Dienstag, 23. April 2024

Archiv


Die Volksparteien und das Prekariat

Neue Armut, Unterschicht, abgehängtes Prekariat - seit Wochen diskutieren Politiker, Soziologen, Gewerkschafter und Kirchenvertreter, wie man Arbeitslosen, Hartz IV-Empfängern und den so genannten bildungsfernen Schichten mehr Chancen bieten kann. Was hat die Debatte bislang gebracht und welche Rezepte bringen die Volksparteien?

Von Jens P. Rosbach | 23.11.2006
    "Wenn man jetzt die Diskussion über Unterschicht und ähnliches denkt. Da geht's den kleinen Leuten ganz schön ans Leder, und das find ich nicht gerecht. Hier soll die Politik endlich mal wieder beidrehen und den ganzen Müll vernünftig sozial gestalten. "

    "Alle politischen und wirtschaftlichen Verantwortlichen haben sich zu wenig Gedanken gemacht über das, was sich da am unteren Rand unserer Gesellschaft entwickelt, was sich dort bewegt."

    "Was hier tickt, ist keine demografische, sondern eine soziale Zeitbombe - und die muss entschärft werden, Kolleginnen und Kollegen! "

    "Das könnte dazu führen, dass bei einer der nächsten Wahlen eine populistische Partei auftritt, dann können wir durchaus jemanden kriegen wie Herrn Haider in Österreich - ja dann zumindest müssen die gegenwärtigen Parteien sich warm anziehen, um das auszuhalten."

    Neue Armut, Unterschicht, abgehängtes Prekariat - seit Wochen diskutieren Politiker, Soziologen, Gewerkschafter und Kirchenvertreter, wie man Arbeitslosen, Hartz IV-Empfängern und "bildungsfernen Schichten" mehr Chancen bieten kann. Was hat die Debatte bislang gebracht?

    "Also zunächst einmal war eine kurze Zeit eine höhere Sensibilität für dieses Thema, aber die Reaktionen, die zeigten uns doch sehr schnell, dass im Grunde genommen die alten Positionen jeweils wieder aufgewärmt werden. Die einen fordern im Sinne neoliberaler, angebotsorientierter Wirtschaftspolitik eine Aufhebung von sozialen Schutzrechten, andere fordern dafür mehr Geldleistungen, mehr Unterstützung, mehr Hilfen. Das heißt also: Die Alarmsignale werden zwar wahrgenommen, aber die Rezepte, die darauf gegeben werden, die unterscheiden sich eigentlich nicht von dem, was wir bis dahin gehört haben. "

    Professor Ernst-Ulrich Huster ist unzufrieden. Der Sozialwissenschaftler der Evangelischen Fachhochschule in Bochum forscht seit Jahren zum Thema Armut in Deutschland. Die jetzige Debatte, klagt der Experte, zeichne sich durch Worthülsen, Populismus und Widersprüche aus - die Politik sei eigentlich ratlos.

    "Ich meine, dass es nicht drauf ankommt, hier jeden Tag irgendwie ein neues Thema hochzuziehen, mal die Heuschrecken-Debatte, mal die Unterschichten-Debatte, sondern was wir brauchen, ist ein schlüssiges Konzept, wie wir den sozialen Zusammenhang in dieser Gesellschaft verstärken wollen."

    "Es ist eine Tendenz, dass die Schere immer weiter auseinander geht, die Armen immer ärmer werden und die Reichen immer reicher. Und ich denke, da muss man Widerspruch einlegen. Also es ist für mich unmöglich, von zehn Euro am Tag zu leben. Mehr ist es nicht, mehr bleibt nicht. Perspektive gleich fast bei Null. "

    Rückblick. Im vergangenen Jahr gibt die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung eine Studie in Auftrag. Sie soll die Lebenslage aller Bevölkerungsschichten erfassen. Im Frühjahr dieses Jahres werden daraufhin bundesweit 3000 Menschen befragt. Zentrales Ergebnis: Acht Prozent der Teilnehmer fühlen sich von der Gesellschaft ausgeschlossen. Sie haben ein geringes Bildungsniveau, unsichere oder überhaupt keine Jobs und leben in einer Lethargie. In Westdeutschland zählen vier Prozent der Menschen zu dieser Gruppe, in Ostdeutschland sogar 20 Prozent. Frank Karl, Projektverantwortlicher in der Friedrich-Ebert-Stiftung, spricht von einem "abgehängten Prekariat". Ein Begriff, der sich aus den Worten prekär, schwierig, und Proletariat speist.

