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"Dieses Tempo und diese Rasanz habe ich von ganz wenigen Pianisten erlebt"

Musikjournalist Falk Häfner attestiert der verstorbenen rumänischen Pianistin Mihaela Ursuleasa den Status eines Wunderkindes ohne technische Grenzen. Ihre große Stärke sei die Mischung aus Virtuosität und Temperament einerseits und dem verinnerlichten Spiel andererseits gewesen.

Doris Schäfer-Noske im Gespräch mit Falk Häfner | 03.08.2012
    Doris Schäfer-Noske: Viel zu früh, im Alter von nur 33 Jahren, ist die rumänische Pianistin Mihaela Ursuleasa gestorben. Sie wurde tot in ihrer Wiener Wohnung aufgefunden. Nach Polizeiangaben starb sie an einer Gehirnblutung. Vor Kurzem hatte die Pianistin zwei Konzerte aus gesundheitlichen Gründen absagen müssen.
    Mihaela Ursuleasa galt als aufsteigender Stern in der Klassikszene. Die Tochter eines Roma-Musikers und einer moldawischen Sängerin begann im Alter von fünf Jahren mit dem Klavierspielen. Mit 16 gewann sie dann den Clara-Haskil-Klavierwettbewerb in der Schweiz, und 2010 erhielt sie den Echo Klassik für ihre erste Solo-CD "Piano & Forte". Das war eine Koproduktion des Deutschlandfunk, wo die Pianistin überhaupt des Öfteren zu hören war. Frage an Falk Häfner, der die Aufnahmen damals beim Deutschlandfunk geleitet hat: Herr Häfner, begann denn ihre Karriere wie die eines Wunderkinds?

    Falk Häfner: Absolut. Sie war schon sehr zeitig zum Klavier gekommen, ihr Vater war ja Pianist, hat sie auch die ersten zwei Jahre offensichtlich sehr entspannt unterrichtet, dann aber ist er krank geworden und auch recht bald gestorben. Und sie ist zu einer Lehrerin gekommen, die das Ganze wohl wesentlich anders gehandhabt hat – sie hat von einem stalinistischen Regime gesprochen. Und da wurde sie dann sehr gedrillt und wurde auch in Rumänien rumgereicht als Wunderkind. Insofern kann man wirklich von einer klassischen Wunderkindkarriere sprechen. Allerdings wurde das Ganze dann jäh gestoppt. Ein Freund der Familie hatte irgendwie geschafft, bei Claudio Abbado ein Vorspiel zu erreichen, und Claudio Abbado hat das einzig Richtige getan: Er hat diese Wunderkindkarriere ausgebremst, indem er gesagt hat, ich besorge dem Kind ein Stipendium, sie soll nach Wien kommen, sie soll hier in Ruhe studieren. Und so konnte sich Mihaela Ursuleasa dann doch ganz normal entwickeln, auch künstlerisch ganz normal entwickeln. Und das ist wahrscheinlich auch das große Geheimnis gewesen, dass diese Karriere sich dann stringent entwickeln konnte, ohne dass sie zu einem Shootingstar avancierte, es dann aber nicht mehr weitergeht.

    Schäfer-Noske: Wo lagen denn ihre besonderen Stärken?

    Häfner: Es war die Mischung aus Virtuosität und Temperament auf der einen Seite – also bei Mihaela Ursuleasa gab es im Grunde keine technischen Grenzen – und auf der anderen Seite dem verinnerlichten Spiel, also dynamischen Pianissimi, die traumschön waren. Ich erinnere mich, als sie das erste Mal nach Köln ins Studio kam – ich stand neben unserem Klaviertechniker und sie spielte die ersten paar Takte von Paul Constantinescus Suite aus dem dritten Satz daraus, und wir kriegten einfach nur Gänsehaut und guckten uns mit großen Augen an, weil wir hörten, hier passiert was, was man wirklich nur ganz selten erlebt.

    Musikeinspielung

    Was Sie hier hören können, ist dieses Temperament, von dem ich sprach, also diese unglaublichen technischen Fähigkeiten, womit sie ihr Publikum zu begeistern wusste. Also wenn sie dieses Stück gespielt hat, dann standen die Leute auf, dann gab es einfach Standing Ovations, das war ganz klar. Und bei diesem Tempo, bei dieser Rasanz, da muss ich sagen, das hab ich von wenigen Pianisten so erlebt.

    Schäfer-Noske: Paul Constantinescu, war das einer der Komponisten, die ihr besonders lagen?

    Häfner: Auf jeden Fall. Also sie hat Rumänien immer als ihre musikalische Heimat gesehen, und das wollte sie auch auf ihrer ersten CD zeigen – natürlich neben Brahms und neben Beethoven. Aber dann hat sie auf der anderen Seite auch Ginastera gespielt, das ist ein argentinischer Komponist, und da merkt man schon, das war eine ganz eigene Frau, eine ganz eigene künstlerische … ja, ein ganz künstlerischer Charakter, der es möglicherweise auch den Agenten gar nicht so leichtgemacht hat, weil sie immer genau wusste, die Mihaela, was sie machen wollte und was nicht, und das ist ja im heutigen Betrieb nicht unbedingt immer so umsetzbar.

    Schäfer-Noske: Was wird Ihnen denn von Mihaela Ursuleasa im Gedächtnis bleiben?

    Häfner: Für die zweite CD hat sie sich rumänisches Repertoire ausgewählt, also Enescu, Constantinescu – da hat sie nämlich dann die gesamte Suite gespielt – Bartók und so was. Und sie wollte unbedingt ein Fotoshooting machen. Da hat sie sich einen alten Flügel gewünscht und hat den irgendwo organisiert, mit Freunden auf den Wiener Naschmarkt geschoben, und obwohl die ganzen Gemüsehändler da gezetert und geschimpft haben, hat sie diese Fotosession durchgezogen. Und ich erinnere mich an die Situation im Studio, da hat sie gemeinsam mit einem Geiger – Gilles Apap – zusammen die rumänische Rhapsodie eingespielt. Und da war es wieder so: Es klang irgendwas komisch, und sie sagte, was ist denn das, was in deiner Geige da so schnarrt, und er griff in die Geige, in dieses F-Loch hinein, und mit einer Pinzette holte er einen alten indischen Geldschein raus, er hatte nämlich diese Geige auf einem Markt für ganz wenig Geld gekauft. Und dann waren die beiden so in Stimmung, dass sie plötzlich einfach losgejazzt haben und haben so eine kleine Improvisation gemacht, die sie quasi dieser rumänischen Rhapsodie vorangestellt haben. Und das ist so schön geworden, dass wir das auf der CD dann auch als kleines Intro quasi vorangestellt haben. Und das ist genau das, wie ich mir Mihaela Ursuleasa im Gedächtnis behalten werde – diese Spontaneität und diese Lebensfreude, die von ihr ausging, die für die Zuhörer einfach ganz fantastisch war.

    Schäfer-Noske: Das war der Musikjournalist Falk Häfner zum Tod der rumänischen Pianistin Mihaela Ursuleasa, die im Alter von nur 33 Jahren gestorben ist.


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