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Digitale Auszeit
Einfach mal abschalten

Ständig online, immer neue Mails und News: Viele Menschen leiden unter der ständigen Erreichbarkeit im digitalen Zeitalter. Ausgerechnet aus dem Silicon Valley kommt die Gegenbewegung Digital Detox: Menschen gehen in den Wald, um sich digital zu entgiften.

Von Peter Kaiser | 08.01.2016
    Eine Person tippt mit dem Finger auf ein Tablet.
    Finger weg vom Display: Digitales Entgiften ist ein neuer Trend (imago / Jochen Tack)
    Christoph Homann: "Also als erstes wird natürlich zu einer richtigen Entgiftung das Handy abgenommen. Für den gesamten Tag."
    Autor: "Ok, ich gebe Ihnen jetzt hier mein Handy."
    Homann: "Ich möchte Sie bitten, hier auf dem Rasen einfach mal so zu gehen, wie Sie zur Arbeit, nach Hause oder zum Bus gehen."
    Vielen fällt das Abschalten schwer
    Was sich wie der Einführungslehrgang für angehende Förster anfühlt, ist in Wahrheit ein Schritt, sich vom Smartphone wieder unabhängig zu machen, ein Schritt , sich "digital zu entgiften".
    Denn vielen Menschen fällt das Ausschalten ihres "Smarties" unendlich schwer. Zu groß scheint die Gefahr zu sein, dass man einen wichtigen Anruf verpasst, eine Email, nicht im richtigen Moment liest, auf eine SMS oder ein App-Signal nicht umgehend reagiert. Und natürlich das, was schön um einen herum ist, nicht sofort fotografiert und in einem Portal postet.
    Homann: "Um Sie jetzt gleich zu entschleunigen, möchte ich Sie bitten, mit mir einfach mal den Fuchsgang zu üben. Und zwar müssen Sie dafür erst die Spitze des Fußes aufsetzen, dann über die Seite abrollen, und das selbe mit dem nächsten Fuß machen.
    Es gibt Menschen die seit Jahren ihr Handy überhaupt nicht mehr ausgeschaltet haben. Daher heißt die Bewegung, die paradoxerweise direkt aus Silicon Valley kommt: Digital Detox, digitales Entgiften. In einem Wald bei Biesdorf nahe Berlin führen Annika Dipp und Christopher Homann von der Berliner Firma "Offlines" solche Entgiftungen durch. Mit allerlei Hilfswerkzeugen.
    Homann: "Jetzt bekommen Sie von uns einen Klicker, auf dem klicken Sie dann immer, wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie jetzt gern auf Ihr Handy schauen würden."
    Letzter Ausweg: App für Erreichbarkeitsmanagement
    Beim Fuchsgang lernen die Teilnehmer eine Art achtsames Gehen auf dem Waldboden. Das Gehen hat viel vom Gehen auf der Oberfläche eines fremden Planeten. Doch was ein kleiner Schritt für einen selbst ist, ist ein großer Schritt für das Bewusstsein. Und natürlich kann man sagen, man schaltet sein Smartphone einfach aus und Schluss. Doch was, wenn das Smartphone zur Arbeit gehört wie der LKW zum Fahrer, das Skalpell zum Chirurg? Für die, die nicht mehr ständig erreichbar sein wollen und doch müssen, gibt es die Ausschalt-App von "Offtime" in Berlin. Michael Dettbarn, einer der App-Macher:
    "Die App betreibt eine Art Erreichbarkeitsmanagement. Das heißt, Anrufer, die sich melden, werden zum Teil blockiert, wichtige Anrufer kommen trotzdem durch, alle, die nicht durchkommen kriegen eine Antwort hinterhergeschickt mit einer Angabe darüber, wann man wieder erreichbar ist, das macht das Ganze transparent, planbar für Leute, die sich melden.
    Der Digital Detox-Trend hat Ähnlichkeiten mit der Biobewegung der 1970er Jahre. Auch darum heißt die "Bibel" der Detox-Bewegung "Analog ist das neue Bio" von Andre Wilkens. Er meint:
    "Mir geht es darum zu sagen, man muss nicht alles digital machen, nur weil man es kann. Grade menschliche Interaktion, Kommunikation, man muss nicht alles über Maschinen machen, wir werden nie die besseren Maschinen werden."
    Inzwischen gibt es für Führungskräfte, Personalverantwortliche, Notfallverantwortliche aller Couleur oder einfach nur Online-Gestresste Digital-Detox-Hotels im Ausland, Camps, Seminare, sogar Schweigeklöster machen mit.
    Dann ist der "One-Day-Off"-Tag im Wald mit Fuchsgang und Anschleichen vorbei. Ich schaue zum Klicker.
    Ich würde jetzt geschätzte 14, 15 Mal getippt haben.