    "Die Leute haben für sich keine Hoffnung mehr, sich aus eigener Kraft aus dieser unglücklichen Situation zu heraus arbeiten zu können. Und was ich fast noch schlimmer finde, wenn einem Leute sagen, meinen Kindern wird es auch nicht mal besser gehen, als es mir heute geht. Das heißt also auch schon für die nachwachsende Generation antizipiert, dass sie in diesem Bereich bleiben. "

    Das Wort "Unterschicht" selbst taucht in der Studie nicht auf. Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck bringt es am 8. Oktober ins Spiel - in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Zitat: "Deutschland hat ein zunehmendes Problem. Manche nennen es Unterschichten-Problem". Zu diesem Zeitpunkt sind die Studienergebnisse der Öffentlichkeit noch nicht bekannt. Erst am Wochenende darauf berichtet Bild am Sonntag von der Untersuchung. Schlagzeile: "Sechs Millionen Deutsche gehören zur neuen Unterschicht". Nun stürzen sich Politiker und Medien auf das Thema. Der Bundestag debattiert in einer Aktuellen Stunde darüber. Und auch am 21. Oktober, auf dem bundesweiten Aktionstag der Gewerkschaften, ist das Wort Unterschicht in aller Munde. Verdi-Chef Frank Bsirske rechnet dort mit Hartz IV, Mehrwertsteuererhöhung und Rente mit 67 ab.

    "Trotz jahrzehntelanger Beitragszahlung Armut und Sozialhilfebedürftigkeit bis ans Lebensende - das wird gegenwärtig für viele programmiert. Was hier tickt, ist keine demografische, sondern eine soziale Zeitbombe - und die muss entschärft werden, Kolleginnen und Kollegen!"

    "Sie finden aber durchgängig, bis weit in die Mitte hinein, ein Grundgefühl von Verunsicherung, teilweise von Angst, von Abstiegsängsten. So sagen Ihnen zum Beispiel 40 Prozent aller Befragten, dass sie damit rechnen, in ihrem Alter auf Sozialhilfe angewiesen zu sein. Das macht natürlich Furcht vor der Zukunft sehr, sehr deutlich. "

    Frank Karl von der Friedrich Ebert-Stiftung geht - ähnlich wie der Bochumer Armutsforscher Huster - mit den beiden großen Volksparteien hart ins Gericht. Karl kritisiert selbst die SPD - auch wenn seine Stiftung den Sozialdemokraten nahesteht.

    "Natürlich hat die SPD ein Problem, für die, die im Moment von sich selber glauben, dass sie ganz unten angekommen sind, oder auch für diejenigen, die Abstiegsängste haben, ne Programmatik zu entwickeln und vor allen Dingen praktische Politikansätze zu entwickeln, die in diesen Bereichen wieder Hoffnung oder auch Sicherheit schafft, dass es nicht unendlich nach unten geht. "

    Die Sozialdemokraten sind in der Armuts-Debatte zerstritten. Unmittelbar nach Bekanntwerden der Studie distanziert sich Vizekanzler Franz Müntefering von der Beckschen Unterschichten-Formulierung. Der Bundesarbeitsminister sieht keine Spaltung in der Gesellschaft und greift Forscher an, die davon reden.

    "Ich halte die Formulierung von lebensfremden Soziologen für die Politik, für die Gesellschaftspolitik für überhaupt nicht brauchbar. Es gibt keine Schichten in Deutschland, es gibt Menschen, die es schwerer haben, die schwächer sind, das ist nicht neu, das hat`s schon immer gegeben."

    Für Brandenburgs Ministerpräsidenten Matthias Platzeck sind solche Sätze "Realitätsverweigerung". Er lasse sich nicht davon abbringen, protestiert der Ex-SPD-Chef wörtlich "dass viele Menschen in unserem eigentlich reichen Deutschland in Armut leben". Noch weiter geht der Vertreter der Parteilinken, Ottmar Schreiner. Er gibt der eigenen Partei Mitschuld an der Unterschichten-Misere.

    "Die rot-grüne Regierung hat dazu auch einen Beitrag geleistet, beispielsweise durch die Regelungen von Hartz IV, das sind Regelungen, die so nicht in Ordnung sind und die korrigiert werden müssen. "

    Diese Schuldzuweisung wird wiederum von der Parteispitze entschieden zurückgewiesen. Warum die Aufregung in der SPD, warum die Nervosität? Gero Neugebauer, Politologe an der Freien Universität Berlin, spricht von einem Aufreißen einer alten Wunde. Einer Wunde, die Kanzler Gerhard Schröder vor sieben Jahren mit dem so genannten Schröder-Blair-Papier der Partei zugefügt habe.

