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Die zwanghafte Lust der Genussarbeiter

Vor ein paar Jahren sangen Holm Friebe und Sascha Lobo ein Loblied auf die sogenannte "digitale Bohème", nämlich auf jene jungen Kreativen ohne Festanstellung, aber mit Internetanschluss. Arbeit und Freizeit waren identisch. Nämlich: Genuss. Die Philosophin Svenja Flaßpöhler entlarvt dies in ihrem Buch als ideologisches Produkt.

Von Günter Kaindlstorfer | 21.11.2011
    Natürlich, die Arbeit an Hochofen und Fließband ist noch immer nicht das reine Vergnügen. Aber zumindest in Westeuropa gibt es immer mehr Menschen, die ihr Geld im Dienstleistungssektor, in der Wissensarbeit, in den Medien und sogenannten Kreativberufen verdienen. Diesen "Genussarbeitern", wie Svenja Flaßpöhler sie nennt, macht ihre Arbeit, in der Regel zumindest, Spaß. Die Folge: Viele dieser Genussarbeiter sitzen 60, 70, 80 Wochenstunden in ihren ergonomischen Stühlen, schlürfen Latte macchiato und hämmern in ihren Mac, ohne zu merken, dass sie auf selbstschädigende Weise über ihre Grenzen gehen.

    Natürlich ist diese Arbeitsmanie oft auch der Prekarisierung in den "Kreativberufen" geschuldet, wo der Konkurrenzdruck groß und die Honorare niedrig sind. Aber dass gewisse Jobs in der Wissenschaft, in den Medien und der Kunstszene Spaß machen, ist einfach nicht zu bestreiten. Das macht diese Jobs ja gerade so attraktiv.

    "Arbeit ist für uns heute nicht mehr nur Mühsal",

    schreibt Svenja Flaßpöhler:

    "Wir, die wir unsere Arbeit gern tun und uns in ihr verausgaben auch über das erforderliche Maß hinaus, sind keine Pflichtarbeiter im herkömmlichen Sinne mehr, sondern Genussarbeiter."

    O-Ton Svenja Flaßpöhler: "Die Frage, die ich mir stelle, ist: Was ist das eigentlich für eine Lust, die uns da am Schreibtisch hält? Ist das eine ekstatische Lust? Oder eher eine exzessive Lust, also eine zwanghafte? Diese Frage ist der Schlüssel für eine kritische Gesellschaftsanalyse: Was für eine Lust verspüren wir, wenn wir arbeiten?"

    Svenja Flaßpöhlers Antwort fällt eindeutig aus: Es ist tendenziell eine zwanghafte Lust – keine befreiende, sondern eine defizitorientierte Lust, die uns zum obsessiven Arbeiten treibt. Und welches Defizit soll durch manisches Tätigsein ausgeglichen werden? Ganz klar, so Flaßpöhler: die Sehnsucht nach Anerkennung.

    "Ich glaube, dass wir in unserer Gesellschaft eine absolute Schieflage haben, was die Anerkennungsstruktur angeht – dahingehend, dass sich die Arbeitnehmer, im weitesten Sinne Arbeitnehmer, auch freiberufliche, unglaublich verausgaben, dass aber auf der anderen Seite sehr wenig an Sicherheit, an einer ganz fundamentalen Anerkennung zurückkommt. Also, es gibt ungesicherte Arbeitsverhältnisse, es ist immer unklar, wie lange man eine Arbeit behält, es gibt Zeitverträge, also, wir müssen uns unglaublich verausgaben, um uns einigermaßen sicher fühlen zu können. Und ich glaube, dass das ganz entscheidend dazu beiträgt, dass die Leute mit einem Burnout in der Klinik landen."

    Letztlich, so Svenja Flaßpöhler, steht das neoliberale Diktum des "Beute dich selbst aus und hab Spaß dabei" hinter der manischen Arbeitslust vieler Zeitgenossen.

