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Donald Tusks Flucht nach vorn

Viele Polen sind mit dem Reformprogramm, den Renten und Sozialkürzungen ihrer Regierung unzufrieden. Ministerpräsidenten Donald Tusk versucht nun mit einem Konjunkturprogramm das Vertrauen zurückzugewinnen.

Von Sabine Adler | 16.10.2012
    Zwei Dinge wollten nicht recht zusammenpassen: das groß angelegte Investitionsprogramm und die damit verbundene Vertrauensfrage. Das eine hatte mit dem anderen höchstens soviel zu tun, als dass sich der Parteichef auf seine Bürgerplattform und schon gar auf den Koalitionspartner, die Bauernpartei, nicht mehr hundertprozentig verlassen konnte. So wollte Donald Tusk vor allem von seinen eigenen Leuten wissen, ob er sie hinter sich hat, wenn er Polen vor einem Abgleiten in die Rezession bewahren soll. Die Abgeordneten der Regierungsparteien waren nicht wirklich in Gewissensnöten, denn sie mussten sich lediglich entscheiden, ob sie dem 300-Milliarden-Zloty-Investitonsprogramm zustimmen, nicht etwa, ob die Landleute den Gürtel enger schnallen sollen. Auf kaum ein Land hat die Krise so geringe Auswirkungen wie auf Polen. Die Nachbarn weisen das höchste Wirtschaftswachstum in der EU auf, ein Absturz ist nicht in Sicht. Allerdings sind 12,5 Prozent, also zwei Millionen Polen ohne Beschäftigung, wenn man diejenigen, die im Ausland arbeiten mitzählte, wären es sogar vier Millionen. Das Investitionsprogramm soll Jobs im Energiesektor, Straßen- und Schienenbau schaffen. Donald Tusk:

    "Wir reden über 60 Mrd. Zloty, 15 Milliarden Euro, für die Modernisierung von acht Kraftwerken, die Fertigstellung eines Gasterminals. 1000 Kilometer Gasleitungen sollen installiert werden sowie Gasspeicher, die in zwei Jahren zwischen anderthalb bis drei Milliarden Kubikmeter lagern können. Außerdem sollen Stromleitungen zwischen Polen und Litauen entstehen und bis 2020 das Erdölterminal in Gdansk fertig sein."

    Tusk verspricht sich von den Energieinvestitionen, die die Förderung von Schiefergas einschließen, schon ab dem kommenden Jahr Arbeitsplätze. Ebenso beim beschleunigten Autobahn- und Straßenbau, der überfälligen Erneuerung des Schienennetzes:

    "Von 2012-2015 werden wir 30 Milliarden Zloty, acht Milliarden Euro in die Modernisierung der Eisenbahn und 43 Milliarden, also über zehn Milliarden Euro in das Straßennetz investieren."

    In Polen werden ähnlich wie Deutschland zu wenige Kinder geboren, was die Situation auf dem Arbeitsmarkt in einigen Jahren zwar entspannen könnte, für die Rentenzahlungen jedoch erhebliche Probleme schafft. Deshalb sollen es Familien mit Kindern unterstützt werden. Premier Tusk will, dass Mütter oder Väter von Babys nicht nur sechs, sondern zwölf Monate zu Hause bleiben können.

    "Wir wollen, dass der Staat ab 2015 die Betreuung jedes polnischen Kindes bezahlt im ersten Jahr zu Hause betreut wird, danach in der Kinderkrippe und im Kindergarten"."

    Präsident Broniswaw Komorowski lobt den Regierungschef. Der ist sein Parteifreund.

    ""Polen hat eine reale Chance, sein Wirtschaftswachstum zu verteidigen und damit Arbeitsplätze zu schaffen, was das Wichtigste für die Polen ist."

    Der Premier bekommt aber keineswegs nur Applaus. Die beiden größten Zeitungen kritisieren Tusk seit Tagen auf vielen Seiten. Er hätte einen Sinneswandel vollzogen, jetzt solle der Staat Wirtschaftswachstum generieren. Anstatt sich auf die Kräfte des Marktes zu verlassen, werde eine Superfirma geschaffen, die über allen anderen staatlichen Unternehmen schwebe und nach politischen Vorgaben, nicht nach Effizienz operiere. Der Staat mutiere zum Konkurrenten für die Privatwirtschaft. Tusk betreibe staatlichen Interventionismus. 'Ein Rückschritt in jene Realität, die wir aus der Zeit der Volksrepublik kennen', wettert die "Rzeczpospolita". Es ändere sich nichts an den grundlegenden Problemen, wenn einfach nur die Investitionen aus dem Haushalt ausgelagert würden. Die "Gazeta Wyborcza" hatte Tusk schon am Freitag einen Schlag versetzt, als er dem Parlament die Vertrauensfrage stellte. Sie titelte: Die Polen wollen einen neuen Premier. Einer Umfrage zufolge sank die Popularität des Premiers auf 26 Prozent, dass er Angela Merkels Favorit für die Nachfolge von EU-Kommissionspräsident Barroso ist, hat ihm nicht geholfen. Noch liegen drei Regierungsjahre bis zur nächsten Wahl vor ihm.