    "Das damals Entscheidende war, dass sich eine Abkehr vom bis dahin bekannten Prinzip des Sozialstaates und eigentlich auch der sozial organisierten Marktwirtschaft andeutete. Diese Diskussion wurde eingeleitet, ohne die Partei mitzunehmen, ohne die Betroffenen mitzunehmen, es fand kein öffentlicher Diskurs statt - insofern kam das relativ überraschend."

    Nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers wurde dieser Kurs vor drei Jahren mit der Agenda 2010 festgeklopft - eine Agenda, die zwar den Beschäftigungstand erhöhen sollte, aber auch zu drastischen Sozialkürzungen führte. Das Fatale sei, so Neugebauer, dass dieser Richtungswechsel mit keiner Programmdebatte in der Partei einherging. Jetzt habe die SPD ein neues Grundsatzprogramm in Angriff genommen - doch dieser Prozess setze viel zu spät ein.

    "Die SPD hat eigentlich versäumt, über die Fortentwicklung des Wertes "soziale Gerechtigkeit", der ihr zentraler Wert ist, und das zentrale Bindeglied zwischen ihr und den Anhängern, zu diskutieren - andererseits aber hat Schröder in seinen Wahlkämpfen 2002 und 2005 nur immer das Problem dann entdeckt, wenn es darum ging, die Gewerkschaften zu mobilisieren oder Anhänger zu mobilisieren. Aber es ist nie etwas gefolgt, wo die Leute real gesehen haben, das ist etwas. Insofern ist die soziale Gerechtigkeit d e r zentrale Punkt für die Sozialdemokratie zur Mobilisierung ihrer Anhänger - und dass sie es in den letzten Wahlen nicht mehr schafften, hängt damit zusammen, dass ihnen niemand mehr glaubte. "

    "Laden wir diese Herren doch mal ein! Laden wir die Stoibers und Kochs und diese SPD-Netzwerker im Bundestag doch mal ein! Dass sie mal eine Woche mitarbeiten im Krankenhaus. Auf dem Bau oder in der Stadtreinigung, hinter dem Müllwagen. (Atmo Pfiffe). Und dann fragen wir sie mal, ob sie dann immer noch für Arbeitszeitverlängerung und für die Rente mit 67 sind. Fragen wir sie das doch mal!"

    Nicht nur die SPD, auch die Union ist sich in der Unterschicht-Debatte nicht einig. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla attackiert die Sozialdemokraten: In den sieben Jahren Rot-Grün, meint der Christdemokrat, habe die Armut in Deutschland zugenommen. Parteifreund Karl-Josef Laumann, Arbeits- und Sozialminister in Nordrhein-Westfalen, widerspricht selbstkritisch: Der Sparkurs sei Zeitgeist gewesen, nicht nur in der SPD.

    "Das glaube ich schon, dass wir in den letzten Jahren zwar viel Geld für den Sozialstaat ausgegeben haben, 650 Milliarden ist ja schon ein Wort, aber dass wir auf der anderen Seite, das, was entscheidend ist, um Integration von Menschen hinzukriegen, nämlich, dass sie Teilhabe am gesellschaftlichen Leben haben, vor allen Dingen an Arbeit, an Bildung, das ist uns nicht gelungen."

    Mitten in der Unterschicht-Debatte, am 30. Oktober, beschließt der CDU-Landesverband Nordrhein-Westfalen ein Papier, das hohe Wellen schlägt. Landesvorsitzender und NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers fordert darin mit seinen Anhängern, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I zu verlängern - in Abhängigkeit von der Beitragszeit. Das Papier soll Anfang nächster Woche, beim CDU-Bundesparteitag in Dresden, als Beschlussvorlage dienen. Ein Antrag, der bei der SPD wütende Reaktionen hervorruft, könnte er doch - so die Befürchtung - den Sozialdemokraten das Wasser abgraben. Auch die CDU-Bundesspitze wendet sich gegen die NRW-Vorlage. Viele sehen den wirtschaftliberalen Reform- und Sparkurs in Gefahr, der vor drei Jahren auf dem Leipziger Parteitag beschlossen worden ist. Wolfgang Bosbach, Vizefraktionschef der Unionsparteien im Bundestag, bilanziert:

