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Der Ton wird schärfer

Mit Inkrafttreten des zwölften Rundfunkänderungsstaatsvertrags sollen die Rundfunkräte - mithilfe von externen Gutachtern - neue digitale Dienste von ARD, ZDF und Deutschlandradio genehmigen müssen. Jetzt haben die Gremienvertreter der ARD ihre ersten Ergebnisse vorgelegt.

Von Vera Linß | 24.07.2010
    "Guten Tag, hier ist die Tagesschau in 100 Sekunden. Stresstest für Banken..."

    Die Tagesschau in100 Sekunden – nur eines von vielen Onlineangeboten der ARD. Den publizistischen Beitrag von 37 Internetauftritten – darunter DasErste oder sportschau.de – hatten die Gremien zu bewerten. Zur Debatte stand, ob die gebührenfinanzierten Internetangebote andere Wettbewerber im Netz benachteiligen könnten – etwa die Zeitungsverleger oder das Privatfernsehen. Bernd Lenze vom Rundfunkrat des Bayrischen Rundfunks zieht ein klares Fazit.

    "Die Abwägung hat ganz klar gezeigt, dass der publizistische Wert der Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland deutlich größer ist als das, was dadurch am Markt an Problemen entsteht."

    Der Marktanteil der ARD im Netz ist verschwindend gering. Wo er dennoch ins Gewicht fällt, hat man entweder eine Deckelung der Ausgaben beschlossen. Oder es wurde die Verweildauer von Produktionen, die in der Mediathek zu sehen sind, gekürzt – je nach Genre. Bei der Konkurrenz ist man dennoch unzufrieden mit den Prüfergebnissen der ARD-Gremien. Hauptkritik der privaten Rundfunkveranstalter: Das Ganze sei, so wörtlich, sinnlos, da nur Konzepte und keine konkreten Angebote bewertet worden seien. Tobias Schmid vom VPRT:

    "Nehmen wir ein Beispiel: Es wird das Angebot daserste.de insgesamt bewertet. Dass daserste.de an sich ein sinnvolles Angebot ist, das steht nicht in Frage. In Frage steht, ob jeder einzelne Bestandteil dieses Angebots nottut. Die Verweildauer, die Interaktion, der Sendungsbezug von Spielen. Das im Detail zu erörtern, war angesichts des abstrakten Niveaus sowohl der Telemedienkonzepte als auch der Stellungnahmen fast nicht möglich und damit wurde das eigentliche Ziel, nämlich die konkreten Marktbeeinträchtigungen anzupassen nicht oder kaum möglich."

    Die Bewertung konkreter Angebote soll ab September dieses Jahres erfolgen. Dann werden auch die sogenannten nichtsendungsbezogenen presseähnlichen Einträge auf den Webseiten der ARD wieder Thema sein. Diese sind laut Rundfunkstaatsvertrag nicht zulässig und vor allem für die Zeitungsverleger Stein des Anstoßes. Sie sehen hier eine Beeinträchtigung des Marktes. Dem widerspricht jedoch jetzt ein Rechtsgutachten des ehemaligen Verfassungsrichters Hans-Jürgen Papier. Rundfunkrat Bernd Lenze fasst zusammen.

    "Wenn die Presse nicht nur ihr Annex-Produkt macht, dass sie ihre Zeitung eins zu eins online wiedergibt, sondern selbst ein internettypisches Produkt herstellt, dann ist das, was sie anbietet verfassungsrechtlich als Rundfunk zu werten und nicht als gedruckte Presse zu werten."

    Und das habe die Konsequenz, dass ...

    "... wenn sich im Internet jetzt zwei Grundrechtsträger begegnen, dann muss einer den anderen aushalten im Wettbewerb."

    Diese Einschätzung hat bei den Presseverlegern zur Entrüstung geführt. Die FAZ schrieb, das Gutachten enthalte "bestellte Wahrheiten" und verkünde "ein Ende der freien Presse". Eine "Farce" nannte der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger den gesamten Prozess der Evaluierung des öffentlich-rechtlichen Internetangebots. Man werde alle Mittel ausschöpfen, um gegen die expansiven Onlinepläne vorzugehen.

    Bei den ARD-Gremien bleibt man gelassen. Bis zu 80 Prozent des gesamten Archivs mussten in den letzten Monaten offline gestellt werden. Das soll jetzt noch einmal überprüft werden. VPRT-Mann Tobias Schmid hat allerdings seine Zweifel, dass man in Zukunft zu neuen Erkenntnissen kommen könnte.

    "Da das auf dem mittleren Abstraktionsniveau läuft, fällt so ziemlich alles und nichts darunter. Das heißt, die Frage, wie man daraus eine konkrete Handlungsanweisung für Gremien, für die Anstalten, für uns ableiten soll, bleibt mir bis auf weiteres unklar."

    Schuld sei, dass der Gesetzgeber nicht den Mut habe, den öffentlich-rechtlichen Auftrag konkret zu formulieren. Die Debatte über die Präsenz im Netz dürfte also in gewohnter Form weitergehen.