blick man genauer hin, sieht man seine Filme einmal im Zusammenhang oder ein zweites Mal, und denkt sie weiter, dann erkennt man Haneke als großen Humanisten, dann begreift man schnell, dass der Kern von Hanekes Filmphilosophie in der Gleichberechtigung beider Seiten bestehen, dass seine Filme vor allem Angebote an sein Publikum enthalten:

    "Es ist ja ein partnerschaftliches Verhältnis zwischen Autor und Rezipient - ob Roman oder Film ist wurscht -, in jedem Kunstwerk sollte es ein partnerschaftliches Verhältnis sein. Da sollte man den Zuschauer genauso ernst nehmen, wie man selber genommen werden will. Und ich möchte nicht für blöd verkauft werden im Kino. Wenn ich ins Kino gehe, und sehe dort einen Film, der mir Klischees zeigt, mir beruhigend irgendwas Belangloses erzählt, dann habe ich das Gefühl, ich habe zwei Stunden Zeit sinnlos totgeschlagen. Mich interessieren die Filme, die mich irgendwie irritieren. Und ich finde, das ist eine respektvolle Haltung gegenüber dem Zuschauer. Dass die Leute, die total daran gewöhnt sind, nur zerstreut zu werden, sich von meinen Filmen nur pädagogisch belästigt fühlen, das muss ich aushalten."

    Heute, nach zehn Kinofilmen ist Michael Haneke fraglos einer der komplettesten und interessantesten Filmemacher unserer Zeit. Haneke ist ein Aufklärer - ganz im klassischen Sinne Kants -, der Aufklärung einst als "Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit" definierte.

    "Ich sage immer: Ein Film - auch ein Buch - soll sein, wie eine Sprungschanze. Man muss sie gut bauen, damit man springen kann, aber springen muss der Zuschauer. Wenn ich den Sprung für ihn mache, ist es witzlos.

    Das ist besonders schwierig bei allem, was mit Sprache zu tun hat. Denn Sprache bedeutet, etwas auf den Begriff zu bringen. Und die Leute sind gewöhnt, dass etwas für sie auf den Begriff gebracht wird, und sie es dann in die Schublade legen können. Und genau das soll Kunst ja nicht tun.

    Das tut die Bildende Kunst nicht - nur leider die dramatische Kunst, die Literatur, das Kino. Also alles, was mit Sprache zu tun hat. Dagegen muss man Strategien entwickeln."

    Haneke ist also Aufklärer, aber kein Optimist. Er verlässt sich nicht darauf, dass der Mensch "von Natur aus gut" ist. Im Gegenteil: Im Kern von Haneke Filmemachen steckt - und das ist die andere Seite der Aufklärung - dass man eben nicht alles von vornherein weiß, sondern, dass man etwas lernen muss. Und Filme können es einem beibringen.

    Allem Lernen voraus geht die Desillusionierung. Haneke will in seinen Filmen falschen Trost nicht spenden, seinen Zuschauern nichts vorgaukeln. Darum gibt es bei ihm nie ein Happy End, stattdessen sehr oft offene Enden. Wir sollen aus dem Kino gehen, und nicht ganz glücklich sein. Vielleicht ist diese Offenheit, die den Zuschauer zwingt, Leerstellen zu besetzen, sogar das Wichtigste Moment seines Filmemachens.

    Hanekes Filme entfalten Endlosschleifen der Verunsicherung. Sie spiegeln die ganze Gesellschaft in bürgerlichen Kleinfamilien, zeigen diese in scheinbarer Sicherheit - also Menschen aus unserer Mitte. Und systematisch zerstören sie den Schein dieser Sicherheit. Kino als Beunruhigungsunternehmen:

    "Wahrheit ist immer ein großes Wort. Woher soll ich wissen, was die Wahrheit ist? Aber es geht mir immer um Genauigkeit."