    "Hier geht es natürlich auch um die Frage, ob die Union ihren ordnungspolitischen Kurs von Leipzig revidiert und ob wir in wichtigen Fragen einig oder gespalten sind. "

    Erlebt die CDU einen Linksruck? Bundeskanzlerin Angela Merkel dementiert gestern in der Bild-Zeitung: Es gebe in der CDU keine Verschiebung nach links. Zugleich mischt sich Bundespräsident Horst Köhler, CDU, in die Debatte ein: Er rate, so das Staatsoberhaupt, nichts an der Arbeitslosenversicherung zu ändern. Andere Unionspolitiker schütteln den Kopf über den gesamten Streit: Denn Rüttgers Antrag entspricht in der CDU geltender Beschlusslage. Junge-Union-Chef Philipp Missfelder klagt, bei der Auseinandersetzung stünde die Profilierung im Vordergrund - und nicht die Sozialreform.

    "Im Grunde ist dies ja eine Scheindebatte, weil dieser Antrag, den Jürgen Rüttgers ins Spiel gebracht hat, haben wir exakt vor zwei Jahren auf dem Düsseldorfer Parteitag schon einmal beschlossen. Und birgt an sich in der Sache keine politische Sprengkraft. Hier geht's aber darum, um die die Richtung der Union und auch um Machtabsichten einzelner Ministerpräsidenten, und insofern bedaure ich, dass in den letzten Tagen mehr über diese Hintergedanken diskutiert worden ist, als über den tatsächlichen Antrag, weil in der Sache dies in der CDU nicht umstritten war. "

    Der Berliner Politologe Gero Neugebauer erklärt die jeweiligen parteiinternen Turbulenzen durch die Unterschicht- bzw. Arbeitslosengeld-Debatte folgendermaßen: Bei der SPD gehe es um eine inhaltliche Neuausrichtung, bei der CDU dagegen eher um Machtfragen, so der Experte.

    "In der Sozialdemokratie hängt mit der Diskussion keine Frage zusammen, wer soll eigentlich die Partei programmatisch und politisch führen. In der Union hängt damit die Frage zusammen. Die beteiligten Protagonisten äußern sich unterschiedlich, weil auch die innerparteilichen Machtverhältnisse noch nicht klar sind. Die Frage der Kanzlerkandidatur 2009 gilt ja für manche noch nicht entschieden und Frau Merkel weiß, sie muss gut rauskommen aus ihrer Reformpolitik, um dann wieder antreten zu können. Das ist ne andere Dimension, ne zusätzliche, innerparteiliche, die eigentlich mit dem Gegenstand gar nichts zu tun hat, sondern die sich lediglich auf innerparteiliche Machtauseinandersetzungen bezieht. "

    Die Unterschicht-Debatte ist bei CDU und SPD eng mit Richtungs- und Führungsfragen verbunden: Das "Prekariat" ist für die beiden großen Volksparteien deshalb ein prekäres Thema. Wie äußern sich die anderen Parteien in der Armutsdiskussion? Widersprüchlich die Haltung von FDP-Chef Guido Westerwelle. Mitte Oktober erklärt er, es gebe überhaupt keine Unterschicht in Deutschland.

    "Wir leben Gott sei Dank in Deutschland nicht in einer geschichteten Gesellschaft. Wir haben eine klassenlose Gesellschaft."

    Vier Wochen später fordert er plötzlich im Magazin Focus eine "Mittelschicht-Debatte", da die "Mittelschicht" in Deutschland "ausgepresst" werde. Grüne und Links-Politiker warnen seit Wochen vor einer "populistischen Debatte". Wobei Linksfraktionschef Oskar Lafontaine selbst drastische Worte gebraucht und von "Schröders asozialer Arbeitsmarkt-Politik" spricht. Was ist die Bilanz des Parteienstreits? Sozialwissenschaftler, wie der Bochumer Armuts-Forscher Professor Ernst-Ulrich Huster, sind frustriert von der bisherigen Schichten-Diskussion: Zwar gebe es Vorschläge für Mindest- und Kombilöhne sowie zur Bildungsförderung von Kindern - doch ein Gesamtkonzept sei nicht erkennbar.

