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"Drei sind wir" in Leipzig
Vom Verschwinden eines Menschen

In Leipzig ist das Stück "Drei sind wir" von Wolfram Höll aufgeführt worden. Den Deutschlandfunk-Kritiker überzeugte die Inszenierung von Thirza Bruncken nicht: Sie habe aus dem Sprachstück ein performatives Bewegungsstück gemacht - und es damit bis zur Unkenntlichkeit vernichtet.

Von Hartmut Krug | 21.02.2016
    Mit "Drei sind wir" handelt vom Verschwinden eines Menschen und stellt eine sehr eigene Art von Familienstück dar. In ihm bekommt ein Ehepaar ein Kind mit der seltenen Chromosomenstörung Trisomie und weiß, das Kind wird nicht lange leben:
    - "Ein Tag, eine Woche, ein Monat ist mehr, als man hoffen kann. Sagt der Arzt."
    - "Als er dann da war und wir sahen dass er anders war, haben wir gesagt: Komm, wir gehen nach Kanada. Mit Kind."
    Das Paar zieht nach Kanada, kauft sich ein Haus auf einer Insel und durchlebt mit dem Kind die vier Jahreszeiten. Es wird Alltag beschrieben, beim Bäcker und mit den anreisenden Verwandten. Die Großeltern, ein Onkel und eine Urgroßmutter kommen und suchen Kontakt zum Kind zu finden. Das von Hand zu Hand geht und zum Nachdenken darüber anregt, wer man ist und sein will.
    Stück über die Zeit und den Raum
    Höll schrieb ein Stück über die Zeit und den Raum, über das Leben in und mit der Natur und schildert dabei eine Familie in einer Ausnahmesituation. Auch "Drei sind wir" lebt - wie alle Stücke - stark von Hölls sinnlich präziser Sprache, die mit Wiederholungen und Sprachspielereien arbeitet und Sprach- und Satzfetzen montiert.
    Leider ist das Stück bei seiner Leipziger Uraufführung mit Thirza Bruncken einer Regisseurin in die Hände gefallen, die aus dem Sprachstück ein performatives Bewegungsstück macht und es damit umbringt. Zwar beeindruckt eine Zeit lang der Furor, mit dem sich die Darsteller zwar in keine Rollen, aber dafür unentwegt gegen Wände und Mitspieler oder auf den Boden werfen. Doch das gestisch-mimische Repertoire bleibt dabei beschränkt. Bei Bruncken sind Hölls Figuren sowohl kaum vorhanden als auch von einem Traum, ja einem Albtraum, bestimmt. Dazu liefert das Programmheft Texte von Kafka, Heiner Müller und Foucault.
    Bühnenbildner Christoph Ernst hat einen bühnenbreiten, niedrigen und hermetisch leeren Denkraum mit brauner Vertäfelung und kleinem Wandspiegel gebaut. Darin toben vier Darsteller, zwei Frauen und zwei Männer, durch ihre Entfremdungsgefühle. Der Autor sah fünf Darsteller vor, die neun Personen sprechen sollten.
    In dieser Leipziger Uraufführung eines Auftragswerks spielt für Regisseurin Thirza Bruncken der Text des Autors eine völlig untergeordnete Rolle. Wer das Stück nicht gelesen hat, hat große Schwierigkeiten, überhaupt zu erkennen, worum es in ihm geht. Nur ein paar Fetzen von Hölls Text erklingen, sonst dominiert ein undeutliches körpersprachliches Spiel. Es brummt auf der Bühne, es zischt und rauscht wie in einer Versuchsanstalt, denn elektrische Energie wirkt auf die Menschen ein und bemächtigt sich ihrer.
    Wie ein Blitzschlag trifft Flackerlicht aus der Deckenleuchte eine Frau und lässt sie taumeln. Alle vier posieren und marschieren wie fremdgesteuert. Gegen dieses Gefühl versuchen sie sich gelegentlich, mit einem Lied zu wehren.
    Allzu beschwerte Inszenierung
    Natürlich gibt es auch etliche andere Befreiungsversuche. Doch dabei wirkt das Bewegungsrepertoire zwischen marschieren und fallen, tanzen und gegen die Wand prallen arg redundant. Als Zuschauer ertappt man sich dabei, dass man in der gefühlt unendlich langen, aber nur 80 Minuten dauernden Inszenierung immer wieder aussteigt.
    Denn die von philosophischer Lektüre allzu beschwerte Inszenierung bringt Hölls Stück um seinen Sinn und seine Sinnlichkeit, ohne eine überzeugende eigene Sinnlichkeit zu entwickeln.
    Bis am Schluss vor dem Haus des Paares ein Zu-vermieten-Schild aufgestellt wird, weil das Kind vermutlich gestorben ist und es in einer langen Videosequenz in nordischer Eislandschaft unter vielen Pelzen geborgen oder begraben wird. Dann stehen die vier Darsteller in den Pelzen vor uns, denn irgendwie geht das Leben eben weiter.
    Es ist ein wirklich ärgerlicher Abend. Der Autor zeigte sich nicht. Man möchte ihm wünschen, dass sein Stück in einer weiteren Inszenierung zu seinem Recht kommt, ohne dass es wieder von einem Regietheater-Konzept bis zur Unkenntlichkeit vernichtet wird.