Erfolg hat nur, wer einen eindimensionalen Rap-Charakter hat. Das ist zumindest im Deutschrap so:
Identität soll so unterkomplex wie möglich bleiben. Damit werden Antisemitismus, Gewaltverherrlichung und Homophobie zu identitätspolitischen Konstanten einer migrantisch geprägten Rap-Szene.
Das Themen-Alphabet reicht von Architektur, Bytes und Comics über Film und Mode bis Zukunftsmusik. Ohne Etiketten wie "U", "E", "Post" oder "Proto" analysiert und diskutiert das tagesaktuelle Magazin Phänomene der Gegenwartskultur. Corso ist alles andere als reine Nacherzählungsberichterstattung oder Terminjournalismus, der nur die Chronistenpflicht erfüllt. Das Popkulturmagazin dreht die Themen weiter, um Mehrwert und Neuigkeitswert zu bieten. Kulturschaffende sind regelmäßig zu Gast im Studio und stehen im Corsogespräch Rede und Antwort. "Corso - Kunst & Pop" spielt musikjournalistisch ausgewählte Songs, die aktuell sind und nationale sowie globale Trends abbilden. Denn Musik ist Information - und Popkultur ist ohne Popmusik nicht denkbar.
Rapper Haftbefehl beim Heroes Festival 2017: Der Musiker ist auch schon mit antisemitischen Texten aufgefallen (imago / HMB-Media)
Song "0815": Und wegen mir sind sie beim Auftritt bewaffnet, mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen
"Körper definierter als von Auschwitz Insassen" ist wohl die meist zitierte Rap-Zeile im Jahre 2018. Wären es nur Farid Band und Kollegah gewesen, die mit Vorurteilen über Juden Plattenverkäufe ankurbeln - man hätte sich mit dem Argument "Provokation" zufriedengeben können. Aber Kollegah und Farid Bang springen mit ihrem Song "0815" - spät, aber ausgesprochen wirkmächtig - auf einen etablierten Trend des Deutsch-Rap auf. Hier einige Beispiele:
Song "Contraband": Fick deine bunte Welt und fick deinen Starfriseur, das hier ist nicht Berlin und das ist nicht die Fashion Week das ist die junge Wut gegen Politik aus Tel Aviv
Das sind Snaga und Fard mit der Punchline "Das ist junge Wut gegen Politik aus Tel Aviv". Hier Rap-Superstar Haftbefehl:
Song "Mama reich mir deine Hand": Du nennst mich Terrorist, ich nenn dich Hurensohn geb' George Bush einen Kopfschuss und verfluche das Judentum
Aggresiver Identität-Sound
"Ich gebe George Bush einen Kopfschuss und verfluche das Judentum" rappt der Frankfurter Haftbefehl - bürgerlicher Name Aykut Anhan. Die Liste mit antisemitischen Anspielungen ließe sich problemlos fortsetzen. Deshalb lohnt es sich näher hinzuschauen. Und wer das macht, wie etwa der Pädagoge Murat Güngör, der findet dort das große Wort "Identitätspolitik". Und das nicht erst seit Kollegah und Farid Bang, sondern schon viel länger.
Murat Güngör: "Aggro Berlin ist ein ganz typisches Beispiel für Identitätspolitik."
Produzenten und Rapper von Aggro Berlin, sagt Murat Güngör, seien die ersten gewesen, die mit ihrem aggressiven Identität-Sound Geld gemacht haben. Güngör, Rapper der ersten Stunde und Mitbegründer von Kanak Attak, beobachtet diese Tendenz seit Mitte der Zweitausender Jahre. Damals rappte unter anderem der Berliner Hip-Hopper Fler diese Parts:
Song "Deutscha Bad Boy": Ich bin Deutsch, ich bin drauf stolz Leute sagen: Fler ist Proll, Leute sagen: ich bin Nazi mir egal, sagt was ihr wollt, Hauptsache der Rubel rollt
Murat Güngör: "Fler war nur ein Bild davon gewesen. Fler, der den Nationalstaatlichen Deutschen so darstellt. Auf der anderen Seite hatte man B-Tight gehabt, der alle Klischees, alle Rassismen reproduzieren konnte über Schwarze."
In den USA mehr Vielschichtigkeit
Der wilde Kanake, der stolze Deutsche, der überzeichnete Schwarze - die Stereotype, die Aggro Berlin Mitte der 2000er auf den deutschen Musikmarkt brachte, waren verkürzt, aber sie waren extrem erfolgreich. In den USA sieht es ganz anders aus: Da bekommt Kendrick Lamar einen Pulitzer Preis für sein letztes Album "Damn." und junge Frauen zeigen, wie Rap auch klingen kann. Eine neue Generation an weiblichen Rapperinnen macht vor, wie Empowerment und Erfolg zusammen gehen - hier Princess Nokia, eine New Yorkerin, die von ihrem Körper abseits der Schönheitsideale rappt.
Song "Tomboy": With my little titties and my phat belly I could take your man if you finna let me It's a guarantee that he won't forget me My body little, my soul is heavy My little titties be bookin' cities All around the world, they be fuckin' wit' me I'm a Calvin Klein model, come and get me
Oder die immens erfolgreiche Cardi B, ebenfalls aus New York, die mit ihrem Debüt "Invasion of Privacy" ins gleiche Horn bläst wie Princess Nokia:
Song "She Bad": I'm a boss in a skirt, I'm a dog, I'm a flirt Write a verse while I twerk, I wear Off-White at church Prolly make the preacher sweat, read the Bible, Jesus wept Bitch said that she gon' try me, how come I ain't seen it yet?
Vielschichtigkeit ist ihre Identität, nicht die Reduktion auf einen Aspekt dieser Identität. In Deutschland stehen zumindest Künstlerinnen wie Haiyti für diese neue Vielschichtigkeit, während die Männer im Mainstream-Deutschrap auf eindimensionale Charaktere setzen und offen plump gegen Frauen und Minderheiten herziehen.