    "Also ich sehe hier in der Tat eine ambivalente Situation. Es wird nicht mehr nur geleugnet, dass es diese Ausgrenzungsprobleme gibt, aber ich sehe in der Tat auch bis jetzt keine in sich geschlossene Strategie, wie wir sie beispielsweise in Dänemark haben oder auch in anderen Ländern, in Schweden, dass tatsächlich Arbeitslosigkeit abgebaut und soziale Integration wieder stärker betrieben wird. "

    "Siemens, Krupp und deutsche Bank, der Hauptfeind steht im eigenen Land! Alles für alle und zwar umsonst!"

    Die Sozialstudie der Friedrich-Ebert-Stiftung bereitet den Experten Zukunftssorgen. Denn sie dokumentiert auch eine große Politikverdrossenheit in der Bevölkerung. So ging in den vergangenen drei Jahrzehnten der Anteil aller Bürger, die sich einer politischen Partei verbunden fühlen, von 85 auf 53 Prozent zurück. Nur noch die Hälfte aller Bürger hat Bezug zu einer Partei. Und in den unteren Gesellschaftsschichten, so die Untersuchung, stellen die Menschen zudem immer häufiger das gesamte demokratische System in Frage.

    "Je nach Art der Fragestellung finden Sie bis zu 25 Prozent, 30 Prozent teilweise, von Leuten, die Ihnen sagen: Gibt es nicht eine andere gesellschaftliche Form des Zusammenlebens als die Demokratie, denn die trägt für mich nicht viel aus. Sagen wir mal, an den Rändern fleddert das schon so ein bisschen aus."

    In der so genannten Unterschicht gebe es immer mehr Nichtwähler, erklärt Frank Karl von der Bonner Friedrich-Ebert-Stiftung. Extrem linke und extrem rechte Positionen würden bei den Frustrierten immer populärer.

    "Das ist hoch gefährlich. Das ist h o c h gefährlich. Denn, sehen Sie mal, jemand, der so vollkommen resigniert hat, der über viele Jahre jetzt arbeitslos ist, der 50 oder wie viel Bewerbungen geschrieben hat, der hat natürlich auch eine Fülle von Misserfolgserlebnissen in dieser Zeit, und dann setzt irgendwo auch ein sozialpsychologisches Momentum ein, dass man sagt: In dieser Organisationsform der Gesellschaft gibt es für mich keine Chance mehr und derjenige, diejenige ist dann natürlich empfänglich für vermeintlich einfache Antworten und läuft dann diesen Rattenfängern hinterher."

    NPD-Demo
    "Wir sagen: Kriminelle Ausländer raus und Scheinasylanten raus aus diesem Land! (Applaus). Wir erwarten von der Politik, dass sie für die Bürger dieser Stadt Arbeit und Zukunftssicherheit beträgt und betreibt!"

    Die Hetzreden der NPD erreichen längst nicht nur die so genannte Unterschicht. Rechtsextremes Gedankengut findet sich in allen Bevölkerungsschichten und bei Wählern aller Parteien. Das belegt eine weitere Studie, die ebenfalls von der SPD-nahen Stiftung in Auftrag gegeben worden ist und von der Universität Leipzig erstellt wurde. Politologe Neugebauer sieht in der von Zukunftsangst geprägten Gesellschaft mittlerweile genug Nährboden für rechtspopulistische Meinungsführer.

    "Wir könnten einen deutschen Berlusconi kriegen oder einen Le Pen einen in Frankreich, von einer Qualität, die wir bisher nur als Provinzpolitiker erlebt haben, aber wenn der sich auf die nationale Ebene aufschwingt wie Herr Haider in Österreich - ja dann zumindest müssen die gegenwärtigen Parteien sich warm anziehen, um das auszuhalten."

    Eins scheint klar: Keine der demokratischen Parteien hat bisher eine adäquate Antwort auf die Frage gefunden, wie die Gesellschaft mit dem Thema Unterschicht umgehen soll. Die Parteien, so auch Frank Karl von der Friedrich-Ebert-Stiftung, müssten sich mit ihren Programmen schnell den Sorgen des Prekariats sowie der Furcht und dem Frust der breiten Mittelschicht annehmen.

    "Ich hoffe sehr stark, dass das jetzt nicht ne einmalige, kurze heftige Debatte war - und jetzt gehen wir dann wieder zur Tagesordnung über. Denn ich sehe gesellschaftliche Gefahren. Gesellschaftliche Gefahren, wenn wir es nicht schaffen, auch wieder eine etwas positivere Stimmung Optimismus zu erzeugen. Und zwar nicht nur auf der rhetorischen Ebene, sondern eben auch auf der Ebene von Sachpolitik. "