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Douglas Coupland-Ausstellung in München
Kunst zwischen den Realitäten

Der kanadische Künstler Douglas Coupland hat sein ganz eigenes Universum errichtet. Er ist Künstler, Designer, Sammler und Literat zugleich. Zu seinen Dauerthemen zählen Internet, Terror, Tod und Popkultur. In München ist momentan seine Ausstellung "Bit Rot" zu sehen.

Von Julian Ignatowitsch | 04.10.2016
    Der Schriftsteller und Künstler Douglas Coupland vor einem seiner Werke im Museum MOCA in Toronto.
    Der kanadische Künstler Douglas Coupland will das Digitale ins Analoge übersetzen. (imago / Marta Iwanek)
    "Bit Rot, das heißt: digitaler Datenverlust. Und das Wort wird in der Museumswelt verwendet, um die Schwierigkeit des digitalen Archivierens zu beschreiben."
    Das Digitale ist vergänglich. Wahrscheinlich ist Künstler Douglas Coupland, dieser Tech-Freak und -Kritiker, deshalb immerfort bemüht, das Digitale ins Analoge herüberzuziehen. Es plastisch und greifbar zu machen, als Skulptur, Gemälde, Fotografie oder Installation. So wie gleich bei der großen Wand zu Beginn der Ausstellung: namentlich "Slogans für das 21. Jahrhundert". Coupland malt Begriffe und Sprüche aus Internet und sozialen Netzwerken auf bunte Sperrholzplatten. "OMG" steht da zum Beispiel oder "Sorry, I Got Lost In A Youtube Kitten Warp".
    "Einer der ersten Sprüche war: "I Miss My Pre-Internet Brain" (dt. "Ich vermisse mein Vor-Internet-Gehirn" Anm. des Autors). Und ich habe festgestellt, ja, ich erinnere mich kaum mehr daran. Für junge Menschen ist das ganz normal, sie kennen die analoge Zeit nicht mehr, für sie ist das so weit weg, wie für mich das Mittelalter. Dabei sind gerade mal 20 Jahre vergangen, was für eine verrückte Entwicklung! Würden Sie 20 Jahre in die Vergangenheit reisen und dort jemandem erzählen, er könnte schon bald jede Frage in wenigen Sekunden und kostenlos nachschauen, der würde sagen: Wow, eine goldenes Zeitalter bricht an!"
    Kein goldenes Zeitalter
    Wie ein goldenes Zeitalter, so sieht die Welt in den Augen von Coupland dann allerdings nicht aus, stattdessen "Tod und Zerstörung", wie es im Erdgeschoss explizit heißt: Eine Fotografie, die das Massaker in der Columbine Cafetaria nachstellt, die menschgroße Plastik eines Vietnam-Soldaten, Fotografien einer Flugzeug-Katastrophe oder sogenannte "Warflowers", die chinesische Kunst und populäre Kriegs-Emblematik miteinander verschmelzen - all das steht hier nebeneinander.
    Es ist das ganz eigene Douglas Coupland-Universum, das hier ausgestellt wird. Ein Blick in den Kopf dieses faszinierendes Mannes, der Bildender Künstler, Designer, Sammler und Literat zugleich ist.
    "Ich springe zwischen diesen vier Disziplinen hin und her. Bei der Kunst geht es in erster Linie um Raum, bei der Literatur um Zeit. Aber es hängt zusammen. Bilder können sich in Büchern entmaterialisieren und Bücher bzw. Wörter können zu Ausstellungsobjekten werden."
    Internet, Terror, Tod und Popkultur
    So beziehen sich viele der gezeigten Kunstwerke auf Prosa von Coupland, manchen hat er erst nachträglich eine Geschichte aufgeschrieben. Der Katalog ist eine Ansammlung von Kurzgeschichten und Essays zu den Themen, die er in seiner Kunst verhandelt. Ganz vorne: Internet, Terror, Tod und Popkultur. Neben seinen eigenen Werken ist auch einiges aus Couplands Sammlung ausgestellt, darunter Robert Rauschenberg oder Jenny Holzer.
    Wie ein anarchischer Stream of Consciousness, also deutsch Bewusstseinsstrom, liest sich die Ausstellung, um das passende Wort aus der Literatur zu verwenden. Ein sehr ichbezogener, selbstreferenzieller Bewusstseinsstrom. Und das ist Fluch und Segen zugleich.
    Ausstellung nicht besucherfreundlich
    Die meisten der Ideen und Anspielungen des Coupland-Universums durchschaut man erst nach Lektüre seiner Bücher und nach umfassender Recherche seiner Biografie und Gedankenwelt. Vielen Besuchern dürfte dafür schlichtweg die Zeit - und auch Lust - fehlen. Besucherfreundlich ist die Schau so gesehen nicht. Eher verquer-verkopft, was einige faszinieren und viele nerven dürfte. Lässt man sich aber darauf ein, erschließt sich an vielen Stellen der Witz und Scharfblick des Künstlers, seine Obsession fürs Tragische, Aha-Momente liegen überall verborgen.
    "Ideen verdichten, zusammendrücken bis sie fast explodiert, das will der Künstler machen."
    Und herauskommt, Kunst zwischen den Realitäten, wie auch am Schluss der Schau: Die Installation "Data Rodeo", eine Veranschaulichung des Internets. Wie in einem Kinderspielparadies fahren Köpfe, Puzzlestücke und Trümmerteile durch den Raum, stoßen aneinander, verkeilen sich und lösen sich wieder. Coupland schreibt dazu im Katalog: "Heute habe ich mich gefragt: Wenn das Internet einen IQ hätte, wie hoch wäre der? Und dann habe ich geraten: 4.270 - ein vierstelliger IQ. Ja, ich weiß das Internet ist nur ein Werkzeug und kein fühlendes Lebewesen. Aber man darf ja wohl noch träumen." But one can dream. Ein typischer Coupland!