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Die 100-Prozent-Alphamutterkünstlerin

Sieben Alben lang verarbeitete Alanis Morissette auch diverse Beziehungskisten, wurde von Mal zu Mal erwachsener. Auf "Havoc And Bright Lights" präsentiert sie sich gereift gegen Promiwahn, Sexismus und religiösen Fanatismus - und erklärt im Interview, warum sie gerne nackt ist.

25.08.2012
    Alanis Morissette: "Ich habe mich immer mit diesen Alpha-Männern getroffen - was jedes Mal im Desaster endete. Denn eigentlich bin ich eine Alpha-Frau, habe mich aber nie getraut, das zuzugeben. Doch jetzt, da ich da ehrlicher zu mir bin, macht es Sinn, dass ich mit einem selbstbewussten Beta-Mann zusammen bin. Denn das ist sexy. Wenn Alpha-Frauen starke Beta-Männer sehen, ist das immer sehr erotisch."

    Die geballte Lebenserfahrung einer Frau, die viele Frösche geküsst hat. Die keine Beziehungskonstellation und keinen Typ Mann ausgelassen hat. Und ständig enttäuscht wurde – nur, um darüber therapeutische Songs zu schreiben, die inzwischen sieben Alben füllen. Doch nach der Hochzeit mit Rapper Mario Treadway und der Geburt ihres ersten Sohns ist die erfolgreichste weibliche Künstlerin der 90er wie ausgewechselt.

    "Statt Dinge zu tun, hinter denen ich nur zu 90 Prozent stehe, mache ich nur noch Sachen, die ich 100-prozentig richtig und gut finde. Deshalb geht es in Songs wie 'Guardian' auch um diesen Beschützerinstinkt - wie bei einer Bärenmutter. Also den Teil von mir, der sich um die Sicherheit und Freiheit meines Sohnes sorgt. Was eine große Sache ist, für die ich erst einmal erwachsen werden musste. Ich konnte keine Mutter sein, solange ich rein emotional wie ein 16-jähriges Mädchen war."

    Reifer, erwachsener, ausgeglichener und glücklicher. Was sich nicht nur im Privatleben niederschlägt, sondern auch im Interview. Da ist die früher oft launische Alanis plötzlich ganz charmant und locker, redet frei von der Seele und gesteht auch kleine Schwächen und Unzulänglichkeiten ein. Etwa bei dem Versuch, Kind und Karriere unter einen Hut zu bringen. Denn die Aufnahmen zu ihrem achten Album, das gibt sie offen zu, waren alles andere als leicht.

    "Es war eine anstrengende Erfahrung. Ich wollte 24 Stunden am Tag für meinen Sohn da sein. Deshalb haben wir ein Studio im Wohnzimmer eingerichtet. Und sobald es an der Tür geklopft hat, stand ich Gewehr bei Fuß. Auch mein Mann war die ganze Zeit Zuhause, und wir hatten eine richtige Armee um uns herum. Aber sobald ich im Studio war, habe ich mich voll und ganz auf die Musik konzentriert. Zum Glück waren die Stücke ziemlich schnell geschrieben."

    Und im Gegensatz zu ihren letzten Alben, hat "Havoc And Bright Lights" auch wieder Ecken und Kanten. Mit einem Dutzend Songs, das stilistisch zwischen sphärischem, elektronischem Pop, erdigem Rock und opulenten Balladen pendelt, und vor allem lyrischen Biss hat. Da richtet sich die Wahlkalifornierin gegen Promiwahn, Sexismus und religiösen Fanatismus, fordert gravierende sozio-politische Veränderungen und kritisiert die Kluft zwischen Ost- und West, Christentum und Islam, die vor allem ein mentales Problem sei.

    "Unsere Egos sind so geschaffen, dass wir meinen, wir wären anders. Und die Wahrheit über unsere Gemeinsamkeiten hat etwas geradezu Angst einflößendes. Insofern tut unser Ego alles, um davon abzulenken – und ist auf permanenten Konflikt aus. Es will die Trennung zwischen richtig und falsch, gut und schlecht. Insofern ist es ein mutiger Akt, dieses Denken zu überwinden. Das ist die Aufgabe für einen echten Krieger."

    Wie kämpferisch und selbstbewusst Alanis inzwischen ist, äußert sich nicht nur in ihrer Musik. Sie engagiert sich als Umweltaktivistin, versucht sich als Schauspielerin auf alternativen Theaterbühnen, arbeitet an ihrem ersten Buch, und outet sich ganz ungeniert als Nudistin. Eine Offenheit, die bei anderen Pop- und Rockstars geradezu undenkbar wäre.

    "Nackt zu sein sorgt für eine ganz andere Wahrnehmung des menschlichen Körpers. Eben als wären wir alle kleine Bären, die ihren Pelz reinigen, und einfach zusammensitzen und Spaß haben. Was eine wunderbare Sache ist. Es blendet die objektivierte Wahrnehmung unserer Körper aus. Es neutralisiert sie geradezu. Und wenn da jeder neutral herangeht, kann das eine sehr heilende Sache sein. Nämlich eine Gleichgültigkeit für die unterschiedlichen Formen des Körpers. Wobei dann alles egal ist. Nach einer Weile denkst du einfach: 'Wen stört´s? Wie warm ist das Wasser?'""