Freitag, 29. März 2024

19. März 2023
Die Presseschau

Bundeskanzler Scholz hat gestern mit mehreren Ministern Tokio besucht und politische Gespräche geführt. Mit den deutsch-japanischen Regierungskonsultationen befasst sich ein Gastkommentator der Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN:

19.03.2023
Finanzminister Christian Lindner, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Bundeskanzler Olaf Scholz stehen neben dem japanischen Ministerpräsidenten Fumio Kishida und Außenminister Yoshimasa Hayashi vor einer japanischen, einer deutschen und einer europäischen Flagge.
Deutsch-japanische Regierungskonsultationen in Tokio (Kay Nietfeld / dpa / Kay Nietfeld)
"Deutschland will seinen Fehler nicht wiederholen und sich wirtschaftlich von Staaten abhängig machen wie zum Beispiel einst von Russland bei der Energie oder von China beim Außenhandel. Deshalb wolle Berlin viel von Tokio lernen, hört man in diesen Tagen sehr häufig. Für Japan bringen die auf eine neue Stufe gestellten Beziehungen zu Deutschland enorm viele Vorteile wie Kooperationen beim Aufbau der Lieferketten oder bei klimaneutralen Energien. China scheint alarmiert. Präsident Xi wird morgen zu einem Staatsbesuch bei Putin in Moskau erwartet. Es wird spekuliert, dass China danach eine außenpolitische Offensive in Europa startet, um einen Keil ins Lager von Japan, den USA und Europa zu treiben. Die Bemühungen der europäischen Länder, ihre Asienpolitik mit zuletzt dem Schwerpunkt China in Richtung Japan neu auszurichten, kann nicht mehr gestoppt werden. Denn das Misstrauen gegenüber der kommunistischen Führung in Peking ist mittlerweile zu stark geworden", ist sich NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio sicher.
Nach einem Treffen mit dem finnischen Präsidenten Niinistö hat der türkische Präsident Erdogan seine Bedenken gegen einen Beitritt Finnlands zur NATO aufgegeben. Das Parlament in Ankara soll nun den Ratifizierungsprozess einleiten. Die Zeitung WELT AM SONNTAG bemerkt: "Schweden hingegen wird wohl mindestens bis nach den Wahlen in der Türkei warten müssen. Der Nordosten Europas würde damit erst einmal zu einem Gebiet geteilter Sicherheit werden, mit den Finnen innerhalb des NATO-Schutzschirms und den Schweden außen vor. Eine absurde Situation, die die NATO allein Ungarn und der Türkei zu verdanken hat. In einer Zeit, in der die Verteidigung der Freiheit in Europa wieder zu einer vorherrschenden Aufgabe unserer Gesellschaften geworden ist, haben beide den strategischen Ernst, der diesem Moment in der Geschichte Europas innewohnt, willentlich ignoriert. Die Türkei und Ungarn eint zudem eine zum Teil unziemliche Nähe zu Russland. In ihrer Hinwendung zum Autoritarismus haben sich Ankara und Budapest auch deutlich von der Wertegemeinschaft entfernt, für die die NATO steht. Das Bündnis ist deshalb gut beraten, Ankara und Budapest erst einmal als Partner unter Vorbehalt zu behandeln. Dazu sollte etwa gehören, innerhalb der NATO bestimmte sensible Daten nicht mehr unbedingt mit der Türkei und Ungarn zu teilen", fordert die WELT AM SONNTAG.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG kommentiert die Entwicklung im russischen Ukraine-Krieg. "Wenn der Moskauer Propagandaapparat die Eskalationsrhetorik hochfährt und einen dritten Weltkrieg an die Wand malt, dann jagt das vielen Leuten im Westen einen Angstschauer den Rücken hinunter. Das russische Kalkül: Die Zahl der 'Kriegsgegner' werde dort so groß, dass die Regierungen des Westens nicht umhinkommen könnten, ihre militärische Unterstützung der Ukraine einzustellen – Wagenknecht, Schwarzer und Konsorten lassen grüßen. Putin setzt darauf, dass sich Risse in der westlichen Front auftun, und darauf, dass diese Risse größer werden. Europas Regierungen dürfen nicht darin nachlassen, ihre Bürger davon zu überzeugen, dass es nicht zuletzt in ihrem Interesse ist, der Ukraine beizustehen. Nur wenn die Ukraine die Oberhand behält, besteht Aussicht auf eine gerechte Friedensordnung in Freiheit in Europa. Eine Ordnung, die auf der Vernichtung und Unterwerfung der Ukraine basierte, wäre niemals gerecht und niemals frei", betont die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG.
