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Der west-östliche Diwan: Goethe und die Weltreligionen

"Goethe und die Weltreligionen" war die jüngste Hauptversammlung der Goethe-Gesellschaft überschrieben. Nicht nur das Christentum stand im Fokus, auch der Islam und Goethes Bezüge zu dieser und anderen Religionen. Wie hielt es also der Dichterfürst mit dem Glauben inmitten seines 18. Jahrhunderts?

Von Blanka Weber | 30.05.2013
    "In Dichtung und Wahrheit hat Goethe die Entwicklung seines Verhältnisses zum Christentum in jenem Abstand dargestellt, den ihm die Zeit geschenkt hat, als er sich selbst historisch zu werden begann."

    Goethe, sagt der Germanistikprofessor Wolfgang Frühwald, habe das Christentum auf sehr eigene, fast pragmatische Weise gelebt. Er habe sich an Riten gehalten, wie die Taufe seiner Kinder, seine kirchliche Trauung – all' das hatte einen Stellenwert in seinem Leben. Doch mit dem Inhalt der Kirche, dem Glauben an die Erlösungstat Jesu, seines Todes, seiner Auferstehung und seine gottmenschliche Natur war der Geheimrat nicht einverstanden.

    "Diese drei Grundwahrheiten des Christentums hat Goethe strikt geleugnet, seit 1769 bis ans Ende seines Lebens."

    Goethe und das Christentum. Wolfgang Frühwald nannte seinen Vortrag bewusst: "Anmerkungen zu einem ambivalenten Verhältnis". Vielleicht lässt sich die Essenz dessen so zusammenfassen: Goethe war kein Freund vom Glauben an das Gute nach dem Tod. Das Jenseits spielte keine Rolle. Eher das Diesseits. Und der Glaube an Natur, vielleicht auch das Göttliche in der Natur, welches sich in Spektralfarben, im rankenden Pflanzenwuchs von Weinreben, in Pflanzen und Steinen für den Naturforscher widerspiegelte. Das Jetzt, das Hier und Heute – war für ihn die Religion, seine Religion, die er als "Christentum zum Privatgebrauch" bezeichnet haben soll, so formuliert es Wolfgang Frühwald:

    "Er hat nicht von einem Privatglauben gesprochen, sondern von einem Christentum zu seinem Privatgebrauch. Darin ging es nicht mehr um die Betrachtung und die Nachfolge leidender, sondern um die Nachfolge tätiger Menschen, sodass diese Art der Pflichtethik durchaus mit dem übereinkommt, was Goethe in seinem Altersroman "Wilhelm Meisters Wanderjahre" seine Weltfrömmigkeit genannt hat."

    Ein pures Bekenntnis war ihm vermutlich zu wenig, eine praktische Lebenshaltung hingegen angemessen für sein Religionsverständnis. Das damals gelehrte Christentum, vermutlich war es nie eine Quelle des Glaubens für Goethe, schlussfolgert Frühwald, wenngleich er die Heiligen Schriften schätzte, ebenso die soziale Ordnungsmacht in Gestalt der Kirche respektierte. Theologische Dispute habe er zeit seines Lebens möglichst von sich ferngehalten. Religion und Politik waren für ihn, so der Dichter an Johannes Falk "ein trübes Element für die Kunst". Goethe ließ ihn wissen, er habe sich beides immer so weit als möglich vom Leibe gehalten.

    Goethes Umgang mit dem Christentum, so formulierte es der Kulturhistoriker Manfred Osten, findet zwischen Empathie und Skepsis statt. Beim Umgang mit dem Islam sei es ebenso:

    "Wir wissen heute viel zu wenig, wie sehr Goethe auch die problematischen Dinge gesehen hat. Er hat ja gesagt, der Koran ist ja groß, aber er ist auch furchtbar. Er hat darin durchaus die Möglichkeit gesehen, dass aufgrund der Sure zwei, wo das Wort lautet: 'Es ist kein Zweifel an diesem Wort', die Tendenzen in Richtung Dogmatismus sehr stark sind."

    Obwohl Goethe ein Verehrer der Kunst, der Poesie und der Person des persischen Dichters Hafis gewesen sein muss, der für ihn ein Vermittler zwischen den Fronten des Westens und des Ostens war.

    "Hafis ist derjenige gewesen, der eine Dialogstrategie für Goethe entwickelt hat, die ihn zutiefst beschäftigt hat. Er hat ja immer gesagt: So gleiche ich dir vollkommen. Das ist doch für ihn sein geistiger Zwillingsbruder gewesen, weil nämlich Hafis auf der einen Seite Koranlehrer gewesen ist, der sich immer wieder seinen Kopf dadurch gerettet hat, dass er den Koran gelehrt hat, auf der anderen Seite ist er das Schlimmste gewesen, was es für den Propheten gibt, er war Poet."

    1819 entstand Goethes umfangreiche Gedichtsammlung "Der west-östliche Divan", inspiriert durch Hafis. Dem Islam habe sich Goethe zum Teil nahe gefühlt, auch hier könnte es die Verbindung des Göttlichen in Form der Natur gewesen sein, zumal das Christentum seiner Zeit zwischen Furcht und Hoffnung oszillierte, so Manfred Osten:

    "Er war der Meinung, dass wir ein heiteres Christentum vertreten müssten, nach dem Satz Christi: Das Himmelreich ist mitten unter euch und nicht im Sinne von Erbsünde, Verdammnis und Furcht. Das ist einer nur der wenigen Aspekte, die ich skizziere, die von Goethe zu fundamentaler Bedeutung geworden sind; dass wir also prüfen sollten, was im Islam für uns, für die Förderung unseres Daseins, sinnvoll sein könnte und das Andere auf sich beruhen zu lassen."

    Die Krise, in die Europa in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts kam, war auch eine Krise der christlichen Religion. Eine Krise ihrer Lehrsätze, des Wertekanons, ihrer kirchlichen Verfassung, so formulierte es Wolfgang Frühwald.

    "Ich habe doch Gretchen hinrichten und Ottilie hinrichten lassen. Ist das den Leuten nicht christlich genug?"
    Als Goethes Roman "Die Wahlverwandtschaften" erschien, sei der Dichter von einer empörten Leserschaft als Heide beschimpft worden:

    "Es sei die Darstellung, sagte Fritz Jakobi, der Himmelfahrt der bösen Lust. Als Goethe gehört hat, dass man ihn einen Heiden genannt hat, soll er geantwortet haben: 'ich heidnisch? Ich habe doch Gretchen hinrichten und Ottilie hinrichten lassen. Ist das den Leuten nicht christlich genug? Was wollen Sie denn noch Christlicheres?'"

    Was Goethe im Innersten von den Geheimnissen des Schöpfers und der Schöpfung gedacht und geglaubt haben mag, das hätte er bewusst verschwiegen, so der Wissenschaftler:

    "Die heitere Stille gehört zu den Kernworten von Goethes Werk. Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben."

    Goethe-Institut