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Die gläsernen Künstler

Die re:publica ist eine Art Familientreffen der Netzmenschen. Hier treffen sich Blogger, Netzpolitiker und Medienschaffende. Die behandelten Themen sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen: Internetfreiheit, Urheberrecht, Teilen im sozialen Netz.

Von Andreas Main | 04.05.2012
    Wer als Neuling hierhin kommt, staunt erst mal: viel mehr Frauen als erwartet. Es wird getwittert, was das Zeug hält. Sofern das Internet mal wieder funktioniert bei dieser Internetkonferenz. Doch die 4000 re:publica-Netzjunkies bleiben entspannt - auch ohne Netz. Bei Debatten rund ums Urheberrecht jedoch – da hält sich die Gelassenheit in Grenzen.

    "Auf der einen Seite hat man Besitzstandswahrer. Die wollen ihre Rechte behalten. Die sehen als Enteignung an, wenn so die Allgemeinheit wiederum ein paar mehr Chancen und Zugänge erhält. Und auf der anderen Seite hat man die, die sagen: Jetzt reicht es mit der Kriminalisierung, jetzt reicht es mit dem Grundrechteabbau. Wir müssen einfach neue Wege finden."

    Sagt Markus Beckedahl. Der Mitbegründer der re:publica ist eine der wichtigsten netzpolitischen Stimmen im Lande. In seinem Vortrag wird klar: Beim Urheberrecht geht es um mehr als ums illegale Runterladen von Musik.

    "Die meisten Besucher sind selbst aktiv zum Sender geworden. Sie sind die ganze Zeit mit dem Urheberrecht konfrontiert. Viele übertreten bewusst diese veralteten Regeln, obwohl sie der Meinung sind, dass auch Künstler vergütet werden sollten. Und hier wird aber auch darüber nachgedacht, welche neuen Wege und Lösungen gibt es, aus diesem Dilemma herauszukommen. Insofern ist so eine zentrale Message: Reformiert das Urheberrecht, bevor wir hier alle kriminalisiert werden für kulturelle Praktiken, die hier alle für vollkommen legitim halten und wo keiner anderen Künstlern irgendwas wegnehmen möchte."

    Supershirt – das sind drei Musiker. Ihr Label heißt Audiolith. Sie allesamt lassen auf der re:publica die Hosen runter. Sie trinken erst Champagner und geben dann Einblick in Kontoauszüge und GEMA-Abrechnungen. So sieht er also aus: "Der gläserne Künstler".

    "Na, wir wollten einfach mal ein paar Zahlen aufdecken, damit uns niemand vorwerfen kann, dass wir jammern würden oder dass wir im Sekt schwimmen. Das ist auch nicht so. Dass es eine ganz normale Arbeit ist und wir ganz normale Leute sind und so auch auf die Leute zugehen wollen, dass man die Leute auch mal in echt trifft und die Hand reicht und denen sagt, wie es ist, und dass man sich gegenseitig in die Augen schaut und weiß: Du bist auch so wie ich."

    Hendrik Menzl ist mit Supershirt das ganze Jahr auf Tour. 74 Konzerte – das entspricht 100 Arbeitstagen. Kunstwerk – so heißt ihr jüngstes Album. 1500 Platten sind bisher verkauft - und 6000 Downloads. Die Einnahmen der Band: 54.590, die Ausgaben: knapp 29.000 Euro. Die Band hat im letzten Jahr jedem Mitglied 8500 Euro ausgezahlt. Der "Gläserne Künstler" bekam von der GEMA fast 4400 Euro. Er hat auch einen Nebenjob. Die Jahreseinkünfte des "Gläsernen Künstlers": insgesamt 17.000 Euro. Das sei nicht wenig, sie wüssten aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, von Hartz IV zu leben. So leben sie also: Die glücklichen und gläsernen Künstler, die kein Interesse daran haben, mit Anwalt und Abmahnung zu drohen, sagt Artur Schock vom Label Audiolith:

    "Es geht in erster Linie nicht darum, irgendwen zu verdammen, dass er irgendwas irgendwo runterlädt, ohne dafür zu bezahlen, sondern wir wollen eher die Leute supporten oder unterstützen, die uns unterstützen, und ihnen irgendwie danken. Es gibt immer noch genug Leute, die uns unterstützen."

    Das Internet rüttelt unsere Welt so richtig durcheinander. Wie wird sie übermorgen aussehen? Darüber spekulierte Mercedes Bunz. Sie ist Kulturwissenschaftlerin und Journalistin in London. Sie blickt von außen auf unsere inneren Probleme:

    "Ich glaub, das große Problem ist, dass die Leute das Internet zu skeptisch betrachten. Und das bedeutet, die positiven Potenziale verpuffen einfach. Das ist das Problem vor allem in Deutschland, muss man sagen."

    Und so kommen die wichtigen und großen Internetinnovationen nach wie vor aus den Vereinigten Staaten - und Deutschland ist abgehängt. Ob von dieser re:publica ein Ruck ausgeht? Dieser Kirchentag für die digitale Gemeinde hat nämlich einen, der mit seiner Predigt Mut macht: Sascha Lobo, der Mann mit dem roten Irokesenschnitt. Trotz aller Hassliebe, die ihm zuteilwird, er füllt die Hallen:

    "Ich werde jetzt mal ein bisschen pathetisch, denn nur ein Blog gehört wirklich Dir. Alles andere ist nur geborgt. Ich möchte, dass wir zusammen eine Renaissance des Blogs veranstalten, eine Renaissance der selbst verwalteten Homepage."

    Blogs, die kann uns niemand nehmen - anders als bei Facebook, Twitter, Pinterest und Co. Ein Plädoyer für selbstverwaltete Blogs – eine von vielen Botschaften, die Gläubige und Nicht-Gläubige mitnehmen werden von diesem Kirchentag der Netzgemeinde.