Christoph Schmitz: Der Deutsche Buchpreis des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, er steuert auf sein Ziel zu. Welches Buch, welcher erzählende deutschsprachige Text wird der beste des Jahres sein? Die siebenköpfige Jury hatte im Sommer schon eine Longlist aus 148 Titeln erstellt, die seit Oktober 2009 erschienen waren und bis Anfang September jetzt erscheinen werden, und daraus nun die ihrer Ansicht nach besten sechs Bücher für die Shortlist ausgewählt. Kurz vor der Frankfurter Buchmesse wird daraus der Deutsche Buchpreis 2010 gekürt. Jan Faktor steht auf der Shortlist mit seinem neuen Roman, Thomas Lehr, Melinda Nadj Abonji, Doron Rabinovici, Peter Wawerzinek und Judith Zander. - Über diese Auswahl habe ich gesprochen mit der Literaturchefin der "FAZ", Felicitas von Lovenberg. Als "außergewöhnliche Finalisten" bezeichnet die Jury die nominierten Autoren, ihre Werke als poethisch, komisch, experimentell. Würden Sie dem zustimmen, Frau Lovenberg?
Felicitas von Lovenberg: Ich nehme an, dass man dem zustimmen kann, denn das gleiche galt ja schon für die Longlist, die ja vor vier Wochen kam, und ich finde, dass die Shortlist insofern sehr gut gewählt ist, als dass sie eine Verdichtung der Longlist darstellt. Es haben viele sich gewundert, als die Longlist kam; da waren sieben Autoren drauf, die nicht in Deutschland geboren waren, und Zeitungen sprachen von Autoren mit Migrationshintergrund, also eine multikulti-literarische Gesellschaft, Debüts, anderes dabei, und das ist wiederum alles auch auf der Shortlist vertreten. Das wiederum finde ich sehr konsequent von einer Jury, zu sagen, das ist unsere Auswahl der besten deutschen Literatur, und dass sich das in kleinerer Form dann auf der Shortlist auch widerspiegelt.
Schmitz: Ist das eine Tendenz in der Gegenwartsliteratur, in der Belletristik, dass Autoren mit Migrationshintergrund verstärkt in die vorderen Reihen der Literaturproduktion drängen?
von Lovenberg: Das ist jetzt eigentlich schon längst nichts Neues mehr, denken Sie mal an großartige Autoren wie Feridun Zaimoglu, oder auch Terézia Mora und viele andere. Das ist im Grunde genommen etwas, das kann man seit Jahren beobachten, in der Literatur wie in der Gesellschaft im Ganzen, und das bereichert uns alle sehr, als Leser wie als Kritiker. Insofern, finde ich, ist das jetzt kein Trend, den man neu nennen könnte.
Schmitz: Gibt es denn etwas Gemeinsames, einen Nenner, etwa eine komplexere literarische Herangehensweise und nicht eine leicht lesbare, konsumierbare Literatur? Zeichnet das diese Titel aus, weil es ja in der Begründung der Jury für diese Shortlist heißt, dass es hier sich auch um experimentelle Titel handelt?
von Lovenberg: Da gebe ich ehrlich zu, ich habe jetzt noch nicht alle sechs Titel dieser Shortlist gelesen. Die, die ich aber gelesen habe, kann ich nur sagen, sind sehr beeindruckend. Zum Beispiel das Buch von Thomas Lehr, "September. Fata Morgana", der auf, ja, man kann schon sagen, experimentelle, auf jeden Fall sehr ambitionierte Weise den neuen Kulturkonflikt seit 9.11 im Grunde genommen auslotet, indem er zwei Väter, den einen in New York, den anderen in Bagdad, verfolgt. Das ist ein Buch, das hat keinen Punkt und kein Komma, aber Groß- und Kleinschreibung. Das Lustige ist aber, dass ihnen das gar nicht mehr auffällt. Nach der dritten Seite vergessen sie das, weil sie merken, das braucht es nicht. Also man kann es auch so lesen, aber der Leser erschrickt vielleicht zunächst, wenn er das sieht.