Nun zu einem anderen Thema. "Klimaschutz, die neue Religion", titelt der TAGESSPIEGEL und führt weiter aus: "Die Klimakatastrophe wird global verursacht. Deutschlands Anteil am weltweiten Kohlendioxid-Ausstoß beträgt rund zwei Prozent. Den persönlichen Verzicht in spürbare Emissionseinsparungen zu übersetzen, ist unmöglich. Wir hoffen, dass unser Verhalten irgendwie wirksam ist. Auf diesem Fundament verwandelt sich das griesgrämige Verzichtensollen in ein als lustvoll zelebriertes Verzichtenwollen. Aus der Not wird eine Tugend, aus der Askese ein Lebensstil. Wie in Religionen ist das Kosten-Nutzen-Kalkül außer Kraft gesetzt. Rigoros werden Abweichler von der reinen Lehre sanktioniert. Klimaschutz als Lebensthema? Es gibt kaum noch eine Feier, auf der Gäste nicht über Ernährung oder E-Autos fachsimpeln. In der weniger zivilen Variante kleben sich Klimaschützer auf Straßen fest. Auch diese Trennung in fundamentalistische und liberale Strömungen erinnert an die Organisationsstruktur von Religionen. Woran ein Mensch glaubt, ist ihm allein überlassen. Die globale Erderwärmung aber ist keine Glaubenssache. Wer sie bekämpft, sollte nicht den Eindruck erwecken, sie wäre eine. Verzichtslust als gemeinsam zelebrierter Lebensstil: Das wirkt, von außen betrachtet, abschreckend", meint der TAGESSPIEGEL in Berlin.
Der österreichische KURIER blickt nach Brüssel: "Dort gab es dieser Tage Gesetzesvorschläge, um Europa langfristig unabhängiger zu machen. Doch der kleine Wohlstandskontinent verliert wirtschaftlich und politisch an Bedeutung, kreist zu sehr um sich, schafft in so existenziellen Bereichen wie der ungeregelten Migration keine entschlossene Lösung. Dafür beschäftigt man sich manchmal mit Luxusproblemen. Zum Beispiel, wenn Menschen so wie in Frankreich auf die Straße gehen, damit das Pensionsantrittsalter bei 62 Jahren bleibt. Oder wenn man bei Arbeitskräftemangel über Arbeitszeitverkürzung nachdenkt. Nirgendwo auf der Welt beschreiben sich außerdem Junge als 'letzte Generation', obwohl kein anderer Kontinent so viele durchaus radikale Umweltgesetze schafft: etwa das De-facto-Aus für Verbrennermotoren oder den Zwang zur Haussanierung bis 2033, ein Eingriff ins Privateigentum, wie - ebenfalls diese Woche - im EU-Parlament beschlossen. Europas Vorteile sind seine demokratische Verfassung, Bildung, das gute Gesundheits- und Sozialwesen, Frieden. Es ist großartig, in Europa leben zu dürfen. Aber es bedarf mehr als ambitionierter Klimapolitik, damit das so bleibt" kommentiert der KURIER aus Österreich.
In der Schweiz laufen Verhandlungen zur Rettung der angeschlagenen Großbank Credit Suisse. Die NZZ AM SONNTAG kritisiert das Management. Es habe nach der Finanzkrise - Zitat - Vollgas gegeben. "Die Führungsriege ging Risiken ein, die sie offenbar weder verstand noch überwachte. Mit dem Resultat, dass jetzt die Credit Suisse vor dem Abgrund steht. Zuerst erhielt sie von der Nationalbank eine Infusion von 50 Milliarden Franken verabreicht. Dennoch schmolz das Vertrauenskapital so rasch ab, dass die Wiederbelebungsmaßnahmen versagten. Vermutlich wird nun die Komapatientin von damals, die UBS, die Geschäfte ihrer Konkurrentin übernehmen. Auch damit keine ausländische Bank zum Zug kommt. Die Schweiz sieht ihren Finanzplatz eigentlich immer von außen bedroht. Namentlich von neidischen Konkurrenten in London und New York. Doch die größten Risiken sind jeweils ganz nah, in den Teppichetagen der Banken in Zürich. Sie heißen Arroganz und Dummheit", urteilt die NZZ AM SONNTAG aus der Schweiz.
Der britische SUNDAY TELEGRAPH bemerkt: "Die Credit Suisse ist eine von nur 30 Banken weltweit, die als systemrelevant eingestuft werden. Es gibt bereits Warnsignale, dass eine Übernahme durch die UBS, wenn auch in Teilen, Tausende von Arbeitsplätzen in der Londoner City gefährden könnte. Die UBS hat klargestellt, dass sie nicht die gesamten Verbindlichkeiten der Credit Suisse übernehmen will und deshalb die Schweizer Regierung um eine Ausfallbürgschaft gebeten. Die Schuld für diese sich langsam entwickelnde Krise der Banken ist nicht schwer zu finden. Übermütige Zentralbanken und Regulierungsbehörden, die von ihrer gottgleichen Macht überzeugt sind, die Weltwirtschaft zu steuern und vor Gefahren zu bewahren, haben uns wieder einmal an den Abgrund gebracht. Die unmittelbare Ursache für die Notlage der Banken ist aber die jüngste Flut von Zinserhöhungen", moniert der SUNDAY TELEGRAPH aus London.