    "Zu einem ganz großen Teil ist es genau diese Logik, die natürlich auch beruht auf der Lust des Einzelnen. Es geht ja nicht nur um Unterdrückungsverhältnisse und darum, dass uns irgendwelche Mächtigen zur Arbeit zwingen, sondern wir beziehen daraus ja auch unglaublich viel narzisstische Lust. Zum Beispiel diese plötzliche Anerkennung, die wir erfahren, wenn wir mal in den Medien sind. Das finden ja immer alle ganz toll. Es gibt so punktuelle, unglaubliche Anerkennungsboni, die aber letzten Endes nicht wirklich substanziell sind. Wir leben ja auch nicht nur in einer Leistungsgesellschaft, sondern auch in einer Erfolgsgesellschaft, wo immer auf einmal sehr viel Anerkennung gespendet wird, die aber illusionär ist. Diese ganz fundamentale Anerkennung, die sich meines Erachtens nach zeigt in gesicherten Arbeitsverhältnissen, aber auch in festen Familienstrukturen, die wird immer brüchiger."

    Svenja Flaßpöhlers Buch ist blendend geschrieben, diagnostisch präzise und sprachlich pointiert. Auch, wenn manche ihrer Diagnosen nicht eben neu sind: Flaßpöhler rückt den Veränderungen unserer Arbeitswelt mit psychoanalytischen und religionsphilosophischen Instrumentarien zuleibe – Stichwort: protestantisches Arbeitsethos. Zum anderen fragt sie, auf antike Philosophen wie Aristoteles und Epikur rekurrierend, wie es mit unserer Genussfähigkeit aussieht in Zeiten der postindustriellen Moderne:

    "Ich glaube, es ist mit dem Hedonismus nicht so weit her, wie wir glauben. Wir leben in einer prüden und asketischen Gesellschaft, die nach außen hin sehr hedonistisch tut, in Wahrheit aber auf Entsagung beruht. Ein Beispiel ist meinetwegen die Pornographie, die natürlich immer mehr in die öffentlichen Bereiche drängt. Und es sieht auf den ersten Blick so aus, als seien wir alle wahnsinnig liberal, aber wenn man mal real guckt, wie wir Erotik leben und welche Rolle die Erotik in der heutigen Gesellschaft spielt, dann muss man sagen: Das Bild ist eher ein trauriges."

    Der Leistungsimperativ unserer Gesellschaft zwingt uns zu ständigem Triebverzicht, diagnostiziert Flaßpöhler. Während die Arbeit übrigens vielen zum Genuss wird, wird umgekehrt der Genuss vielen zur Arbeit. Stichwort: Wellness-Boom und Schlankheitskult.

    "Der moderne, aufgeklärte Mensch muss nicht mehr aus Glaubensgründen fasten, freitags auf Fleisch verzichten und mit dem Sex bis zur Ehe warten; dennoch sind wir in unserer heutigen Hochleistungsgesellschaft ganz offensichtlich weit davon entfernt, wieder schuldlos wie die Tiere zu werden und uns ohne Gewissensbisse dem Nichtstun hinzugeben. Unsere Gesellschaft, in der mehr denn je Schlankheit, Sportlichkeit, Gesundheit, Produktivität und Effektivität gefragt sind, verlangt uns ganz im Gegenteil ein immer höheres Maß an Triebverzicht ab."

    O-Ton Svenja Flaßpöhler: "Ich glaube, dass der heutige Genussarbeiter ein Problem hat dahingehend, dass er ständig glaubt, etwas tun zu müssen. Er muss ständig aktiv sein. Er versteht sich nur durch das, was er aktiv unternimmt. Und was absolut ausgeblendet wird, ist die Tatsache, dass unsere menschliche Existenz sich eben nicht nur über das Tun definiert, sondern auch über das Lassen. Also, das Gelassensein, das Seinlassen, das Auslassen, das Weglassen usw. Diese ganzen unterschiedlichen Formen der Passivität. Und deshalb endet das Buch auch mit einem Lob des Lassens."

    Auch wenn Svenja Flaßpöhlers Grundthese von der exzessiven Arbeitssucht heutiger Genussarbeiter allenfalls auf einen Teil der arbeitenden Bevölkerung zutrifft: Die in Berlin lebende Philosophin hat ein lesens- und bedenkenswertes Buch geschrieben, ein Buch, das die Rede von der "Selbstverwirklichung durch Arbeit" als das entlarvt, was sie letztlich ist: als ideologisches Konstrukt.

    Buchinfo:
    Svenja Flaßpöhler: "Wir Genussarbeiter: Über Freiheit und Zwang in der Leistungsgesellschaft"; Deutsche Verlags-Anstalt, 208 Seiten; Preis: 17,99 Euro