Das gleiche wurde auch schon gesagt über Jan Faktors großartigen Roman "Georgs Sorgen um die Vergangenheit". Das ist ein großes Lob der Frauen, ist kein ganz dünnes Buch. Ich glaube, es hat so - ich weiß gar nicht - 700 Seiten. Ich habe es gelesen im Frühjahr und war hellauf begeistert. Aber das ist allein durch seine Komplexität, wie die politische Geschichte des Prags nach 1968 mit der intimen Geschichte dieses Ich-Erzählers, der sehr viele Gemeinsamkeiten mit Jan Faktor selbst hat, verwoben wird. Das ist einfach Literatur, das ist nicht etwas für jemanden, der sagt, er möchte einen Krimi lesen. Aber ich finde, dass dieses Wort "experimentell" oft abschreckend wirkt, und das möchten wir alle nicht und das ist es auch nicht.
Schmitz: Hat denn die Jury die richtigen Titel aus dem aktuellen Romanangebot 2009/2010 ausgewählt, oder hätten Sie sich den einen oder anderen Roman eher gewünscht?
von Lovenberg: Das ist immer so. Ich hätte mir in diesem Herbst vor allen Dingen unbedingt gewünscht, dass der großartige neue Roman von Martin Mosebach "Was davor geschah" auf jeden Fall auf dieser Shortlist zu finden ist. Auf der Longlist stand er. Das ist für mich das sprachlich schönste deutsche Buch dieses Herbstes, überwältigend. Ebenso hätte ich mir auch gewünscht, dass der neue Roman von Thomas Hettche, "Die Liebe der Väter", auf der Shortlist steht, denn was Hettche da macht ist nichts anderes, als dass er ein großes gesellschaftliches Thema, nämlich die Schwierigkeit, nach Trennungen und Scheidungen für vor allen Dingen die Väter noch eine Verbindung zu ihrem Kind aufzubauen, das rückt er dort ins Zentrum und das ist außergewöhnlich. Das hat man so überhaupt noch nicht gelesen. Aber auch ein Favorit von mir ist Arno Geiger mit "Alles über Sally" aus dem Frühjahr, auch ein ganz großartiger Roman über eine Ehe und die Schwierigkeiten, in die man da so kommen kann. Also natürlich gibt es Titel, die man vermisst, aber das gehört ja auch zum ganzen Spiel um den Deutschen Buchpreis, das ganze Gerangel, wer hat jetzt eigentlich Recht, und dass jeder seine eigene Shortlist sich so zusammenstellt, ist ja auch ganz schön.
Felicitas von Lovenberg: Ich nehme an, dass man dem zustimmen kann, denn das gleiche galt ja schon für die Longlist, die ja vor vier Wochen kam, und ich finde, dass die Shortlist insofern sehr gut gewählt ist, als dass sie eine Verdichtung der Longlist darstellt. Es haben viele sich gewundert, als die Longlist kam; da waren sieben Autoren drauf, die nicht in Deutschland geboren waren, und Zeitungen sprachen von Autoren mit Migrationshintergrund, also eine multikulti-literarische Gesellschaft, Debüts, anderes dabei, und das ist wiederum alles auch auf der Shortlist vertreten. Das wiederum finde ich sehr konsequent von einer Jury, zu sagen, das ist unsere Auswahl der besten deutschen Literatur, und dass sich das in kleinerer Form dann auf der Shortlist auch widerspiegelt.
Schmitz: Ist das eine Tendenz in der Gegenwartsliteratur, in der Belletristik, dass Autoren mit Migrationshintergrund verstärkt in die vorderen Reihen der Literaturproduktion drängen?
von Lovenberg: Das ist jetzt eigentlich schon längst nichts Neues mehr, denken Sie mal an großartige Autoren wie Feridun Zaimoglu, oder auch Terézia Mora und viele andere. Das ist im Grunde genommen etwas, das kann man seit Jahren beobachten, in der Literatur wie in der Gesellschaft im Ganzen, und das bereichert uns alle sehr, als Leser wie als Kritiker. Insofern, finde ich, ist das jetzt kein Trend, den man neu nennen könnte.
