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Die Macht der Gedanken

Medizin.- Die Kicker des AC Milan verwenden sie bereits im Training: sogenannte Biofeedback-Techniken, mit denen unwillkürliche Vorgänge wie Herzfrequenz, Muskelspannung oder Hirnströme beeinflusst, trainiert und gegebenenfalls in Signale an die Umwelt weitergeleitet werden können.

Von Kay Müllges | 02.11.2010
    Unter chronischer Schlaflosigkeit, wissenschaftlich Insomnie, leidet fast jeder Zehnte in Deutschland. Die Ursachen für solche Schlafstörungen können vielfältig sein, oft spielt aber Stress beziehungsweise eine unzureichende Stressverarbeitung eine Rolle. Die Patienten können im Kopf einfach nicht abschalten. Kortikale Übererregung heißt das in der Sprache der Wissenschaft. Was damit gemeint ist, erläutert Aisha Cortoos von der Universität Brüssel am Beispiel eines Autofahrers:

    "Es ist als führen sie ihren Wagen und könnten ihn einfach nicht stoppen. Sie können ihren Fuß einfach nicht auf die Bremse setzen. Sie können nicht einmal den Gang wechseln. Selbst wenn sie nur 30 Meilen die Stunde fahren bleiben sie trotzdem im fünften Gang. Und das ist natürlich sehr anstrengend."

    Können Techniken aus dem Bio- oder dem Neurofeedback hier helfen? Beim Biofeedback werden den Patienten an verschiedenen Körperstellen Sensoren angelegt, die zum Beispiel Pulsfrequenz, Blutdruck, elektrische Aktivität der Muskeln oder die Leitfähigkeit der Haut messen. Anschließend wird der Patient zum Beispiel einer Stresssituation ausgesetzt, etwa indem man ihm Rechenaufgaben stellt. Computer werten die Messdaten aus und stellen sie als Bild, Grafik oder Melodie dar. Durch dieses Feedback, also diese Rückmeldung, soll der Patient lernen, sich selber besser zu steuern. Beim Neurofeedback passiert im Grunde dasselbe, nur das hier die elektrische Aktivität des Gehirns bei bestimmten Aufgaben gemessen wird. Dass diese Methoden funktionieren, beobachtet die Psychologin Cortoos an der Uniklinik häufig:

    "Wir haben oft Patienten, die sagen, ich kann einfach nicht entspannen. Ich habe Entspannungstherapie versucht, aber ich kann's einfach nicht. Und denen können sie Elektroden anlegen, ihre Muskelaktivität, ihre Atemfrequenz oder ihren Blutdruck messen und ihnen auf dem Computerbildschirm zeigen was passiert. Und sie können sehr, sehr kleine Veränderungen messen und den Patienten zeigen. Und damit können sie ihnen Kontrolle über ihren Körper zurückgeben."

    Ob diese Techniken auch bei Schlaflosigkeit funktionieren wollte Aisha Cortoos in einer kleinen, aber sorgfältig geplanten Studie mit 17 Probanden herausfinden. Das daraus zugleich die weltweit erste Studie unter Einsatz von Tele-Bio- und Neurofeedback wurde, war ursprünglich keine Absicht, sondern ist den chaotischen Verkehrsverhältnissen in Europas Hauptstadt geschuldet. Vielen Probanden war es einfach zu zeitaufwendig und mühevoll, sich mehrmals die Woche stundenlang durch den Brüsseler Verkehr ins Schlaflabor der Universität zu quälen. Also bekamen die Probanden nur eine einmalige Einweisung in die Benutzung der Geräte und der Elektroden an der Uni. Anschließend bekamen die Patienten tragbare Bio- beziehungsweise Neurofeedback-Geräte und die passenden Elektroden einfach mit und das Training fand bei ihnen zu Hause statt.

    "Die Patienten waren also zu Hause. Ich habe sie zu festen Zeiten, zum Beispiel jeden Dienstag und Donnerstag um sieben Uhr abends angerufen und gefragt, ob sie die Elektroden auch richtig angelegt haben. Und dann konnte ich auf ihren Computer zugreifen, mit ihnen kommunizieren und gucken was sie machen."

    Die Patienten mussten im Wechsel verschiedene Konzentrations- und Entspannungsübungen machen. Zehn Wochen mit jeweils zwei bis drei Trainingssitzungen pro Woche ging das so. Eine Gruppe arbeitete mit Biofeedback-Geräten, die andere mit Neurofeedback. Eine Arbeit, die für Aisha Cortoos selbst mit vielen schlaflosen Nächten am Computer verbunden war, aber hochinteressante Ergebnisse brachte. Beide Gruppen konnten nach dem Training zwar schneller einschlafen, nur die Patienten aus der Neurofeedbackgruppe schliefen aber auch besser durch. Eingeschränkt wird die Aussagekraft dieser Pilotstudie allerdings durch die geringe Anzahl an Probanden. Deshalb möchte Cortoos in Zukunft mit größeren Probandengruppen arbeiten. Und dann auch untersuchen, wie Bio- oder Neurofeedback bei unterschiedlichen Formen der Schlaflosigkeit wirkt.