Dienstag, 23. April 2024

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Dokuserie "Hillary"
"Sie konnte so offen sein wie nie zuvor"

Zwei Anläufe nahm Hillary Clinton, um die erste weibliche US-Präsidentin zu werden. Zweimal unterlag sie. Die vierteilige Dokumentation "Hillary" sucht Gründe für das Scheitern. "Amerika ist leider definitiv nicht bereit für eine Präsidentin", sagte Regisseurin Nanette Burstein im Deutschlandfunk.

09.03.2020
Nanette Burstein & Hillary Rodham Clinton auf dem roten Teppich
Nanette Burstein und Hillary Rodham Clinton bei der New Yorker Premiere von "Hillary" (www.imago-images.de (John Angelillo))
Sigrid Fischer: Ich würde es eine "embedded" Dokumentation nennen, weil Sie ursprünglich nur die Wahlkampagne von Hillary Clinton dokumentieren sollten, dann aber die Idee hatten, mehr daraus zu machen. Warum war Hillary damit einverstanden? Was war ihre Absicht? Wollte sie ein für allemal Missverständnisse bezüglich ihrer Person ausräumen?
Nanette Burstein: Sie hat mitgemacht, weil ich ihr das Projekt so erklärt hatte, dass ihre Geschichte für mich symbolhaft für die Geschichte des Feminismus und unseres politischen Systems der letzten 50 Jahre ist, und dafür, warum wir heute so gespalten sind, anhand ihrer Geschichte kann man Dinge beleuchten. Ich glaube, sie dachte auch: Okay, das ist meine Geschichte, vielleicht können andere davon lernen. Außerdem hat sie ja für kein Amt mehr kandidiert. Deshalb konnte sie so offen sein wie nie zuvor.
Fischer: Sie sagen ja gleich zu Beginn Ihres Films, dass man sie als unsympathisch, als nicht authentisch wahrnimmt. Warum sehen die Leute sie so?
Amerika ist nicht bereit für eine weibliche Präsidentin
Burstein: Der Ausgangspunkt der Serie ist es ja, zu verstehen, warum sie so polarisiert. Warum man sie erst auf ein Podest stellt, sie glorifiziert und dann verteufelt, sie krimineller Handlungen beschuldigt und so weiter. Ein Grund dafür ist sicher ihr Geschlecht. Sie hat immer wieder die Grenzen der allgemein akzeptierten Frauenrolle verschoben. Ein anderer Grund ist, dass sie so lange im Fokus der Öffentlichkeit gestanden hat. Während der Präsidentschaft ihres Mannes konnte man sehen, wie fies Parteien und Politik sind. Die Republikaner dachten damals, sie würden für immer regieren. Und dann kam Bill Clinton, und das hat sie sehr aus der Fassung gebracht. Deshalb gab es viele persönliche Angriffe. Und sowas wirkt fort. Selbst wenn Vorwürfe entkräftet wurden, bleibt in den Köpfen immer was hängen. Ist sie korrupt? Ist sie dies oder das? Beides zusammen hat die Leute irritiert in ihrer Einschätzung, wer sie wirklich ist.
Fischer: Würden Sie sagen, an Hillarys Beispiel kann man sehen, dass Amerika nicht bereit ist für die erste weibliche Präsidentin? Auch heute noch nicht?
Burstein: Ja, traurigerweise ist Amerika definitiv nicht bereit für die erste weibliche Präsidentin. Hoffentlich ändert sich das, aber auch im aktuellen Wahlkampf sieht man, dass weibliche Kandidaten mit der gleichen Voreingenommenheit zu kämpfen haben wie Hillary 2016. Wir sind also nicht wirklich weiter gekommen. Was allerdings passiert ist, ist die Tatsache, dass eine Reihe von Frauen in Senat und Kongress gewählt wurden. Das hat es in der Größenordnung vorher nicht gegeben. Und anfangs gab es sechs Kandidatinnen für das Präsidentenamt. Änderungen passieren nicht über Nacht, sondern in kleinen Schritten. Die größte Herausforderung ist es, Frauen in die höchsten Machtpositionen zu bringen. Es gibt vielleicht viele weibliche Fürhungskräfte, aber kaum weibliche Vorstandsvorsitzende (CEOs). Weibliche Senatoren sind okay, aber wer ist der Boss? Das ist die schwierigste Änderung in Sachen Geschlechtergerechtigkeit, vor der wir stehen.
Fischer: Deutschland hat einen weiblichen Boss seit 15 Jahren.