Schmitz: Gibt es denn etwas Gemeinsames, einen Nenner, etwa eine komplexere literarische Herangehensweise und nicht eine leicht lesbare, konsumierbare Literatur? Zeichnet das diese Titel aus, weil es ja in der Begründung der Jury für diese Shortlist heißt, dass es hier sich auch um experimentelle Titel handelt?
von Lovenberg: Da gebe ich ehrlich zu, ich habe jetzt noch nicht alle sechs Titel dieser Shortlist gelesen. Die, die ich aber gelesen habe, kann ich nur sagen, sind sehr beeindruckend. Zum Beispiel das Buch von Thomas Lehr, "September. Fata Morgana", der auf, ja, man kann schon sagen, experimentelle, auf jeden Fall sehr ambitionierte Weise den neuen Kulturkonflikt seit 9.11 im Grunde genommen auslotet, indem er zwei Väter, den einen in New York, den anderen in Bagdad, verfolgt. Das ist ein Buch, das hat keinen Punkt und kein Komma, aber Groß- und Kleinschreibung. Das Lustige ist aber, dass ihnen das gar nicht mehr auffällt. Nach der dritten Seite vergessen sie das, weil sie merken, das braucht es nicht. Also man kann es auch so lesen, aber der Leser erschrickt vielleicht zunächst, wenn er das sieht.
Das gleiche wurde auch schon gesagt über Jan Faktors großartigen Roman "Georgs Sorgen um die Vergangenheit". Das ist ein großes Lob der Frauen, ist kein ganz dünnes Buch. Ich glaube, es hat so - ich weiß gar nicht - 700 Seiten. Ich habe es gelesen im Frühjahr und war hellauf begeistert. Aber das ist allein durch seine Komplexität, wie die politische Geschichte des Prags nach 1968 mit der intimen Geschichte dieses Ich-Erzählers, der sehr viele Gemeinsamkeiten mit Jan Faktor selbst hat, verwoben wird. Das ist einfach Literatur, das ist nicht etwas für jemanden, der sagt, er möchte einen Krimi lesen. Aber ich finde, dass dieses Wort "experimentell" oft abschreckend wirkt, und das möchten wir alle nicht und das ist es auch nicht.
Schmitz: Hat denn die Jury die richtigen Titel aus dem aktuellen Romanangebot 2009/2010 ausgewählt, oder hätten Sie sich den einen oder anderen Roman eher gewünscht?
von Lovenberg: Das ist immer so. Ich hätte mir in diesem Herbst vor allen Dingen unbedingt gewünscht, dass der großartige neue Roman von Martin Mosebach "Was davor geschah" auf jeden Fall auf dieser Shortlist zu finden ist. Auf der Longlist stand er. Das ist für mich das sprachlich schönste deutsche Buch dieses Herbstes, überwältigend. Ebenso hätte ich mir auch gewünscht, dass der neue Roman von Thomas Hettche, "Die Liebe der Väter", auf der Shortlist steht, denn was Hettche da macht ist nichts anderes, als dass er ein großes gesellschaftliches Thema, nämlich die Schwierigkeit, nach Trennungen und Scheidungen für vor allen Dingen die Väter noch eine Verbindung zu ihrem Kind aufzubauen, das rückt er dort ins Zentrum und das ist außergewöhnlich. Das hat man so überhaupt noch nicht gelesen. Aber auch ein Favorit von mir ist Arno Geiger mit "Alles über Sally" aus dem Frühjahr, auch ein ganz großartiger Roman über eine Ehe und die Schwierigkeiten, in die man da so kommen kann. Also natürlich gibt es Titel, die man vermisst, aber das gehört ja auch zum ganzen Spiel um den Deutschen Buchpreis, das ganze Gerangel, wer hat jetzt eigentlich Recht, und dass jeder seine eigene Shortlist sich so zusammenstellt, ist ja auch ganz schön.