Donnerstag, 28. März 2024

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Deutsche Oper Berlin
"Aida" mit anderen Ohren gehört

An der Deutschen Oper in Berlin inszeniert Benedikt von Peter Verdis "Aida". Dafür hat er den Saal in eine Raumklangskulptur verwandelt, die neben anderen Aspekten nicht jedem Zuschauer gefiel. Doch hat unsere Kritikerin "Aida" durch das neuartige Konzept mit ganz anderen Ohren hören können, für sie faszinierend.

Von Julia Spinola | 23.11.2015
    Alfred Kim als "Radames" und Anna Smirnova als "Amneris" singen und spielen am 19.11.2015 in der Deutschen Oper in Berlin im Rahmen der Fotoprobe von Giuseppe Verdis "Aida".
    Alfred Kim als "Radames" und Anna Smirnova als "Amneris" in der Deutschen Oper in Berlin. (picture alliance / dpa - Rainer Jensen)
    Strahlend erfüllen die Siegeshymnen des ägyptischen Volkes den Saal. So unmittelbar und so durchdringend wie jetzt in der Deutschen Oper rücken einem die Massenszenen der "Aida" nur selten auf den Leib. Ganze dreieinhalb Stunden lang entfaltet die Musik eine aufwühlende, unter die Haut gehende Intensität.
    Dass dies so ist, haben wir erstaunlicherweise einmal nicht nur den Musikern zu verdanken, sondern auch dem Regisseur. Denn Benedikt von Peter hat den Saal in eine Raumklangskulptur verwandelt. Sie gleicht einer akustischen Pyramide. Auf ihrer Spitze ertönt vom Balkon herab die Stimme des ägyptischen Königs, dem Ante Jerkunica imposante Klangwucht verleiht. Aidas Vater, der äthiopische König, singt vom seitlichen Rang aus, ebenso der Priester Ramfis, die Priesterin und der Bote. Sie alle singen aus dem Dunkel heraus. Sie sind unsichtbar für das Publikum.
    Orchester sitzt auf der Hinterbühne
    Sehen kann man dafür das von Andrea Battistoni leidenschaftlich und virtuos geleitete Orchester, das auf der Hinterbühne sitzt, abgetrennt durch einen Gazevorhang. Den erstaunlichsten akustischen Effekt erzielt die Raumaufteilung jedoch dadurch, dass ein Teil des Chores mitten im Publikum, verteilt auf einzelne Plätze in den Sitzreihen des Parketts, singt. An manchen Stellen, etwa im verstörenden Kriegsgeschrei der "Guerra"-Rufe, wirkt das, als töne die Musik direkt aus dem eigenen Inneren heraus. Die exotisierenden Chöre der Priesterinnen hingegen, schweben aus unsichtbarer Ferne durch den Saal. Jenseits aller abgegriffenen Ägyptenklischees entfalten sie einen ganz neuartigen, verheißungsvollen Zauber des Fremden, Unerreichbaren.
    Das individuelle Drama im Mittelpunkt der Inszenierung
    Benedikt von Peter interessiert an Verdis Oper nicht die große Staatsaktion mit ihren prächtigen Tableaus, sondern das individuelle Drama, das er mit einer Intimität inszeniert, die man in den meisten "Aida"-Aufführungen vermisst. Im Zentrum steht die fatale Dreiecks-Beziehung zwischen Radames, Amneris und Aida. Sie agieren auf dem gedeckelten Orchestergraben und auf einem bis in die ersten Sitzreihen hinein reichenden Steg.
    Alfred Kims Radames ist kein strahlender Held, sondern ein empfindsamer Träumer, das Alter Ego des jungen Verdi. Schon ein Blick auf seinen Schreibtisch verrät das. Er wird uns durch einen Kamerazoom und die Projektion auf eine Videoleinwand ermöglicht. Da beschwören Landkarten, ausgeschnittene Fotos und Reiseführer ein utopisches Fern-Ost-Paradies. Versprochen ist er der bodenständigen Amneris, Tochter des ägyptischen Königs: Anna Smimova stellt sie stimmlich wie darstellerisch überwältigend als eine gefährlich resolut mit Buttermesser und Bockwurst hantierende Hausfrau dar. Die sängerisch ebenso starke, aber ätherisch berückende und leidensfähige Tatiana Serjan ist Aida: ein Phantom im weißen Tüllkleid, nichts als ein Hirngespinst des Radames.
    Ungewohnte Zuschauersituation?
    Da Aida das Bild einer Utopie bleibt, kommen sie und Radames auf der Bühne nie wirklich zueinander. Höhepunkt ihrer Intimität bleibt das Filmbild eines Kusses: Eine Videoprojektion, wie andererseits auch die brutalen Kriegsbilder aus Syrien, mit denen Amneris ihren Radames zurück in die Realität holen will. Solche Momente und wohl auch die durchaus ungewohnte Zuschauersituation provozierten einen Teil des Publikums am Ende des Abends zu heftigen Buhrufen. Wer sich jedoch einließ auf das neuartige Konzept dieser Aufführung, der konnte Verdis "Aida" mit ganz neuen Ohren hören. Inszenierungen, die so konsequent und so sinnlich aus dem Geist der Musik heraus erfunden sind, erlebt man selten. Auch dies ist eine Form der Werktreue.