Dienstag, 16. April 2024

Archiv

Deutsche Politiker zur Situation in der Türkei
Deutliche Worte Richtung Ankara

Die türkische Regierung geht immer härter gegen ihre Kritiker vor. Nach der Verhaftung zahlreicher Politiker der oppositionellen HDP - darunter die Parteivorsitzeden - mehren sich die kritischen Stimmen aus Deutschland. Angela Merkel und EU geraten zunehmend unter Druck.

04.11.2016
    Der Reichstag in Berlin
    Der Ruf nach Konsequenzen von Bundesregierung und Europaparlament wird lauter. (picture alliance / Wolfgang Kumm / Wolfgang Kumm)
    In "höchstem Maße alarmierend". So hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel in dieser Woche die Festnahme von Journalisten der türkischen Oppositionszeitung Cumhuriyet genannt. Und Ankara indirekt mit Auswirkungen auf die EU-Beitrittsverhandlungen gedroht. Die Antwort aus der türkischen Hauptstadt folgte auf den Fuß: Deutschland unterstütze den Terror, beschütze Anhänger der kurdischen Arbeiterpartei PKK, kritisierte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan - um nur wenige Stunde später seinen international so kritisierten Weg in der Türkei fortzusetzen. Wieder Verhaftungen, diesmal Mitglieder oppositionellen kurdischen Partei HDP, darunter die beiden Parteivorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag.
    Und wieder kommen Antworten aus Berlin, Einmischungen, die sich Erdogan schon so oft verbeten hat. Und der Ruf nach Konsequenzen wird lauter.
    Das EU-Türkei-Flüchtlingsabkommen führe dazu, "dass die Bundesregierung nicht in der Lage ist, entsprechend klar zu protestieren und eine klare Position zu beziehen, wenn es um Pressefreiheit geht, wenn es um Menschenrechte geht, und wenn es um die Rechte der oppositionellen Abgeordneten geht", kritisiert Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter in einer vorab veröffentlichten Passage aus dem Interview der Woche im Deutschlandfunk von kommendem Sonntag.
    Noch deutlicher wird Sahra Wagenknecht: Die Türkei werde zur Diktatur, twittert die Linken-Fraktionschefin und fordert: "Pakt mit Erdogan sofort kündigen, EU-Beitrittsverhandlungen beenden". Ihr Kollege Jan van Aken, außenpolitischer Sprecher der Partei, äußert sich ähnlich:
    Außerdem kündigt van Aken an, kommenden Montag nach Diyarbakir zu fliegen, um "Solidarität mit den Verfolgten in der Türkei" zu zeigen.
    Bereits in der Türkei, genauer in Istanbul war Maria Böhmer, Staatsministerin im Auswärtigen Amt. In ihren Gesprächen mit dem stellvertretenden Außenminister Yildiz habe die CDU-Politikerin "die Sorge der Bundesregierung angesichts dieser Verschärfung des innenpolitischen Klimas in aller Klarheit übermittelt", heißt es in einer Pressemitteilung. Und mit ihrem Besuch der Cumhuriyet-Redaktion wolle sie ein "Signal für Presse- und Meinungsfreiheit" aussenden:
    Scharfe Kritik kommt auch aus der SPD: Außenminister Frank bestellt den Geschäftsträger aus der türkischen Botschaft ein. "Was in der Türkei derzeit passiert, hat eindeutig Züge eines Gegenputsches", schreibt der Fraktionsvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel auf Twitter. Und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz sagt, die türkischen Behörden drängten ihr Land weiter weg von der Demokratie. Und unterstreicht, er habe den inhaftierten HDP-Vorsitzenden Demirtas als jemanden erlebt, "der sich dem Friedensprozess, dem Dialog und den Regeln des Gesetzes verschrieben hat".
    "Was ich derzeit in der Türkei beobachte, bestürzt mich", antwortet Bundespräsident Joachim Gauck in einem Interview mit dem "Spiegel". Wenn Ankara den Putschversuch nutze, "um etwa die Pressefreiheit faktisch auszuhebeln, wenn es die Justiz instrumentalisiert und der Präsident die Wiedereinführung der Todesstrafe betreibt", dann würden zentrale Grundlagen eines demokratischen Rechtsstaats außer Kraft gesetzt. Diese Politik bedeute "eine Eskalation, die die Europäer nicht unbeantwortet lassen können".
    Und Angela Merkel? "Es bleibt dabei: Es ist in hohem Maße alarmierend, was derzeit in der Türkei geschieht", erklärt Regierungssprecher Steffen Seibert. Doch welche konkreten politischen Folgen das hat - dazu kein Wort.
    (bor/tzi)