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"Die Kanackische Welle"
Perspektiven besprechen

Seit zwei Jahren leuchtet der Podcast "Die kanackische Welle" die Lebenswelten und Probleme postmigrantischer Deutscher aus. Inzwischen ist Malcolm Ohanwe, einer der Podcast-Macher mit seinen Perspektiven gefragt – geholfen habe der "Bayerischer-Rundfunk-Stempel".

Von Tobias Krone | 11.06.2020
In Stil eines Pop Art Bildes sind mehrere Sprechblasen hinter Mikrofonen zu sehen.
Im Podcast "Die Kanackische Welle" werden Perspektiven postmigrantischer Deutscher besprochen (imago/ studiostoks Panthermedia)
Zu Beginn jeder Folge wird es orientalisch. "Das Intro, den Jingle, den habe ich spontan eingesungen, weil mich Musik und die Verpackung interessiert. Erstmal muss man die Aufmerksamkeit der Personen bekommen", sagt Malcolm Ohanwe, 26 Jahre alt und einer der beiden Hosts der "Kanackischen Welle".
"Das heißt, wir haben gewisse Klischees und Assoziationen. Du hörst den Begriff Kanacke, du denkst an die Deutsche Welle, aber es ist die Kanackische Welle, so okay, dann habe ich dich schon erstmal drin. Und du hörst das Intro, das heißt du kannst dir eine gewisse Personengruppe irgendwie vorstellen. Und dann lernst du differenzierter über die Personengruppe zu denken. Wir brechen dann, sobald wir können, mit diesem Vorurteil."
"Auf intelligente Art und Weise über Identität sprechen"
Malcolm Ohanwe, ausgebildeter Kulturwissenschaftler und Journalist, Sohn einer in Deutschland geborenen Palästinenserin und eines nigerianischen Vaters, und sein Kollege Marcel Aburakia, Sohn eines Palästinensers und einer Deutschen, spielen mit Vorurteilen, die Menschen wie ihnen entgegenschlägt – und machen genau das zum Thema.
"Lustig und unterhaltsam, aber trotzdem auf eine intelligente Art und Weise über Identität zu sprechen. Und hier speziell so racial identity, also deine ethnische und kulturelle Herkunft und auch dein Phänotyp, wie du aussiehst und was das mit dir macht."
Zum Beispiel wenn sie in einer Folge ihre Erfahrungen darüber austauschen, wie ablehnend Weiße durchaus darauf reagieren, wenn man sie auf ihren Rassismus hinweist. Oder manchmal Rassismus einfach leugnen.
Perspektiven anderer postmigrantischer Menschen
"Zum Beispiel, was auch oft passiert, ist, wenn so Leute über Rassismus reden, wenn dann so Weiße sagen: ‚Oh mein Gott, ich kann das gar nicht glauben, dass es sowas noch gibt in 2020. Das ist so krass!‘" – "‚Was, Deutschland, ein rassistisches Land?‘" – "Ich kann das nicht aushalten. Und kennst du das, da gibt es auf Twitter dieses Meme ‚Imagine how tired we are‘?"
So bekommen im Podcast Hörer*innen spielerisch das soziologische Konzept der ‚White Fragility‘ nähergebracht. Es geht den beiden um ihre eigene Erfahrung. Aber auch um Perspektiven anderer postmigrantischer Menschen, denen sie in langen Interviews Raum geben.
Das taten sie etwa bei dem deutsch-türkischen Popsänger Muhabbet, der von deutschen Medien wegen eines angeblichen Zitats den Fundamentalismus-Stempel aufgedrückt bekam: "Also, wenn du mich fragst, ist meine Muttersprache – auch wenn meine Mutter sehr, sehr wenig Deutsch spricht – Deutsch. Ich glaube, ich habe letzte Nacht auf Deutsch diskutiert in meinem Traum."
Ohanwes Perspektive ist derzeit gefragt
Zu Gast war auch schon die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli, wie die beiden Hosts palästinensischer Herkunft, die durchaus unbequeme Ansichten formuliert: "Nicht nur die potenziellen AfD-Wähler, sondern auch in unserer Migranten-Community und so, die Leute, die einfach sagen: ‚Wisst Ihr, Ihr sprecht einfach nicht unsere Sprache.‘ Die müssen wir wieder zurückholen."
Gerade in diesen Wochen, in denen das Thema "Black Lives Matter" auch die deutschen Medien beherrscht, wird Malcolm Ohanwe vom Journalisten zum Experten. Nach diesem Interview muss er gleich zum nächsten mit dem Medienmagazin des RBB.
Gerade weil er schwarz ist und einen Podcast darüber macht, ist seine Perspektive extrem gefragt. Und, ja, weil er sein Geld bei einer hoch-seriösen Rundfunkwelle verdient.
"Bayerischer-Rundfunk-Stempel" war hilfreich
"Wenn ich jetzt nicht eine Person gewesen wäre, die diesen Bayerischer-Rundfunk-Stempel hätte, dann würden wir beide gar nicht als intellektuell wertvolles Programm wahrgenommen. Und dadurch, dass ich Zugang hatte zu diesen Welten und zu diesen Personen und mir auf Twitter eine Chefredakteurin von einem angesehenen Magazin folgt, dann kommt es überhaupt erst in ihren Dunstkreis. Aber viele andere Podcaster und Produkte von Menschen, die auch so wie wir aus sozialen Brennpunkten kommen, aus der Unterschicht oder von migrantischen Arbeitereltern stammen, die machen vielleicht genau so gute Inhalte, aber haben nicht diesen Zugang wie ich qua meiner Ausbildung und meine Verbindung, dieser Stempel: Bayerischer Rundfunk."
Über Abruf-Zahlen ihres Podcasts wollen sie nicht reden, derzeit steht die "Kanackische Welle" auf Platz 111 der Charts. Noch könnten sie damit kein Geld verdienen. Dass er jetzt einer von wenigen Expert*innen zu Rassismus bei den öffentlich-rechtlichen Medien sei, gebe dem Podcast-Projekt nachträglich Recht, sagt Malcolm Ohanwe.
"Diese Inhalte in die Mitte der Gesellschaft tragen"
"Viele Kollegen, Kolleginnen haben mich angeguckt: Ja, aber ihr reduziert euch ja dann wieder auf eure Herkunft. Braucht es denn so ein Dings, muss es denn sein, ist es denn wichtig? Und die Zeit hat bewiesen, dass es gar nicht wichtiger hätte sein können. Und jetzt ist natürlich die Arbeit, diese Inhalte nochmal auf eine größere Bühne zu bringen und ganz in die Mitte der Gesellschaft zu tragen."