Burstein: Aber das parlamentarische System funktioniert anders als unseres. Bei uns wählt man nicht nur eine Partei, sondern eine Persönlichkeit. Und Frauen werden anders bewertet. In parlamentarischen Systemen – nicht nur in Deutschland - sind Frauen ja schon Premierministerin geworden. Aber in unserem politischen System passiert das nicht so leicht.
Eine Art Zusammenbruch
Fischer: Als sie das zweite Mal die Chance verloren hat, Präsidentin zu werden, hatte man den Eindruck, dass sie sehr deprimiert sein muss, und sie sagt selbst im Film, dass sie eine Art Zusammenbruch hatte. Was glauben Sie, wie sehr nagt das an ihr, dass sie zweimal verloren hat?
Burstein: Womit sie, glaube ich, am meisten zu kämpfen hat - so wie viele Amerikaner - ist nicht, dass sie verloren hat, sondern gegen wen, und dass man ihn jeden Tag vor Augen hat. Jedem Durchschnittsbürger, der demokratisch wählt, macht das zu schaffen, und ihr vielleicht noch mehr, weil sie gegen ihn verloren hat. Und wenn sie jetzt sagt: jeden demokratischen Kandidaten, der die Vorwahlen gewinnt, wird sie unterstützen, dann meint sie das auch so.
Fischer: Auch Bernie Sanders? Was glauben Sie?
Burstein: Ich glaube, sie wird ihre persönlichen Gefühle hintenanstellen, weil sie, wie viele von uns, die aktuelle Regierung unbedingt auswechseln will.
Fischer: 25 Tage, sagt sie, hat sie im Wahlkampf zusammengerechnet auf Frisur und Make-up verwendet.
Burstein: (lacht) Ja, das ist eine Menge. Bei Frauen gelten eben andere Schönheitsstandards. Selbst wenn uns das privat gar nicht wichtig ist, wie wir aussehen, müssen wir dem entsprechen, weil die Leute einen danach beurteilen.
"Ich hatte kein Interesse, eine Lobeshymne zu drehen"
Fischer: Nanette Burstein, erst haben Sie die Wahlkampagne von Hillary begleitet, und sie dann 30 Stunden interviewt. Das heißt, Sie sind ihr nahe gekommen. Wieviel Distanz kann man dann noch haben? Mir fehlen etwas die kritischen Stimmen in Ihrem Film, es kommen überwiegend Hillarys Mitarbeiter und Befürworter zu Wort.
Das Corsogespräch mit Nanette Burstein – hören Sie hier in englischer Originalversion
Burstein: Ich habe sie sieben Tage interviewt, sonst aber keine Zeit mit ihr verbracht. Und ich habe sie nicht selbst gefilmt im Wahlkampf. Ich habe viele Journalisten interviewt, die eine objektivere Sicht einbringen konnten. Ich habe auch versucht, ihre Kritiker zu interviewen, aber die wollten nicht. Von über dreißig Republikanern war kein einziger bereit dazu. Sie fanden es zu riskant, mit ihr auch nur in Verbindung gebracht zu werden. Denn sie erzählt im Film ja ihre Geschichte, es wäre also keine rein rechte Parteipropaganda geworden. Und das wollten sie nicht. Ich glaube aber nicht, dass wir Hillary einen Heiligenschein aufsetzen, wir sind schon kritisch, zum Beispiel was ihre Reden an der Wall Street angeht, oder ihre Fehler im Umgang mit der Presse, wie übervorsichtig sie manchmal war. Also ich hatte keine Interesse, eine Lobeshymne zu drehen.
Fischer: Letzte Frage – ich weiß nicht, ob Sie das Weinstein-Urteil kommentieren möchten, als Frau in der Filmbranche.
Burstein: Ja, ich bin froh, dass er in einigen Anklagepunkte verurteilt wurde. Das war sicher eine erstaunliche Abrechnung mit unserem bisherigen Unterhaltungsbusiness. Als Regisseurin habe ich in 25 Jahren meine eigenen Erfahrungen mit sexueller Belästigung gemacht. Man hatte die ganze Zeit das Gefühl, man kann nichts dagegen machen, bis vor kurzem. Deshalb ist das Urteil eine große Befriedigung. Ich habe Harvey Weinstein auch mal persönlich für ein Filmprojekt getroffen, bei dem ich Regie führen sollte. Da hat er sich verbal vollkommen unangemessen verhalten. Ich habe daher wenig Empathie für ihn. Und endlich wurde der Gerechtigkeit Genüge getan.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.